Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen trifft auch die Schweiz. Für Verwirrung sorgt das Bundesamt für Strassen (Astra) mit zwei Ankündigungen, die Garagisten und viele private Autobesitzer aufhorchen lassen.
Vier VW wollte der Verkäufer eines Autohauses im Kanton Zürich am Samstag an den Mann beziehungsweise an die Frau bringen. So viele Interessenten hatten sich angekündigt. «Drei davon», sagt der Händler, der ungenannt bleiben will, «haben ihren Termin schon vorab abgesagt.» Und auch der Vierte sei nicht sonderlich motiviert zum Treffen erschienen. Von den vier potenziellen VW-Kunden schlug am letzten Wochenende keiner zu. «Die Leute sind verunsichert», sagt der Händler. Schwer wiegt der Skandal um manipulierte Abgaswerte beim zweitgrössten Autobauer der Welt.
Zur Besserung der Lage trug auch das Bundesamt für Strassen (Astra) nicht bei, als es sich am Freitag für ein Zulassungsverbot für alle manipulierten Fahrzeuge aussprach. Im Gegenteil: Betroffene Modelle werden praktisch unverkäuflich. Erschwerend kommt die unklare Faktenlage hinzu: Das Verbot – sofern es überhaupt erlassen wird, denn noch ist die entsprechende Verordnung erst angekündigt – gilt für Erstzulassungen.
Ob auch die erneute Zulassung nach einem Verkauf von bereits auf den Schweizer Strassen herumfahrenden Autos im Visier des Astra ist, blieb zunächst fraglich. Laut einer Mitteilung des Astra von Freitagabend ist das nicht der Fall. Glaubt man jedoch dem «Tagesanzeiger», könnten auch die Occasionen unter das Zulassungsverbot fallen. In ihrer gestrigen Ausgabe schreibt die Zeitung mit Verweis auf eine exklusive Einsicht in die Astra-Verfügung, das Verkaufsverbot betreffe auch private Autobesitzer. Gestern Abend dann die Präzisierung der Behörde: «Das Astra bereitet Verfügungen vor, welche verhindern, dass neue, noch nicht zugelassene Fahrzeuge oder Occasionsfahrzeuge aus dem Ausland in Verkehr gesetzt werden können.» In der Schweiz zugelassene Occasionen sind demnach vom Zulassungsverbot nicht betroffen.
Wirkungslos bleibt die Verwirrung der letzten Tage indes nicht. Schaden nimmt der ohnehin schon arg gebeutelte Occasionsmarkt in der Schweiz. Denn ob das Verkaufsverbot nun für Gebrauchte gilt oder nicht – eines hat die unklare Situation bereits gebracht: einen zusätzlichen Vertrauensverlust in die Marke VW. Markus Peter vom Automobil Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) sagt: Potenzielle VW-Kunden würden den Kauf eines Dieselfahrzeugs heute sehr genau hinterfragen. Die Astra-Meldung vom Freitag hält Peter für verfrüht und unklar. «Das Bundesamt hat mehr Unsicherheit als Aufklärung mit dieser Mitteilung geschaffen.»
Diese Verunsicherung umfasst weit mehr als die 1000 Autos in den Garagen der Händler. 128 802 Fahrzeuge der Marken Volkswagen, Audi, Seat, Skoda und VW Nutzfahrzeuge seien in der Schweiz betroffen, heisst es seitens des Generalimporteurs Amag. Die verschiedenen Modelle aus unterschiedlichen Baujahren hätten eines gemeinsam: den VW-Dieselmotor EA189.
Um das manipulierte Aggregat wieder auf den rechten Weg zu bringen, hat Volkswagen nun zum grossen Umrüsten aufgerufen. Im Oktober will der Importeur dem Astra technische Lösungen vorlegen. Nach der Genehmigung könne dann mit Umrüstaktionen begonnen werden. Per sofort hat die Amag einen Verkaufsstopp für Neuwagen mit betroffenem Dieselantrieb erlassen. Es handele sich «lediglich um wenige hundert Neuwagen an Landeslager». Weiterhin gilt laut Amag, «dass alle Neuwagen, die über die europaweit gültige EU6-Norm verfügen und alle Fahrzeuge mit Dieselmotoren, die nicht auf dem Typ EA189 basieren, hiervon nicht betroffen sind.»
Die Verwirrung um die gebrauchten Dieselfahrzeuge von VW, Audi und Co. trifft die Occasionshändler zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Der starke Franken hat das Preisgefüge im Automobilmarkt durchgeschüttelt. «Die Preise für Occasions-Fahrzeuge sind stark gefallen», sagt Markus Peter vom AGVS. Das hängt mit den gesunkenen Preisen für Neuwagen zusammen, die Taktgeber für die Gebrauchtwagen-Preise sind. Man befinde sich derzeit in einer Phase, in der man sich arrangiert, sagt Peter. In der Fahrzeuge teilweise unter Wert verkauft werden. «Der Abgasskandal bei VW macht es für die Händler jetzt nicht einfacher.»
Für den anonym bleibenden Händler aus dem Kanton Zürich ist der Fall jedenfalls klar: «Was bei VW gelaufen ist, ist eine grosse Schweinerei, unter der wir alle jetzt zu leiden haben», sagt er — und zitiert aus seinem Terminkalender, der vor zwei Wochen noch so ausgesehen habe: «Von 50 Terminen waren 9 mit VW-Interessenten.» Für diese Woche hat er bislang 26 Termine gemacht. Doch nicht einer der potenziellen Kunden kommt wegen eines Volkswagens – schon gar nicht wegen eines VW Diesels.