Analyse
Regeln, die niemand einhält: Die Top-Shots haben allesamt versagt

Zu lange beriefen sich die Schweizer Banken auf das Bankgeheimnis. Von unlauteren Geschäftspraktiken wollen die Chefs nichts gewusst haben. Ihr Versagen mindert das nicht. Die Aktionäre bezahlen dies mit Milliarden.

Roman Seiler
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Die Spitze der Credit Suisse bei der Anhörung vor dem US-Senat: Romeo Cerutti, Brady Dougan, Robert Shafir und Hans-Ulrich Meister (von links).

Die Spitze der Credit Suisse bei der Anhörung vor dem US-Senat: Romeo Cerutti, Brady Dougan, Robert Shafir und Hans-Ulrich Meister (von links).

Keystone

Die Busse der Credit Suisse (CS) von 2,6 Milliarden Dollar ist ein Debakel mit Ansage: Die Banken klammerten sich an das Bankgeheimnis, weil es ein ausgezeichnetes und lange risikoarmes Geschäft war. Sie hielten auch deshalb daran fest, um im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft keine Marktanteile an die ausländische Konkurrenz preiszugeben.

Flankenschutz beim Ritt in das Debakel gewährten die bürgerlichen Politiker: Sie standen wie eine Eins zu den Bankern.

Das Bankgeheimnis, das serielle Steuerhinterzieher deckte, galt für die CVP, die FDP und die SVP als nicht verhandelbar.

Als Anfang dieses Jahrtausends die EU, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie die USA wachsenden Druck auf Länder mit Bankgeheimnis ausübten, erhielten die Banken weiter Rückendeckung.

Das ging so lange gut, bis die USA 2008 die UBS in den Schwitzkasten nahm. Der Milliardär und Steuerhinterzieher Igor Olenicoff flog auf. Der US-Amerikaner war Kunde der Grossbank.

Bradley Birkenfeld, sein Vermögensverwalter, packte in den USA aus, wanderte ins Gefängnis und kassierte mehr als 100 Millionen Dollar für seine Dienste als Whistleblower. Die UBS zahlte eine Busse von 780 Millionen Dollar. Per Notrecht machte der Bundesrat möglich, dass die USA Daten von UBS-Kunden erhielten.

Der Finanzplatz kam danach flächendeckend unter Feuer: Seit bald sechs Jahren leidet die Branche unter dem extrem kostspieligen Steuerstreit.

Mittlerweile zeigten sich in den USA 40 000 Steuersünder selber an. Deren Aussagen bieten den Ermittlungsbehörden einen umfassenden Einblick ins Geschäft der Geldhäuser mit der Verwaltung unversteuerter Gelder.

Mehr als 20 Banker und Berater sind in den USA inzwischen angeklagt worden. Drei Banken gingen wegen der Betreuung von US-Steuersündern unter. Gegen 13 weitere laufen Strafuntersuchungen, darunter die CS, die Basler und die Zürcher Kantonalbank sowie Julius Bär. Mehr als 100 Finanzinstitute teilten sich in Kategorie 2 des Programms mit den USA zur Beilegung des Steuerstreits ein: Sie bekannten sich dazu, US-Steuersünder betreut zu haben.

Bis heute gestanden nur zwei Top-Banker, unversteuertes Geld von US-Amerikanern wissentlich angenommen zu haben. Es waren zwei Partner der untergegangenen Bank Wegelin, Otto Bruderer und Konrad Hummler. Der ehemalige Vermögensverwaltungschef der UBS, Raoul Weil, wurde im vergangenen Herbst in Bologna verhaftet. Er kam nach der Zahlung einer Kaution von 10,5 Millionen Dollar auf freien Fuss. Im kommenden Spätherbst steht er in den USA wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor Gericht.

In der Schweiz war Weil trotz des Haftbefehls der USA als Banker tätig. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) erteilte ihm die «Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit». Bereits die Vorläuferorganisation der Finma, die Eidgenössische Bankenkommission (EBK), gab ihm und weiteren UBS-Chefs wie Marcel Rohner 2009 einen Persilschein. In einem Bericht hielt die EBK fest, «keine Anzeichen für ein Mitwissen der obersten Organe der Bank gefunden zu haben».

Dieses Spiel geht bis heute weiter. Unter Eid sagte die CS-Spitze im Februar vor dem Senat in Washington, sie hätten von den Machenschaften nichts gewusst. Nicht gewusst, dass Mitarbeiter die Lizenz der CS in den USA aufs Spiel setzten, indem sie ohne Bewilligung in den USA mit Steuersündern in Kontakt getreten waren. Der Präsident des Verwaltungsrats (VR), Urs Rohner, sagte kürzlich an der Generalversammlung, die Verantwortlichen für das US-Debakel hätten die CS längst verlassen.

Damit zeigte er indirekt auch auf seine und die Vorgänger von CEO Brady Dougan: Denn die Geschäfte mit dem unversteuerten Geld gehen bis in die 1990er-Jahre zurück. Dies zeigt das Geständnis des treuen CS-Soldaten Josef Dörig. Er betreute über seine private Firma US-Kunden mit Schwarzgeld. Die Vermögenswerte lagen bei der CS.

Das heisst also: Unter den früheren Chefs der Grossbank, Lukas Mühlemann und Oswald Grübel, sowie Ex-VR-Präsident Walter Kielholz machten Mitarbeiter der Bank Geschäfte mit US-Steuersündern.

Noch pikanter ist: Walter Berchtold, zwischen 2006 und 2011 Privat-Banking-Chef, liess sich gar in den USA als Zeuge befragen. Auch er erzählte gegenüber dem «SonntagsBlick» die alte Legende: Bereits vor der Unterzeichnung eines Agreements betreffend die Betreuung von US-Kunden mit den USA im Jahr 2001 sei «alles Nötige» unternommen worden, «um amerikanische Vorschriften einzuhalten».

Die mit Millionen Franken bezahlten Ex-Top-Shots der UBS, darunter Peter Kurer, Marcel Rohner, Raoul Weil sowie CS-VR-Präsident Urs Rohner und sein CEO Brady Dougan, wollen alle nicht gewusst haben, was Untergebene in den USA angerichtet haben. Glauben wir ihnen also.

Aber dann haben sie allesamt versagt. Wie auch ihre Vorgänger. Sie sorgten nicht mit aller Kraft dafür, dass die von ihnen verlangten Regeln auch wirklich umgesetzt worden sind. Das kostet ihre Aktionäre Milliarden. Daher sollten Rohner, Dougan und ihr Rechtschef Romeo Cerutti die Verantwortung für das Debakel übernehmen und zurücktreten.

Gut beraten wären zudem die bürgerlichen Parteien, wenn sie die Idee aufgäben, das Bankgeheimnis wenigstens im Inland zu retten. Es verursacht nur noch Kosten.