Startseite
Wirtschaft
Im Schweizer Vorsorgemarkt werden derzeit vor allem hochtrabende Leistungsversprechen honoriert. Warum dies gefährlich ist: Zehn brennende Fragen und Antworten.
Inhaltsverzeichnis
Erfreulicherweise ist das Alterskapital von über einer Billionen Franken, das den mehr als fünf Millionen Versicherten in der zweiten Säule gehört, auch in der Corona-Krise nicht geschmolzen. Im Gegenteil: Die Vermögen haben 2020 eine durchschnittliche Anlagerendite von 4,4 Prozent abgeworfen. Das Problem: Von den guten Anlagerenditen kommt immer weniger bei jenen Arbeitnehmenden an, die noch im aktiven Berufsleben stehen und auf die Pensionierung sparen.
Die Pensionskassen sind gezwungen, ihre Leistungsversprechen für die 4,3 Millionen Aktivversicherten laufend zu Gunsten der 900'000 Pensionäre zu senken. Gründe dafür sind der hohe Mindestumwandlungssatz und die gestiegene Lebenserwartung. Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge beziffert die jährliche Umverteilung im Mittel der vergangenen fünf Jahre auf 6,3 Milliarden Franken.
Die tieferen Verzinsungen motivieren viele Firmen, ihre BVG-Lösung zu überdenken. Das gilt vor allem für KMU, deren Vorsorgewerke typischerweise bei gemeinschaftlichen Sammelstiftungen angeschlossen sind. KMU bevorzugen traditionell sogenannte Vollversicherungslösungen. In diesem Modell übernimmt eine Versicherungsgesellschaft nicht nur die Verwaltung des Vermögens, sondern vor allem trägt sie auch die ganzen Anlagerisiken. Dieses Angebot ist derzeit wenig gefragt.
Weil die Versicherung das ganze Anlagerisiko trägt und dieses jederzeit zu 100 Prozent garantieren muss, kann sie auf den Finanzmärkten weniger Risiken eingehen. Dementsprechend ist auch das Renditepotential beschränkt. Unattraktiv ist dies vor allem für Versicherte mit hohen Löhnen, denn der gesetzliche Mindestumwandlungssatz gilt nur bis zu einem maximalen Jahreslohn von 84'000 Franken.
Viele holen sich Offerten von sogenannt «teilautonomen» Gemeinschaftsstiftungen. Der versicherungsunabhängige Anbieter Asga spricht auf Anfrage von einem «relevanten Anstieg der Offertanfragen». Die teilautonomen Gemeinschaftsstiftungen tragen die Anlagerisiken der angeschlossenen Vorsorgewerke nicht selbst. Sie werden von den angeschlossenen KMU und ihren Versicherten getragen. Zudem unterstehen die Teilautonomen nicht den strengen Kapitalvorschriften, wie sie die Versicherer erfüllen müssen. Dementsprechend können die Teilautonomen auch höhere Anlagerisiken eingehen und mehr Leistungen versprechen.
Die vom Versicherungskonzern Axa betreuten, teilautonomen Sammelstiftungen versprechen ihren Aktivversicherten bis zu 30 Prozent mehr Rente nach der Pensionierung. Axa sagt: «Teilautonome Lösungen sind deutlich freier und flexibler in ihrer Anlagestrategie als Vollversicherungen und können langfristig deutlich bessere Ertragschancen zugunsten der Versicherten wahrnehmen.» Das ist gelinde gesagt eine aggressive Ansage.
Nicht unbedingt, aber sie erzählt sicher nur die halbe Wahrheit. Die Ansage unterschlägt die Risiken. Diese sind gerade im aktuellen Umfeld erheblich. Die Aufsichtsbehörde hat festgestellt, dass im vergangenen Jahr 76 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen ein ziemlich hohes bis hohes Risikoprofil in der Anlagestrategie aufweisen. 2019 belief sich der Wert noch auf 58 Prozent.
Nein. Zum Problem wird das Risiko erst dann, wenn die Risikovorsorge ungenügend ist. Das ist in der beruflichen Vorsorge leider zunehmend der Fall. Die Aufsichtsbehörde erfragt von allen 1500 Vorsorgewerken in der Schweiz jährlich die angestrebte Wertschwankungsreserve zur Abdeckung von Anlageverlusten. Obschon die Kurse an den Aktienmärkten seit über 10 Jahren steigen, liegt diese wichtige Masszahl mit 76 Prozent immer noch deutlich unter dem Zielwert von 100 Prozent.
Nach dem Börsenkrach im ersten Quartal 2020 wiesen 45 Prozent aller Vorsorgewerke einen Deckungsgrad von unter 100 Prozent auf. Diese Zahl bedeutet, dass die künftigen Rentenverpflichtungen solcher Kassen nicht mehr vollständig durch das vorhandene Vorsorgekapital gedeckt sind. Die Kassen müssen je nach Ausmass und Dauer der Unterdeckung saniert werden – auf Kosten der Aktivversicherten und der Arbeitgeber. Das kann in einer Gemeinschaftsstiftung für die schon lange angeschlossenen Vorsorgewerke besonders frustrierend sein.
Das passiert, etwa wenn die einer Stiftungen angeschlossenen Vorsorgewerke der ersten Stunde solide Wertschwankungsreserven aufgebaut haben, die dann durch viele Neuanschlüsse von weniger gut mit Reserven dotierte Vorsorgewerken verwässert werden. Der Wettbewerb unter den Gemeinschaftsstiftungen kann solche Umverteilungen verstärken, denn viele Stiftungen streben nach Grösse, um ihre Infrastruktur besser auszulasten und die Kosten zu senken. Damit werden sie zwar wettbewerbsfähiger, aber sie handeln unter Umständen gegen die Interessen ihrer langjährigen Kunden. Das Problem ist umso gravierender, weil wenig Transparenz über die von den Gemeinschaftsstiftungen gebotene Sicherheit besteht.