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Wirtschaft
Mit den wirtschaftlichen Lockerungen wachsen auch die Anforderungen an Sicherheitsdienstleister wie Securitas.
Die Bilder gingen um die Schweiz – und sorgten wohl bei so manchem für Kopfschütteln. Noch vor der Wiedereröffnung am Montagmorgen bildeten sich vor zahlreichen Geschäften des Landes lange Menschenschlangen. Die erste Lockerungsetappe des Lockdowns verlangt nicht nur von den Mitarbeitenden der betroffenen Betriebe, sondern auch von den dort engagierten Sicherheitsleuten einiges ab, nicht zuletzt, weil es in gewöhnlichen Alltagssituationen jüngst immer wieder zu Eskalationen gekommen ist (siehe Box am Ende des Interviews).
David Wyder, Regionalleiter Securitas Zentralschweiz, verrät im Gespräch, was nun auf die Branche zukommt – und warum er viele Dienste von Securitas als «systemkritisch» einstuft.
Wenn man die vielen uniformierten Wächter vor Supermärkten, Drogerie-Filialen oder Krankenhäusern sieht, könnte man meinen, die Sicherheitsbranche gehöre zu den Gewinnern der aktuellen Krise. Täuscht dieses Bild?
David Wyder: Die Situation ist innerhalb der elf Regionaldirektionen der Securitas sehr unterschiedlich. In der Zentralschweiz konnten wir die Auftragsverluste bei Sportveranstaltungen und Messen zum Teil durch anderweitige Aufträge im Gesundheitswesen oder Detailhandel kompensieren. Gesamthaft können diese neuen Covid-19 bedingten Engagements aber die ausgefallenen Aufträge bei weitem nicht ersetzen.
Wieso nicht?
In anderen Regionen sind die Auftragsverluste durch die Absagen von Grossveranstaltungen teilweise sehr gross. Man denke etwa an den Autosalon in Genf, die Uhren- und Schmuckmesse in Basel oder die BEA in Bern. Kommt erschwerend hinzu, dass gewisse Aufträge von einem Tag auf den anderen gekündigt wurden. Von Gewinnern kann deshalb keine Rede sein.
Wo werden Sicherheitsleute denn aktuell am meisten gebraucht?
Neben den erwähnten Zusatzdiensten im Gesundheitswesen und Detailhandel führen wir derzeit vermehrt auch Bewachungsaufträge durch, beispielsweise an Orten, wo Desinfektionsmittel und Schutzmaterialien gelagert werden.
Weil für die Schweiz entsprechende Zahlen fehlen, sollen hier zur Veranschaulichung Daten aus Deutschland dienen: Dort erwirtschaften Sicherheitsfirmen im Schnitt 50 Prozent im Objektschutz, 11 Prozent an Flughäfen, 7 Prozent mit Geldtransporten und gerade mal 4 Prozent im Einzelhandel. Steigt mit Corona nun die Bedeutung des Detailhandels?
Wir sind für Unternehmen, Behörden, Veranstalter und Private tätig. Die Segmente überschneiden sich oftmals und sind mit den deutschen Bezeichnungen nur bedingt vergleichbar. Für uns sind primär Sportanlässe, Events und Messen wichtig – und diese sind zurzeit noch alle verboten. Hinzu kommt, dass Aufträge an Flughäfen praktisch weggebrochen sind. All das lässt sich nicht einfach kompensieren. Die Konsequenzen von Covid-19 werden daher noch lange spürbar sein.
Konnte Securitas Mitarbeitende umdisponieren? Lassen sich Wächter einfach von einem Bereich zum anderen transferieren, etwa von Flughäfen in Supermärkte?
Es braucht natürlich ein hohes Mass an Flexibilität von uns allen, aber angesichts des grossen Stellenwerts dieser Aufträge setzen wir alles daran, diese auch erfüllen zu können. Es geht nicht zuletzt auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Mussten Securitas Mitarbeitende in die Kurzarbeit? Wie viele sind in der Zentralschweiz davon betroffen?
Einige Regionaldirektionen der Securitas mussten Kurzarbeit beantragen. In der Zentralschweiz sind wir bis jetzt glücklicherweise von einer solchen Massnahme verschont geblieben. Es lässt sich aber nicht ausschliessen, dass ein solcher Schritt in den nächsten Wochen oder Monaten notwendig wird.
In Deutschland hat ein grosser Sicherheitsdienstleister kürzlich gefordert, die Politik solle die Branche als «systemrelevant» anerkennen, damit Mitarbeitende trotz Kontaktsperren an ihre Einsatzorte gehen können und ihre Kinder in die Notfallbetreuung dürfen. Wie ist die Situation hierzulande?
Wir unternehmen grosse Anstrengungen, um die Einsatz- und Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeitenden in dieser anspruchsvollen Zeit verantwortungsbewusst zu gestalten. Wir selbst erachten viele unserer Sicherheitsdienste als systemkritisch. Da es in der Schweiz aber keine offizielle Definition von Systemrelevanz gibt, sollte der Begriff zuerst rechtlich geklärt werden, bevor entsprechende Forderungen an die Politik gerichtet werden können.
Viele Sicherheitsfirmen klagen aktuell über einen erhöhten Krankenstand. Ist Securitas ebenfalls betroffen?
Natürlich hatten auch wir Bedenken hinsichtlich einer Zunahme der Ausfalltage. Glücklicherweise hat sich dies bis jetzt bei uns in der Zentralschweiz nicht bewahrheitet. Die definitiven Zahlen für die ganze Firma fehlen uns aber noch.
Gibt es abgesehen von den vom Bundesamt für Gesundheit herausgegebenen Weisungen andere Sicherheitsmassnahmen, die Securitas vornimmt, um die Mitarbeitenden zu schützen?
Wir halten uns an die Vorgaben des BAG und haben die Hygienemassnahmen – die Reinigung und Desinfektion von Fahrzeugen, Arbeitsplätzen, Dienstmaterial, Türklinken – intensiviert. Auch wurde zusätzliches Schutzmaterial beschafft, um dieses bei Bedarf abgeben zu können. Jeder Mitarbeitende hat ausserdem die Möglichkeit, sich via interner Hotline zu informieren und dort allenfalls seine Bedenken zu äussern, etwa bezüglich eines Einsatzes.
Was wird sich durch die ersten Lockerungen der Coronamassnahmen für Securitas ändern?
Ich gehe von einer Verschiebung der Auftragslage vom Gesundheitswesen hin zum Retailgeschäft aus, bedingt durch die sukzessive zunehmenden Detailhandelsaktivitäten mit entsprechenden Kontrollvorgaben. Aufatmen können wir aber wohl erst, wenn Grossveranstaltungen wieder erlaubt sind.
(gr) Mitarbeitende in den sogenannt systemkritischen Berufen sind derzeit besonders exponiert – nicht nur in Bezug auf das Virus, sondern auch gegenüber verbalen und körperlichen Übergriffen ihrer Mitmenschen. «Zu Zeiten von Corona eskalieren bisher unproblematische Alltagssituationen in ungewohntem Ausmass», sagt Thomas Herzing, der als ehemaliger Lehrgangsleiter der Polizeischule Hitzkirch über 30 Jahre Erfahrung in der Gewaltprävention verfügt und eine eigene Firma im Bereich integrale Sicherheit führt.
In den letzten Wochen habe er vermehrt Meldungen über solche Eskalationen erhalten, viele davon aus dem Lebensmittelhandel: über Kunden, die Kassiererinnen anpöbeln, oder Hamsterkäufer, die uneinsichtig bleiben, selbst wenn man sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam macht. Er habe gar von Leuten gehört, die in Filialen Obst und Gemüse bespucken. Aber auch Sicherheitsleute würden zurzeit des Öfteren beleidigt, angepöbelt oder angespuckt.
Fast täglich seien diese Menschen mit Reizüberflutungen konfrontiert, sagt Herzing. «Während aber Sicherheitswächter zumindest eine gewisse Erfahrung mit Übergriffen dieser Art haben, ist das Verkaufspersonal in solchen Situationen meist komplett überfordert. Wie soll man reagieren, wenn jemand auf Obst spuckt, oder wenn Kunden mit Pfefferspray aufeinander losgehen wie jüngst in Suhr? Die meisten wissen es nicht.»
Viele Verkäufer seien deswegen verunsichert. Oberstes Ziel sei es, betont Herzing, körperliche Konfrontationen zu vermeiden. «Mitarbeitende sollten auf solche Situationen in Schulungen vorbereitet werden. Zumal das Phänomen ja nicht neu ist.»