Siemens-Campus erwacht zum Leben

Für eine Viertelmilliarde Franken baut der deutsche Industriekonzern Siemens seinen bisherigen Standort in Zug aus. Jetzt zügeln die ersten Angestellten.

Maurizio Minetti
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Letzte Arbeiten in den neuen Siemens-Gebäuden inmitten der Stadt Zug. (Bild: Werner Schelbert (4. Juli 2018))

Letzte Arbeiten in den neuen Siemens-Gebäuden inmitten der Stadt Zug. (Bild: Werner Schelbert (4. Juli 2018))

Der Nachbar in der Wohnung gegenüber hat noch immer stoisch seine Schweizer Flagge aufgehängt. Daneben erspäht man auf den Balkonen Liegestühle. Wer aus einem der zahlreichen Fenster des neuen Fabrikgebäudes von Siemens Building Technologies in Zug schaut, der wähnt sich mitten in einem Wohnquartier. Und so ist es auch. «Es war uns wichtig, dass unsere Bauten in die Umgebung passen und sich Anwohner und Passanten frei durch das Areal bewegen können», erklärt der CEO Matthias Rebellius bei einer Besichtigung der Baustelle. Wobei man seit wenigen Tagen eigentlich nicht mehr von einer Baustelle sprechen darf; die Arbeiten sind nämlich derweil weitgehend abgeschlossen.

Rückblende: Vor sieben Jahren gab der Vorstand des deutschen Siemens-Konzerns grünes Licht für eine der grössten bislang getätigten Investitionen in der Schweiz. 250 Millionen Franken hat das gesamte Bauprojekt gekostet, das nun etappenweise zum Abschluss kommt. Auf dem nördlichen Siemens-Areal unweit des Bahnhofs Zug, wo früher auch die Fabriken von Landis+Gyr standen, entsteht jetzt der neue Siemens-Campus. Er besteht aus einem neuen Bürogebäude, einer neuen Fabrik und einem weiteren Gebäude, das im Jahr 2021 modernisiert und dann die Abteilung Forschung und Entwicklung von Siemens beherbergen wird. Das bisherige Bürogebäude von Siemens übernimmt die Stadt Zug. In einem Jahr ziehen die rund 200 Mitarbeitenden der Stadtverwaltung ins neue Stadthaus an die Gubelstrasse 22. Die anderen Gebäude in der Umgebung, die Siemens nun verlässt, gehören mittlerweile anderen Firmen wie zum Beispiel der Credit Suisse.

Hightech statt manuelle Arbeiten

Dass das Projekt überhaupt realisiert werden konnte, ist keine Selbstverständlichkeit. «Als Anfang 2015 die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufhob, sorgte dies bei uns schon auch für Diskussionen», erklärt Rebellius. In dieser Zeit haben zahlreiche Industriefirmen ihre teuren Standorte in der Schweiz in Frage gestellt, bei Siemens hielt man aber an den Plänen fest. «Es ist ein Bekenntnis zum Industriestandort Zug. In der heutigen Zeit ist ein solcher Schritt nicht selbstverständlich», sagte denn auch der Zuger Stadtrat André Wicki vor zwei Jahren beim Spatenstich. Rebellius räumt indes ein, dass Siemens gleichzeitig auch gewisse manuelle Arbeiten sukzessive ausgelagert habe, «sodass heute in Zug nur noch Hightech-Produktion stattfindet». Vor drei Jahren hatte Siemens den Abbau von 150 Stellen in Zug bekanntgegeben. In Zug befindet sich der globale Hauptsitz der Siemens-Division Building Technologies, die im Bereich Gebäudetechnik tätig ist. So laufen in Zug unter anderem Rauchmelder vom Fliessband, aber auch Komponenten für Lösungen im Bereich Klimatechnik und Energieoptimierung werden in der Zentralschweiz entwickelt und produziert. Weltweit beschäftigt Siemens Building Technologies fast 28000 Personen, in Zug alleine sind es rund 1700.

Rund die Hälfte der lokalen Belegschaft wird in den kommenden Wochen das neue Bürogebäude beziehen. Die Fabrik mit rund 350 Angestellten geht hingegen erst ab November in Betrieb. Als letzter Ausbauschritt werden dann auch die zirka 450 Angestellten der Abteilung Forschung und Entwicklung im Jahr 2022 das sanierte Gebäude beziehen. «Wir sind im Zeitplan und auch im Budget», sagt Rebellius. Auf dem ganzen Areal strebt Siemens einen CO2-neutralen Energieverbrauch an; der Strom stammt dabei vorwiegend aus Wasserkraft. Der siebenstöckige Büroneubau ist offen gestaltet, die Mitarbeiter haben – wie heute schon – keinen fixen Arbeitsplatz. Das gilt im Prinzip auch für den CEO, der aber in der Regel in dem für ihn reservierten Büro mit Blick auf die Rigi anzutreffen sein wird. Selbstverständlich ist das Gebäude vollgestopft mit Siemens-Technologie. «Der Neubau ist auch eine Art Showcase für intelligente Gebäudeautomation», sagt Christoph Leitgeb, der als General Manager dieses Bauprojekt verantwortet.

Geplant wurde der neue Campus mit Hilfe der BIM-Methode, die für Building Information Modeling steht. Dabei werden Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst – es entsteht eine Art digitaler Zwilling. Damit wird auch das Gebäudemanagement erleichtert, denn im BIM-Modell sind alle Komponenten und alle technischen Details hinterlegt. Leitgeb erklärt: «Es ist das bisher grösste abgeschlossene BIM-Projekt innerhalb von Siemens.» Diese Methode habe es den Mitarbeitenden erlaubt, noch während der Bauzeit mit einer Virtual-Reality-Brille die Büros samt Möbel auszukundschaften. «Das war ein grosser Vorteil in der Kommunikation», sagt Leitgeb. Die 18 400 Quadratmeter grosse Bürofläche wird nicht nur von Siemens Building Technologies genutzt; rund ein Drittel wird an Externe vermietet. Unter den Mietern befindet sich unter anderem Stoxx, ein Tochterunternehmen der Deutschen Börse.

Reserve für künftiges Wachstum

Anders hingegen das rund 18000 Quadratmeter grosse Produktionsgebäude. Hier sind naturgemäss keine Drittmieter vorgesehen. Die Fabrik besteht aus drei Geschossen, wobei im Erdgeschoss und im ersten Stock produziert wird. Zahlreiche Details zeigen, dass sich Siemens Mühe gegeben hat, die Fabrik in die Wohnumgebung zu integrieren. So sind die Rampen für die Anlieferungen rechts und links abgeschirmt, sodass die Lastwagen die Anwohner weniger stören. Natürlich habe man auch Auflagen der Stadt erfüllen und zum Teil Kompromisse eingehen müssen, sagt Rebellius. «Unter dem Strich aber hat uns die Stadt Zug verlässlich unterstützt, und die Zusammenarbeit mit den Behörden war sehr zielorientiert und konstruktiv.»

Ein wichtiger Grund für den Bau der neuen Fabrik war eine weitere Erhöhung der Effizienz. «Wir haben den Flächenbedarf mit dem Neubau um einen Drittel reduziert», sagt Rebellius weiter. Diese erhöhte Effizienz erlaube es, die Produktivität weiter zu steigern. «Sowohl bei den Büros als auch in der Fabrik haben wir Reserveflächen für ein zukünftiges Wachstum», sagt Rebellius, CEO Siemens Building Technologies.