Meyer Burger war ein Vorzeigeunternehmen - hochgehandelt, tief gefallen, fast Konkurs. Nun wagt das Unternehmen nach diversen Besitzer- und Chefwechsel den Neustart. Während Analysten zuversichtlich sind, hat der ehemalige CEO Vorbehalte.
Es ist einer der spektakulärsten Strategiewechsel, den die Schweizer Maschinenindustrie je gesehen hat. Meyer Burger, der Solarpionier aus Thun, hat vor Jahresfrist entschieden, nicht mehr nur Maschinen zur Produktion von Solarmodulen herzustellen, sondern selbst ins Geschäft mit diesen einzusteigen. Dafür will er seine Maschinen nur noch für den Eigenbedarf nutzen. Das Vorhaben ist vergleichbar mit einem Hersteller von Zeitungsdruckmaschinen, der sich plötzlich entscheidet, auch eine Tageszeitung herauszugeben.
Der radikale Neuanfang ist kein freiwilliger: Angesichts der schwindenden Umsätze blieb Meyer Burger keine andere Wahl. 2011 machte das Unternehmen einen Umsatz von 1,3 Milliarden Franken, im vergangenen Jahr waren es noch 90 Millionen Franken. Seit Jahren schreibt der einstige Hoffnungsträger der Schweizer Solarindustrie rote Zahlen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Meyer Burger einen Fehlbetrag von 64,5 Millionen Franken. Auf über 800 Millionen Franken summieren sich die Verluste der vergangenen Jahre. An der Börse ist aus dem Hoffnungsträger längst ein «Pennystock »geworden.
Mit dem Kurswechsel soll in drei Jahren ein jährlicher Umsatz von 400 bis 450 Millionen Franken sowie eine Gewinnmarge von 25 bis 30 Prozent erwirtschaftet werden. Dann soll das Unternehmen wieder mit Gewinn glänzen. Man sei es leid, wie bisher die Gewinnchancen vollständig der Kundschaft überlassen worden seien, kommuniziert das Unternehmen. Man wolle endlich selber Geld verdienen.
Der Zeitpunkt ist gut, das Umfeld stimmt: Eine von China unabhängige Produktion ist gefragt, die Energiewende verspricht Aufschwung. Solarstrom geniesst hohe Prioritäten beim Umbau der Weltwirtschaft weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energiequellen, in die alleine die USA und die EU Milliarden investieren wollen. Auch an der Börse kommen die Pläne gut an: Die Aktie ist stark gestiegen.
Auf seinem neu eingeschlagenen Weg hat Meyer Burger innerhalb von einem Jahr beachtliche Fortschritte gemacht. In Thalheim in Sachsen-Anhalt läuft seit Juni die Produktion von Solarzellen. In Freiberg in Sachsen werden in einer zweiten Fertigungsstätte aus den Zellen Module geschaffen. 350 Mitarbeitende sind neu in beiden Fabriken tätig. 22,5 Millionen Euro Subventionen hat das Unternehmen für den Aufbau vom deutschen Staat erhalten.
Produziert werden Solarmodule der allerneusten Generation. Diese beruht auf der sogenannten Heterojunction/Smartwire-Technologie. Sie ermöglicht eine deutlich effizientere Produktion von Solarstrom als nach dem älteren und in China am stärksten verbreiteten Standard (Mono-PERC). Dadurch rechnet sich das Schweizer Unternehmen einen technologischen Vorsprung von drei Jahren aus. Dies soll die Schaffung von bis zu 3500 zusätzlichen Arbeitsplätzen ermöglichen. Derzeit beschäftigt das Unternehmen rund 730 Mitarbeitende – 100 davon am Stammsitz in Thun. Dort sind nur noch Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie Verwaltungsaufgaben verblieben. Vor fünf Jahren zählte Meyer Burger noch 1600 Angestellte.
Der Strategiewechsel ist eine grosse Wette auf die Zukunft. Eine Produktion für Solarmodule aufzubauen und gleichzeitig den kapitalintensiven Maschinenfertiger am Leben zu erhalten, ist eine kapitalintensive Angelegenheit. Peter Pauli, ehemaliger CEO von Meyer Burger, bezeichnet das Vorhaben als «grossen Spagat». Denn «es werden sicherlich kaum mehr Maschinen verkauft», sagt Pauli der Meyer Burger von 2002 bis 2017 geleitet hatte. Jedoch wird die ganze Infrastruktur für die Fertigung aufrechterhalten, was wiederum kapitalintensiv ist. Er sagt:
«Es wird nicht einfach sein, mit der Solarmodul-Produktion, diesen Strategiewechsel auch finanzieren zu können.»
Als Befreiungsschlag aber machen die Pläne für den Ex-CEO Sinn. Pauli hatte bereits 2016 ähnliche Vorhaben in der Schublade. Nach seinem Abgang hat sein Nachfolger die Modulfertigung und damit den Marktzugang jedoch verkauft. Daraus entstand die heute erfolgreich agierende 3S Solar Plus in Thun. «Durch den Verkauf ging der Marktzugang, viel Zeit und Kapital verloren», sagt er.
Meyer Burger will für die hochwertigen und in Europa gefertigten Module einen markant höheren Preis verlangen. Doch sobald das Geschäft in die Masse geht, erwarten Kunden in der Regel tiefere Preise und Rabatte. Dass Meyer Burger die Module nicht direkt verkauft, sondern auf Händler setzt, macht es nicht einfacher. «Da geht unnötig Marge verloren», betont Pauli. Er taxiert die künftigen Margenpläne des Unternehmens als sehr ambitioniert. Dass man einen grossen Vorsprung auf die Chinesen hat, daran glaubt Pauli nicht:
«Es ist ein Irrglaube, dass die Chinesen die Heterojunction-Technologie nicht auch auf dem Radar haben.»
Zuletzt erlitt das Unternehmen bei seinem Turnaround zwei Rückschläge: Erstens kann Meyer Burger die Produktion in seinen neuen Fabriken nicht so schnell wie geplant hochfahren. Verantwortlich dafür sind laut Unternehmensangaben vor allem Probleme in der Lieferkette verantwortlich. Zwar verfügt Meyer Burger nach eigener Darstellung über ausreichend Material für die Fertigung von Solarzellen und -modulen, wie etwa Siliziumwafer, Glas oder Modulrahmen.
Bei einigen Standardkomponenten für Produktionsmaschinen sei es jedoch zu Lieferengpässen gekommen, weshalb die beiden Fabriken des Konzerns ihre volle Auslastung nicht wie geplant Ende August, sondern wahrscheinlich erst «wenige Wochen» später erreichen würden. Man befinde sich diesbezüglich in Gesprächen mit Kunden, die bereits Solarmodule bestellt hätten. Auf die Geschäftsentwicklung des Unternehmens sollen die Verzögerungen jedoch keine Auswirkungen haben.
Zweitens musste das Unternehmen bereits ein paar Wochen zuvor hinnehmen als der britische Partner Oxford PV den 2019 eingegangenen Zusammenarbeitsvertrag einseitig aufgekündigte, der die gemeinsame Entwicklung einer Technologie für Massenproduktion von hochwertigen Solarzellen vorsah. Ohne Support des britischen Unternehmens dürfte die Entwicklung nun also länger dauern. Meyer Burger selbst betont, sie werde gegen die Kündigung juristisch vorgehen, und versichert, ihre Transformation zu einem Hersteller hochleistungsfähiger Solarzellen sei durch das Abspringen des Partners nicht gefährdet.
Der Schweizer Fondsverwalter Marc Possa ist überzeugt vom neuen Geschäftsmodell von Meyer Burger – auch wenn es ein «brutaler Strategiewechsel» war, den das Unternehmen vorgenommen hat. «Meyer Burger hat als Pionier die globale Solarindustrie geprägt und mit hervorragenden Maschinen für Solarpanels ganz China ausgerüstet.» Das habe das Unternehmen schliesslich aber «überflüssig» gemacht. Er sagt:
«Jetzt will Meyer Burger wieder Innovationsführer sein, die Innovationen aber für sich selbst nutzen.»
Das sei ein anderes Geschäftsmodell. «Damit kontrolliert Meyer Burger die Innovation. Das Unternehmen wird der Verlockung des chinesischen Marktes, der man vor 15 Jahren erlegen ist, nicht wieder nachgeben.»
Hinzu kommt der politische Rückenwind mit Klimawandel und Energiewende. «Alternative Energien wie Sonne und Wind erhalten viel Support», sagt Possa. Auch geostrategisch seien die Pläne Meyer Burgers willkommen. «Die Abhängigkeit von der chinesischen Produktion wird verringert und der Nachhaltigkeit wird dank kürzerer Lieferwege Rechnung getragen».
Den jüngsten Lieferproblemen und auch der stotternden Partnerschaft mit dem britischen Unternehmen Oxford PV misst Possa nicht allzu viel Gewicht bei: «Das sind Rückschläge, die beim Aufbau eines neuen Unternehmens gang und gäbe sind», sagt er. Ähnlich sieht dies der Finanzanalyst Eugen Perger von Reasearch Partners: «Grundsätzlich scheint die Firma auf gutem Weg zu sein.» Der verzögerte Produktionsstart und auch die Angelegenheit mit Oxford PV scheinen ihm nicht «gravierend genug» um dies infrage zu stellen. «Das sind eher normale Nebeneffekte einer Firma in der ‹Sturm- und Drangzeit›.»
Peter Pauli verfolgt die Entwicklung bei Meyer Burger weiterhin gespannt. «Für mich es das eine emotionale Angelegenheit», sagt er. So kritisch er das Unternehmen verfolge, so sehr hoffe er, dass Meyer Burger die Trendwende gelinge. «Wenn es schief geht, hat die ganze Solarbranche ein Problem. Solarmodule ‹made in Europe› wären dann wohl für immer gestorben.»