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Den Reingewinn auf 4,9 Milliarden verfünffacht, mehr Dividende und die üblichen Millionengehälter für Management und Verwaltungsrat: Die UBS hatte das Drehbuch längst geschrieben. Dann gab Christine Mée, die vorsitzende Richterin am Tribunal de Grande Instance in Paris, am Mittwoch vergangener Woche das spektakuläre Verdikt bekannt: 3,7 Milliarden Euro Busse, dazu Schadenersatz von 800 Millionen Euro.
So viel soll die Schweizer Grossbank zahlen, weil sie sich schuldig gemacht habe, Steuerpflichtige in der Umgehung des Fiskus anzuleiten. Zwar handelt es sich bei dem Schuldspruch um ein erstinstanzliches Urteil, das die Bank zweimal anfechten kann. Doch die vom Gericht geforderten Straf- und Wiedergutmachungszahlungen sind ein Fakt. Damit wird das Drehbuch zur Makulatur, mit dem die UBS-Führung am 2. Mai vor die Aktionäre treten wollte.
Die zum Jahresende ausgewiesenen Rückstellungen für offene Rechtsstreitigkeiten und regulatorische Auflagen belaufen sich auf 2,4 Milliarden Franken. Das ist bei weitem nicht genug, um die Prozessrisiken in Frankreich abzubilden. Den zusätzlichen Rückstellungsbedarf kann die Bank also nicht weiter ignorieren. Sie wird möglicherweise noch zulasten des alten Geschäftsjahres einen Milliardenbetrag zur Seite legen. Das ist der Hintergrund, weshalb die UBS die auf gestern Freitag terminierte Veröffentlichung ihres Geschäftsberichtes um zwei Wochen verschoben hat.
Der Verwaltungsrat steckt in einem bekannten Dilemma: Wer soll für den Schaden bezahlen? Die Aktionäre haben ihre Rechnung präsentiert erhalten. Der Aktienkurs, der am 22. Januar, nach Vorlage des Jahresergebnisses, bei 13 Franken gestanden hatte, notiert inzwischen 2 Prozent tiefer. An der Börse hat die UBS damit eine Milliarde Franken an Wert verloren. Zur Wochenmitte hatte der Verlust gar über 5 Milliarden Franken betragen.
Für Fehlleistungen müsste der Chef geradestehen. Doch Sergio Ermotti wurde erst im November 2011 zum CEO ernannt. Die vom Pariser Gericht untersuchten Steuerbetrugsfälle beziehen sich auf die Zeit von 2004 bis Ende 2011. Bleibt der Tessiner unbehelligt, ginge er wohl auch 2018 als einer der Topverdiener in die Statistik ein. 2017 hatte er 14,2 Millionen Franken nach Hause genommen – nur Roche-Chef Severin Schwan bekam mehr. Die UBS im Elend, Ermotti auf dem Podest – zehn Jahre nach der Staatsrettung kann sich die UBS dieses Signal kaum leisten.
Aber wer soll den Kopf sonst hinhalten? Präsident Axel Weber stand 2017 mit seinen Honoraren und Tantiemen im Gesamtbetrag von über 6 Millionen Franken auf dem Podest der höchstbezahlten Verwaltungsräte. Doch er kam erst nach der Steueraffäre. Vielleicht wäre Chefjurist Markus Diethelm ein Kandidat für die Opferrolle, doch was ist mit Sunrise-Präsident Peter Kurer? Schliesslich war er von 2001 bis 2008 der Chefjurist. Oder sollten Oswald Grübel und Kaspar Villiger zur Verantwortung gezogen werden? Beide liessen sich zu einer Zeit vor den UBS-Karren spannen, als sich alle anderen profilierten Persönlichkeiten drückten.
Und überhaupt, wie soll diese Verantwortung rückwirkend eingefordert werden? Der frühere UBS-Chef Peter Wuffli, der das Schlamassel im US-Hypotheken-Geschäft mitverantwortet hatte, liess sich ein Jahr später dazu bewegen, auf einen Lohnanteil von 12 Millionen Franken zu verzichten. Obschon ihm dieser arbeitsrechtlich zustand. Seine damaligen Mitstreiter Stephan Haeringer und Marco Suter taten es gleich. Doch geöffnet hatte das Portemonnaie nur Marcel Ospel, der einen Teil seiner in den Jahren 2003 bis 2007 bezogenen Löhne und Boni im Wert von 38 Millionen Franken zurückgezahlt hat.
Wirkungslos blieb eine im Anschluss an die UBS-Krise im Aktienrecht verankerte Bestimmung, nach der Gesellschaften ihre Leitungsorgane bei offensichtlichen Fehlleistungen gerichtlich zu Rückerstattungen verpflichten können. Auch die Anpassungen im Zug der Abzockerinitiative zeigten kaum Ergebnisse. Zwar kennen inzwischen viele Banken und Versicherungen sogenannte Rückforderungs- oder «Claw Back»-Klauseln. Doch Vincent Kaufmann, der als Direktor der Anlagestiftung Ethos Jahr für Jahr Hunderte von Geschäftsberichten sichten lässt, kann nach eigener Aussage keinen einzigen Fall nennen, in dem eine Rückforderungsklausel relevante Wirkung entfaltet hat.
Dass die Cheflöhne in gewissen Branchen ein Eigenleben führen, zeigt sich im Finanzsektor besonders. Auswüchse lassen sich indes auch in der Industrie feststellen. Sulzer-Chef Greg Poux-Guillaume liess sich 2018 eine Lohnerhöhung um 30 Prozent auf 5,8 Millionen Franken gewähren. Wobei diese immerhin im Einklang mit einer Gewinnsteigerung um 35 Prozent steht. Doch im Vergleich zu den 3,5 Millionen Franken von Georg-Fischer-Chef Yves Serra erscheint der Lohn von Poux-Guillaume merkwürdig. Serra musste trotz Gewinnsteigerung (+11 Prozent) eine Lohneinbusse (–8 Prozent) hinnehmen. Und er führt im längerfristigen Vergleich ein erfolgreicheres und inzwischen auch grösseres Unternehmen als Sulzer.
Das Thema Managerlöhne bleibt in Investorenkreisen hochaktuell. Allianz Global Investors (AGI), der Asset-Manager des gleichnamigen deutschen Versicherungskonzerns, der auch für Drittkunden über 500 Milliarden Euro verwaltet, gab diese Woche seine Bilanz der letztjährigen GV-Saison bekannt. AGI nahm an weltweit 8535 Generalversammlungen teil und hat dort jeden zweiten Vergütungsantrag abgelehnt. In der Schweiz betrug die Ablehnungsquote 32 Prozent.
Mitarbeit: Niklaus Vontobel