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Wirtschaft
Der Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist bedroht. Jetzt müsse das System dringend reformiert werden, fordern Vertreter aus Wirtschaft und Politik.
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens war chancenlos. Vor zwei Jahren wurde sie in Form einer Volksinitiative an das Schweizer Stimmvolk herangetragen. Mehr als drei Viertel sagten Nein zu diesem Modell, obwohl es doch nahezu perfekt in die Welt der Zukunft zu passen scheint.
Doch offensichtlich definieren sich die meisten Menschen in der Schweiz noch immer stark über ihren Beruf. Geldverdienen, ohne eine bezahlte Arbeit dafür zu leisten, ist deshalb für viele eine fremde Vorstellung.
Doch die Roboter nehmen auf die Liebe der Menschen zu ihrer Arbeit keine Rücksicht. Die Beratungsfirma McKinsey prophezeit, dass in der Schweiz in den nächsten 15 Jahren bis zu 1,2 Millionen Jobs der Digitalisierung zum Opfer fallen. Zwar soll die Entwicklung der Arbeitswelt auch viele neue Arbeitsplätze schaffen.
McKinsey spricht von bis zu 800'000. Aber was macht ein Verkäufer, der seine Stelle verliert, weil sein Laden im Wettbewerb mit den Online-Händlern nicht mehr bestehen kann? Für eine Karriere als IT-Projektleiter oder Softwareingenieur fehlt ihm das Wissen. Für einen Job als Hilfskraft im Gesundheitswesen, wo die Nachfrage nach Arbeit stark zunehmen wird, mangelt es ihm vielleicht an der Motivation.
Der Verkäufer wäre also prädestiniert für ein Grundeinkommen. Doch für den Fall, dass er auch in 15 Jahren noch lieber Lohnarbeit verrichtet, müssen praktische Lösungen auf den Tisch. Das ist das Feld der Fondation CH2048.
Die spendenfinanzierte Stiftung mit breiter Verankerung in der Welt der Firmen, der Arbeitnehmer, der Wissenschaft und der Politik schwebt quasi über den Institutionen. Diesen möchte die Fondation mit konkreten Ideen beliefern, wie die digitale Revolution zum Nutzen aller gestaltet werden kann.
Die Stiftung verfolgt ehrgeizige Pläne, das zeigt schon ihr Name. 2048 ist das Jahr, in dem der moderne Bundesstaat seinen 200. Geburtstag feiert.
Um dieses Erfolgsmodell langfristig zu sichern sei eine breit angelegte wirtschafts- und sozialpolitische Diskussion «überfällig», sagt Christoph Koellreuter. Der Basler Ökonom, der viele Jahre das Prognoseinstitut BAK Basel leitete, ist Gründer der Stiftung. «Das Ziel muss es sein, dass möglichst alle Erwerbsfähigen auch arbeitsmarktfähig bleiben und an den Digitalisierungsgewinnen teilhaben können», steht in einem Grundsatzpapier.
Die Gewinne durch die Digitalisierung sind naturgemäss am grössten, wenn der damit verbundene Strukturwandel nicht blockiert, sondern möglichst störungsfrei zugelassen wird. In der Vergangenheit hat die Schweiz den Strukturwandel zweifellos vorbildlich gemeistert.
Die Basler Grosschemie zum Beispiel hat sich in eine enorm kompetitive Pharmaindustrie verwandelt, die inzwischen zum wichtigsten Exportzweig des Landes aufgestiegen ist. In einem ähnlichen Strukturwandel steckt zur Zeit die Finanzbranche. Auch dieser Übergang ist bislang vergleichsweise glimpflich über die Bühne gegangen, wenn man in Rechnung stellt, wie gross die wirtschaftliche Bedeutung der Banken für die Schweiz vor 15 oder 20 Jahren noch war.
Koellreuter führt den erfolgreichen Wandel wesentlich auf die Sozialpartnerschaft zurück. Diese habe flexible Lösungen gebracht und gleichzeitig die notwendige Sicherheit für die Arbeitnehmenden gewährleistet.
Koellreuter ist überzeugt, dass die Schweiz diese Sozialpartnerschaft in die neue digitale Welt hinüber retten muss. Nur so könne sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und das hohe Wohlstandsniveau verteidigen. Dafür hat die Stiftung fünf Empfehlungen zur Erneuerung der Sozialpartnerschaft formuliert. Die Empfehlungen basieren auf der Annahme, dass sich die Arbeitswelt gründlich verändern wird und neue Erwerbsformen jenseits langjähriger Festanstellungen eine grosse Bedeutung erlangen.
Flexible, teilweise auf Selbstständigkeit basierende Arbeitsformen passen in der Regel aber nur schlecht zum Konzept der Gewerkschaften. Sie sind es gewohnt, die Interessen der Arbeitnehmer über traditionelle Formen wie etwa Gesamtarbeitsverträge zu vertreten. Auch die Arbeitgeberseite denkt primär in diesem Muster.
Die Veränderungen in der Arbeitswelt bergen das Risiko, dass eine zunehmende Zahl von Beschäftigten nicht mehr durch diese Strukturen repräsentiert wird. Das hätte zunächst für die Arbeitnehmer selber erhebliche Nachteile, weil sie im Unterschied zu den Gewerkschaften eine schwache Verhandlungsposition gegenüber ihren Auftraggebern haben. Umgekehrt sähen sich aber auch die Gewerkschaften selber geschwächt, wenn ihnen die Mitglieder abhandenkommen.
Mit einer Ausweitung der Sozialpartnerschaften ist der Wandel aber noch nicht geschafft. Nötig seien auch gesetzliche Anpassungen der Sozialversicherungssysteme, schreibt die Stiftung. Zu lösen gelte es insbesondere das Problem, dass Selbständigerwerbende etwa bei der beruflichen Vorsorge oder bei der Arbeitslosenversicherung den Angestellten gegenüber schlechter gestellt sind. Eine wie auch immer geartete Gleichstellung wäre aber mit höheren Kosten für die Sozialversicherungssysteme verbunden, was wiederum ein neues Finanzierungsmodell über Steuern nötig machen würde.
Auch in der Berufs- und Weiterbildung öffnen sich Lücken zwischen selbstständig und unselbstständig Erwerbenden, die es auf einem hohen und zukunftsfähigen Niveau zu schliessen gelte. Mindestens über die Herausforderungen scheinen sich die Mitglieder der Stiftung einig zu sein. Stefan Studer, Geschäftsführer des Verbandes Angestellte Schweiz, sagt: «Die digitale Welt wird nicht nur den Arbeitsplatz verändern, sondern auch die Einstellung zur Arbeit, zum Arbeitgeber und gegenüber den Verbänden».
Für Letztere werde es unerlässlich sein, frühzeitig ihr Ökosystem grundlegend zu überdenken und anzupassen. Angebot, Ausrichtung und Handeln müssten neu definiert werden, ansonsten drohe den Verbänden, dass sie von der Geschwindigkeit der Anpassungsprozesse überrollt würden.
Arbeitgeberseitig ergänzt Swisscom-Personalchef Hans Werner: «Die Digitalisierung bringt eine Vielfältigkeit der Laufbahnen, Anstellungsbedingungen, aber auch der Führungs- und Zusammenarbeitsformen hervor. Die diversen Systeme der sozialen Absicherung und angestammte Denkweisen werden dem nicht mehr gerecht. Es ist höchste Zeit, diese Rahmenbedingungen in einer konstruktiven Sozialpartnerschaft neu zu gestalten.»
Das Abstimmungsergebnis über das Grundeinkommen ist ein Fingerzeig, dass die Sozialpartner und der Staat diesen schwierigen und langen Weg gemeinsam in Angriff nehmen sollten. So scheint es die Bevölkerung zu wollen.