Montagsinterview
Roche-Chef Schwan: «Misserfolg ist oft die Basis für Erfolge»

Roche-Chef Severin Schwan spricht im Interview über die hohen Medikamentenpreise, den Konkurrenten in Basel, Novartis, und die heikle Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.

Christian Dorer und Andreas Schaffner
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Roche-Chef Severin Schwan ist von seinem Kurs überzeugt: Er setzt auf Innovation statt auf Nachahmerprodukte.

Roche-Chef Severin Schwan ist von seinem Kurs überzeugt: Er setzt auf Innovation statt auf Nachahmerprodukte.

René Ruis/Keystone

Roche-Chef Severin Schwan war am Freitag Gast am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken. Vor Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Forschung sprach einer der erfolgreichsten Manager der letzten Jahre über seine Führungsgrundsätze – auch über den Umgang mit Misserfolgen. Nach seiner Rede traf er sich mit der «Nordwestschweiz» zum Interview – ganz entspannt.

Herr Schwan, Sie sagten in Ihrer Rede: «Vorsicht vor Beratern. Nur unfähige Manager klammern sich an Unternehmensberater.» Sind Sie ein fähiger Manager, der keine braucht?

Severin Schwan: Nun, auch ich nehme hie und da Unternehmensberater in Anspruch. Doch oft werden sie hinzugezogen, weil Manager nicht den Mut haben, Entscheidungen zu treffen oder sich vorne hinzustellen und zu sagen: Das ist meine Entscheidung. Das finde ich schwach. Dagegen bin ich allergisch.

Zur Person

Der 47-jährige Österreicher leitet den Pharmakonzern Roche seit 2008. Im Unternehmen ist er schon seit über zwanzig Jahren. Der Jurist stiess gleich nach seiner Promotion an der Universität Innsbruck zu Roche. Ausser in Basel war er in Brüssel, Grenzach und Singapur für den Konzern tätig. 2006 wurde Schwan Leiter der Diagnostik-Sparte. Als sich Franz Humer auf das Verwaltungsrats-Präsidium beschränkte, übernahm Schwan die Führung. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Die Roche-Gruppe beschäftigte 2014 weltweit über 88 500 Mitarbeitende und erzielte einen Umsatz von 47,5 Milliarden Schweizer Franken. Schwan hat 2014 unter den Schweizer Topmanagern am meisten verdient: Er nahm laut Ethos über 14 Millionen Franken ein.

Sie betonen gerne die Vorteile eines Familien-Aktionariats. Denkt man an Sika, kann das auch schiefgehen.

Wir müssen langfristig denken, weil wir lange Entwicklungszeiten haben für unsere Wirkstoffe und Medikamente. Das sind hohe Risiken, die eine Firma eingeht. Deshalb ist es ein Privileg, dass wir mit den Gründerfamilien Hoffmann und Oeri Aktionäre haben, die die nachkommende Generation im Auge haben. Es gibt viele Erfolgsbeispiele in der Geschichte von Roche, die nur möglich waren, weil wir frühzeitig investiert und einen langen Atem bewiesen haben. Ich denke hier an den Kauf von Genentech, die uns den Einstieg in die Biotechnologie ermöglichte, weit vor unserer Konkurrenz. Damals aber wurde dieser Schritt von der Finanzgemeinde nicht goutiert.

Wer Risiken eingeht, kann auch scheitern. Sie plädieren für eine Kultur des Scheiterns, etwa, indem Sie bewusst auch Misserfolge feiern. Warum?

Wir sind in einem hochriskanten Geschäft tätig, in dem 90 Prozent unserer Projekte in der klinischen Entwicklung scheitern. Hier kann man einen noch so guten Job machen: Man scheitert zwangsläufig mit vielem. Für mich ist entscheidend, dass die Mitarbeiter ihre Motivation nicht verlieren und weiterhin Risiken eingehen. Das ist das Signal, das ich mit diesen Feiern geben möchte. Unsere Forscher müssen mit Misserfolgen umgehen können und es noch einmal probieren. Das ist das Wesen der Innovation. Oft ist der Misserfolg die Basis für den weiteren Erfolg.

Was den Arbeitgeber betrifft, sind Sie selber nie Risiken eingegangen: Sie waren immer bei der Roche. Ist das nicht langweilig?

Hätten Sie mich damals als Trainee gefragt, hätte ich nie gedacht, dass ich für immer bei einem einzigen Unternehmen bleiben werde. Der Vorteil einer grossen Firma ist jedoch, dass man in vielen Geschäftsbereichen und Kulturkreisen arbeiten kann. Für mich kam immer wieder etwas Neues, meine Vorgesetzten hatten immer den Mut, mich ins kalte Wasser zu stossen. Und plötzlich war ich CEO . . .

Als solcher waren Sie jahrelang der Überflieger der Pharma-Branche, hatten die Nase vorn in der Krebstherapie, heimsten Traummargen ein. Nun holen andere auf, auch Ihr Basler Konkurrent Novartis. Wurmt Sie das?

Ich freue mich, dass sich Novartis gut entwickelt. Das ist gut für den Pharmastandort Schweiz, für die Industrie und die Patienten.

Seit dem Abgang von Novartis-CEO Daniel Vasella 2013 steigt der Aktienkurs rascher als bei Ihnen.

Novartis geht es gut – aber auch uns geht es gut! Wir haben im letzten Jahr vielversprechende Medikamente auf den Markt gebracht.

Sie sind umsatzmässig von drei Medikamenten abhängig. Deren Patente laufen in den nächsten drei Jahren ab.

Das stimmt. Aber das ist in unserer Industrie so: Der Patentschutz gilt für 20 Jahre. Etwa 10 Jahre dauert es, bis ein Medikament entwickelt und zugelassen ist. Bleiben also zehn Jahre, um Geld zu verdienen und die Forschung zu amortisieren. Dann kommen günstige Nachahmerprodukte auf den Markt. Deshalb müssen wir alle zehn Jahre unser Portfolio ersetzen – sonst sind wir weg. Dazu kommt: Je erfolgreicher wir sind, desto grösser ist die Herausforderung, einen Ersatz zu finden, der wieder gleich viel Umsatz bringt. Wir glauben aber, dass wir erfolgsversprechende Wirkstoffe in der Entwicklung haben.

Sie sehen also einfach zu?

Wenn alle diese Produkte erfolgreich werden, dann brauchen wir uns über das künftige Wachstum keine Sorgen zu machen. Wenn alle fehlschlagen, dann haben wir ein Problem. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Rückgänge kompensieren können.

Im letzten Jahr haben Sie einen herben Rückschlag erlitten: bei einem Medikament, das gegen Schizophrenie eingesetzt werden sollte. Wann wird es in diesem Bereich Fortschritte geben?

Wir verstehen die Abläufe im Gehirn immer besser. Deshalb werden wir auch neue Anknüpfungspunkte für neue Medikamente finden. Das Potenzial ist enorm, denken Sie nur an die Alzheimer-Erkrankungen.

Das wird noch dauern – und trotzdem geben Sie einen erheblichen Anteil Ihrer Entwicklungsausgaben für die Hirnforschung aus. Lohnt sich das?

Ja. Die Situation erinnert mich an die Entwicklung von Krebsmedikamenten vor zwanzig Jahren. Damals glaubte kaum jemand daran, dass die Forschung eines Tages Lösungen findet; ja viele Experten erklärten gar, warum dies nie möglich sein wird. Man hatte einen Tumor und sah, dass er wächst. Damals verstand man noch nicht, was in den Zellen tatsächlich passiert. Erst als diese Erkenntnis wuchs, entstanden neue Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten.

Warum steigen Sie nicht auch ins Geschäft mit Nachahmerprodukten ein?

Wir konzentrieren uns lieber auf Innovationen und neue Produkte. Da bauen wir die Kapazitäten derzeit aus – auch in der Schweiz. Denn die Nachfrage nach unseren Produkten, auch der neuen, wird stark zunehmen. Etwa aus Ländern wie China, wo Krankheiten wie Krebs zu immer grösseren Herausforderungen werden.

Vor einer Woche wurden ganz neue Wirkstoffe präsentiert, die Krebstherapien revolutionieren könnten. Werden diese Krebsmedikamente teurer?

Nicht unbedingt. Wirksamere Medikamente können die Gesundheitskosten insgesamt sogar senken. Heute wirkt im Schnitt nur jedes zweite eingesetzte Krebsmedikament. Die neuen Medikamente stärken das körpereigene Immunsystem. Wenn wir damit eine bessere Wirkung erzielen, wird es für die Gesellschaft insgesamt günstiger. Und wenn wir die Überlebensrate erhöhen, ist das abseits der Kosten ein enormer Fortschritt.

Tendenziell aber schon teurer.

Es kommt wirklich auf die Kombination an. Wir haben Ergebnisse präsentiert, in denen die neuen Wirkstoffe mit einer Chemotherapie kombiniert wurden. Das ist nicht teurer als heute, für die meisten Chemotherapien gibt es heute günstige Generika auf dem Markt. Aber ich gebe Ihnen recht: Wenn man zwei Medikamente der neusten Generation kombiniert, ist die Therapie teurer. Wir versuchen, mit den Kassen neue Preissysteme zu finden. Entweder mit einem Plafond, was man für eine Therapie ausgeben kann. Oder mit einer Art Geldzurück-Garantie. Aber da sind wir in einem frühen Stadium.

Wird man Krebs je heilen können?

Für einzelne Krebsarten können wir heute tatsächlich schon von einer Heilung sprechen. Ich denke da an Brustkrebs oder Leukämie, wo in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht wurden. Mit den neuen Immuntherapien werden wir den Krebs auch im fortgeschrittenen Stadium, also wenn sich bereits Metastasen gebildet haben, besser in den Griff bekommen. Viele Krebsarten sind aber noch nicht heilbar.

In den Diskussionen um Medikamentenpreise führt die Pharmaindustrie oft die Forschungsausgaben ins Feld . . .

. . . das mache ich nicht! Dem Patienten ist egal, welche Ausgaben wir haben. Ihm geht es nur um seinen Nutzen. Das ist wie beispielsweise bei einer Uhr: Wenn Ihnen ein Händler sagt, dass eine bestimmte Uhr teurer sein muss, weil er höhere Kosten hat, dann lachen Sie nur. Es kommt auf den Nutzen an, und dann stellt sich die Frage, was der Kunde bereit ist zu zahlen.

Auf eine Luxusuhr kann man verzichten. Doch wenn es darum geht, das Leben zu verlängern, ist es etwas anderes.

Deshalb braucht es einen gesellschaftlichen Konsens. Das ist in der Schweiz gut gelöst mit der Arzneimittelkommission, in der Hersteller, Krankenkassen, Ärzte und Patientenvertreter zusammensitzen und sich auf einen Kompromiss einigen. Die Krankenkassen müssen ihre Kosten im Griff behalten. Das verstehen wir gut. Aber die Krankenkassen sind bereit, für ein Medikament, das wirklich mehr Nutzen bringt, einen Aufpreis zu bezahlen.

Sie verdienen ganz gut daran . . .

Sie sehen natürlich immer die gut gehenden Firmen. Doch was oft vergessen geht: Immer wieder verschwinden Pharmafirmen vom Markt, weil es ein riskantes Geschäft ist. Auch die Roche hat in ihrer Geschichte schwierige Zeiten durchgemacht. Sie ist einmal fast pleite gegangen. Wer also in die Pharmaindustrie investiert, der muss mit denjenigen Firmen, die erfolgreich sind, Verluste kompensieren, die er mit den übrigen einfährt.

In der Schweiz sind die Medikamentenpreise ein Dauerthema. Warum senken Sie die Preise nicht einfach?

So unwichtig ist der Schweizer Markt nicht. Denn er hat eine Signalwirkung auf andere Länder. Ohnehin sind die Medikamentenpreise in der Schweiz in den letzten Jahren massiv günstiger geworden und sind nun zum Teil bei den Originalpräparaten tiefer als in den umliegenden Ländern. Es ist eine Mär, dass die Gesundheitskosten durch Medikamentenkosten getrieben werden; sie machen nur 10 Prozent aus, Tendenz sinkend. Übrigens: Volkswirtschaftlich macht die Schweiz mit der Pharmaindustrie ein super Geschäft. Wir zahlen in der Schweiz ein x-Faches an Steuern, als wir Umsatz machen. Das liegt daran, dass wir hier wertschöpfungsintensive Bereiche haben, aber nur ein Prozent unseres weltweiten Umsatzes generieren.

Sie investieren drei Milliarden Franken in Basel. Ärgert Sie da der lokale Widerstand gegen den Turmbau?

Ich sehe keinen Widerstand. Der Ausbau des Roche-Areals wird von der Bevölkerung breit unterstützt. Was ich durchaus verstehen kann, ist, dass die unmittelbaren Anwohner nicht jahrelang neben einer Baustelle wohnen wollen. Aber auch hier führen wir sehr konstruktive Gespräche, um die Auswirkungen möglichst verträglich zu gestalten.

Hat die Investition in der Schweiz rein ökonomische Gründe?

Natürlich spielt die Geschichte eine Rolle, wir sind seit fast 120 Jahren in Basel verwurzelt. Doch ausschlaggebend sind ökonomische Gründe: Unsere Produktivität hier ist gut, wir finden hier bestens ausgebildete Mitarbeitende. Daneben profitieren wir von einer hohen Rechtssicherheit und der politischen Stabilität. Sicher ist jedoch, dass wir in der Schweiz keine einfachen Routinearbeiten mehr ausführen können. Aber wir siedeln hier Bereiche mit hoher Wertschöpfung an.

Trotz dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative?

Gewisse Tendenzen wie ebendiese Abstimmung bereiten mir in der Tat Sorgen. Roche ist auf offene Grenzen angewiesen. Nur so können wir die besten Forscher und Spezialisten aus der ganzen Welt rekrutieren. Noch spüren wir keine Probleme. Aber ich muss mich beim Treffen mit Kollegen oder bei der Rekrutierung erklären.

Was sagen Sie dann?

Ich versuche zu beruhigen und sage, dass man in gutschweizerischer Manier schon eine Lösung finden wird. Im Augenblick ist es mehr eine Frage der Stimmung. Und ich hoffe natürlich, dass wir bald eine Lösung finden, die uns ermöglicht, dass wir in der Schweiz auch in Zukunft investieren können.

Die Initiative verlangt Inländervorrang. Wäre das für Sie praktikabel?

Unmöglich! Wir suchen manchmal nach Spezialisten auf einem Gebiet, wo es weltweit nur drei oder vier Fachleute hat. Da spielen auch weiche Fragen eine Rolle – also ob diese Menschen hier willkommen sind oder nicht.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Das überlasse ich der Politik. Da mische ich mich nicht ein. Hauptsache ist, dass die Grenzen offenbleiben und wir die Talente aus der ganzen Welt, inklusive EU, in die Schweiz bringen.