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Die Zukunft von Patrik Gisel als Chef von Raiffeisen hängt an einem seidenen Faden. Wie Recherchen der «Schweiz am Wochenende» ergeben haben, wird die Personalie im Verwaltungsrat diskutiert. «Das ist ein Topic», heisst es aus dem Innern der Bank.
Gisel ist angeschlagen: Allein der Umstand, dass er 13 Jahre lang Stellvertreter von Pierin Vincenz war, ist eine schwere Hypothek für seine Glaubwürdigkeit. Auch Gisels Beteuerungen, dass er in all den Jahren von den heiklen privaten Deals oder den exorbitanten Spesenabrechnungen seines Chefs nichts mitbekommen haben soll, sind schlicht nicht nachvollziehbar. Als weitere Belastungen kommen grosse Probleme bei der Einführung einer neuen Informatiklösung sowie grobe Fehler in der Domäne der Krisenkommunikation dazu.
Fatal ist: Das Einvernehmen der Raiffeisen-Zentrale in St. Gallen zu den 255 regionalen Genossenschaften hat sich seit der Delegiertenversammlung im Juni deutlich verschlechtert. Es erreichte diese Woche sogar einen neuen Tiefpunkt, als die Firmenzentrale lokalen Raiffeisen-Geschäftsführern wegen einer unbedeutenden Indiskretion «strafrechtliche Schritte» androhte. Es gelangten Teile eines Finma-Berichts an die Öffentlichkeit, der jedoch kaum neue Informationen enthielt.
Der Druck von der Raiffeisen-Basis auf die Spitze in St. Gallen wird damit immer grösser. Angesichts dieser schwierigen Situation bleibt dem Verwaltungsrat nichts anderes übrig, als sich intensiv mit dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung zu beschäftigen. Das Gremium muss abwägen, ob Gisel an der Spitze von Raiffeisen noch tragbar ist oder ob es nicht besser für die Genossenschaftsbank ist, wenn Gisel schnellstmöglich zurücktreten und durch einen interimistischen CEO ersetzt würde.
Wie die «Nordwestschweiz» diese Woche schrieb, stünden mit dem Firmenkundenchef Urs Gauch und Finanzchef Christian Poerschke zwei unbelastete Führungskräfte bereit. Sie könnten zumindest bis zur Wahl eines neuen Präsidenten die Geschäfte übernehmen. Am 10. November wird an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung ein neuer Präsident bestimmt. Dieser könnte dann als eine seiner ersten Amtshandlungen einen neuen, definitiven operativen Chef für die Bankengruppe einsetzen.
Mit einem Rücktritt von Patrik Gisel würde der Verwaltungsrat Druck aus der Organisation nehmen. Eine Sprecherin wollte sich zu den Vorgängen im obersten Führungsgremium nicht äussern. «Zu Gerüchten nehmen wir grundsätzlich keine Stellung», sagte sie.
Der Verwaltungsrat stärkte Gisel bisher stets den Rücken. Pascal Gantenbein, der interimistische Verwaltungsratspräsident, suchte in den letzten Wochen immer wieder die Nähe zu Gisel. In einem Branchenorgan erschien zuletzt ein Beitrag, der von ihm und Gisel gemeinsam gezeichnet wurde.
Mit dieser inszenierten Nähe dürfte es vorerst vorbei sein. Denn will sich Gantenbein auch nur eine minimale Chance auf eine Wahl wahren, kommt er wohl nicht umhin, sich von Gisel zu trennen. Zu den Kandidaten zählt unter anderen Ex-CS-Schweiz-Chef Hans-Ulrich Meister.