Sonntags dürfen Lebensmittelläden in mehreren Kantonen bereits heute offen haben – wenn es sich um Familienbetriebe handelt. Ein Beispiel ist die Familie Rasiah aus Basel. Sonntags frei? Das gibt es sich seit 11 Jahren nicht mehr. Es wird gearbeitet.
Sonntags hatte Jeyarani Rasiah in den letzten elf Jahren fast nie frei. Sonntags arbeitet sie mit Mann und Sohn in ihrem Denner-Satelliten an der Basler Flughafenstrasse. Die Kunden kommen dann besonders zahlreich: am Morgen für frisches Brot, mittags und abends, wenn wieder Mahlzeiten anstehen. «Wir sind selbstständig und richten uns danach, wann der Laden am besten läuft», sagt Rasiah. Gut 5000 Artikel gibt es im Sortiment der tüchtigen Geschäftsfrau. Markenartikel von Denner, frisches Gemüse, kleine Fleischportionen für Rentner und 5-Kilogramm-Säcke asiatischen Reis für Grossfamilien.
Ein spezieller Paragraf des Arbeitsgesetzes ermöglicht Rasiah und ihrer Familie den Sonntagsverkauf: Laut Arbeitsgesetz dürfen Familienbetriebe im Detailhandel sonntags geöffnet haben, wenn «lediglich der Ehegatte und seine Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie (Eltern, Grosseltern, Kinder, Enkel)» im Betrieb arbeiten.
Das Gesetz wird an der Basler Flughafenstrasse genau befolgt: Neben Rasiah arbeitet sonntags auch ihr Mann. Der 19-jähriger Sohn hilft aus. Als angehender Architekturstudent verdient er sich im elterlichen Betrieb etwas dazu. Auf die Sonntagsarbeit will die Familie nicht verzichten: Es ist umsatzmässig der wichtigste Tag der Woche. «Darum arbeiten wir am Sonntag gern», lacht Rasiah und beschwichtigt: «Die effektive Arbeitszeit ist nicht so hoch.» Verwandte kämen vorbei, man sei zu zweit oder zu dritt bei der Arbeit. Keine Arbeit übernehmen die zwei jüngeren Töchter, die die Schule besuchen.
Kritk der Unia
Das Beispiel ist kein Einzelfall: Wenige Meter von Rasiahs Laden steht ein Migros-Partner, der als Familienbetrieb ebenfalls sonntags geöffnet hat, mehrere Coop-Pronto-Shops werden in Basel von Grossfamilien geführt. In Inseraten hat Coop in der Ostschweiz im April bewusst nach Grossfamilien gesucht. «Ihre Kinder ab 16 Jahren und/oder Ihre Eltern (Grossfamilie mit mehr als sechs Personen) wollen im eigenen Betrieb mitarbeiten», hiess es.
Wenig Freude an solchen Inseraten hat die Gewerkschaft Unia. «Eigentlich will das Arbeitsgesetz mit der sonntäglichen Ausnahme für Familienbetriebe die Strukturen in den Dörfern stärken», sagt Sprecherin Eva Geel. «Wenn jedoch Familienbetriebe als Franchisenehmer engagiert werden, geht es vor allem um die Umgehung des Arbeitsgesetzes.» Durch die Hintertüre würden so die Ladenöffnungszeiten verlängert und die Sonntagsarbeit eingeführt. Geel kritisiert zudem, dass das unternehmerische Risiko bei Franchisenehmern zu oft bei den Familien liege.
Es gibt keine Vorgaben
315 Standorte zählt Denner, die jeweils von rechtlich selbstständigen Unternehmern geführt werden. «Die meisten führen diese Läden innerhalb der Familie sowie oftmals mit zusätzlich weiteren Mitarbeitenden», schreibt Denner-Mediensprecherin Grazia Grassi. Denner habe aber nie auf die Öffnungszeiten am Sonntag gepocht: «Die Denner-Satelliten dürfen als selbstständige Partner die Ladenöffnungszeiten je nach Bedürfnis selber verlängern oder anpassen. Denner hat diesbezüglich keine Re-
striktionen.» Viele haben auch gar nicht am Sonntag geöffnet. Andere Grossverteiler betonen, nur selten nach Shop-Betreibern zu suchen. Oft würden mit Franchisenehmern kleine Filialen oder Quartierläden vor dem Untergang gerettet.
Öffnungszeiten sogar ausgedehnt
Auch an der Basler Flughafenstrasse betont Jeyarani Rasiah, dass es einzig ihr Entscheid gewesen sei, sonntags zu öffnen. Denner habe dies nie verlangt. Inzwischen hat die dreifache Mutter die Sonntags-Öffnungszeiten sogar ausgedehnt: Seit Februar öffnet sie am umsatzstärksten Tag statt mittags nun bereits um 9 Uhr morgens. Denn unter der Woche haben sich die Wirtschaftslage, der starke Franken und Grenzeinkäufer bereits negativ bemerkbar gemacht.
Trotz des Erfolgs sei die sonntägliche Arbeit nicht an ihrer Familie vorbeigegangen, erklärt Rasiah. Die zwei Töchter hätten vor einigen Monaten reklamiert, sie sei zu wenig zu Hause. Seither, erklärt Rasiah, hätten ihr Mann und sie sich unter der Woche bewusst mehr Zeit für die Kinder freigehalten, wenn im Laden die zwei Angestellten arbeiten. Und auch sonst nutzt Rasiah die Vorteile der liberalen Öffnungszeiten für Familienbetriebe nicht ganz: Auf die Möglichkeit, wochentags bis zehn Uhr abends geöffnet zu haben, verzichtet sie wegen der Familie bewusst.