Nach jahrelanger Krise erlebt Norditalien derzeit einen Boom von innovativen Start-up-Unternehmen. Ihr Beitrag an das gesamte Sozialprodukt ist noch gering, aber ihr Erfolg hat Signalwirkung.
Dominik Straub, Rom
Eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten der norditalienischen Start-up-Szene schreibt gerade die Firma Bending Spoons, die Apps für Mobiltelefone entwickelt. Gegründet wurde sie 2014 von dem heute 33-jährigen IT-Ingenieur Matteo Danieli aus Padua, zusammen mit vier weiteren Computerfreaks. Nur drei Jahre nach der Gründung zählt die Bending-Spoons-Truppe bereits 37 Mitarbeiter, im Durchschnitt sind sie 28 Jahre alt. Das Unternehmen belegt ein Stockwerk in einem modernen Bürohochhaus am Corso Como in Mailand – lichtdurchflutete Räume, minimalistisches Mobiliar, Apple-Laptops auf allen Tischen und Simsen, vereinzelt echte Moosflächen als Wandschmuck. Sehr modern, sehr hip und sehr teuer.
Gründer Danieli scheut sich nicht vor grossen Worten. Warum sollte er auch: Der Umsatz wächst zweistellig und liegt bereits bei über 7 Millionen Euro. Auf die letzten Stellenausschreibungen hätten sich über 10 000 Bewerber gemeldet – entsprechend habe man ein hochwertiges Team zusammenstellen können. Zahlreiche Mitarbeiter seien aus dem Ausland zu ihnen gestossen. «Unser Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt heisst Google; dass wir so viele Bewerbungen haben, zeigt, dass wir etwas zu bieten haben», sagt Danieli. Interessante Perspektiven zum Beispiel: «Wir wollen der grösste und erfolgreichste App-Entwickler der Welt werden», sagt Danieli ganz unbescheiden.
Insgesamt sind in den letzten Jahren in Italien rund 7800 Start-ups entstanden, also Jungbetriebe, die stark auf Digitalisierung und Informationstechnologie setzen; jedes Jahr kommen mehrere hundert neue dazu. Allein in Mailand werden 1400 Start-ups gezählt; in Rom sind es 750, in Turin 330. Auch weiter östlich spriessen die Jungunternehmen wie Pilze aus dem Boden: Die Brenner-Autobahn zwischen Modena und Bozen trägt in Italien inzwischen den Übernamen «Autostrada delle Start-up»; die Region Venezien (Veneto) hat sich ebenfalls als fruchtbarer Boden für die «Industrie 4.0» erwiesen. Natürlich sind nicht alle so erfolgreich wie Bending Spoons – aber alles in allem sind laut einem Bericht der Handelskammer und des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren dank ihnen rund 36 000 Jobs entstanden.
Die zahlreichen Neugründungen sind, zumindest teilweise, das Resultat staatlicher Förderungspolitik. Bereits die Regierung von Mario Monti hatte im Jahr 2013 mit dem «Dekret Passera» (benannt nach dem damaligen Wirtschaftsminister Corrado Passera) Steuererleichterungen und andere Förderungsinstrumente erlassen; vor zwei Jahren doppelte die Regierung von Matteo Renzi mit einem weiteren Massnahmenpaket nach. Auch wenn die Bürokratie nach wie vor ein Horror sei: Insgesamt sei Italien inzwischen ein fruchtbarer Boden für Start-ups, findet der Chef von Bending Spoons, Matteo Danieli. Sogar in einzelnen Regionen Süditaliens herrscht Goldgräberstimmung bei den Computer-Nerds. So sind beispielsweise in Neapel ebenfalls schon 300 Jungunternehmen entstanden. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die gezielte Standortpolitik, die vor allem Mailand seit vielen Jahren betreibt. In der lombardischen Metropole treffen die neuen Betriebe auf ein fast unbeschränktes Reservoir von top ausgebildeten Studienabgängern. «Sowohl die Stadt- als auch die Regionalbehörden haben im Verbund mit den Universitäten konsequent auf Hightech und Informatik gesetzt – und so ist Mailand zu einem Zentrum für IT-Technologie, aber auch für Bio-, Medizinal- und Gentechnik geworden», betont Wirtschaftsprofessor Giuseppe De Luca von der staatlichen Universität Mailand. Insgesamt seien an den Hochschulen der Stadt 220 000 Studierende eingeschrieben, was 13 Prozent der Bevölkerung Mailands entspricht.
Zwar sind die meisten der Start-ups in der IT-Branche und in der Softwareentwicklung tätig – aber rund 20 Prozent von ihnen arbeiten auch im Industriesektor. In Italien, dessen Wirtschaft jahrzehntelang von kleinen und mittleren Handwerksbetrieben geprägt gewesen war, macht nun das Schlagwort der «digitalen Handwerker» die Runde. Ein gutes Beispiel für diese Form der Hightech-Jungunternehmen ist die Firma DWS in Thiene bei Vicenza. Sie wurde von Maurizio Costabeber gegründet, stellte im Jahr 1997 den ersten 3D-Drucker der Welt im Desktop-Format vor und zählt bis heute zu den innovativsten der Branche. DWS ist inzwischen auf den Märkten des ganzen Globus vertreten und zählt neben Samsung und Google auch Schweizer Luxushersteller zu seinen Kunden. Der Jahresumsatz betrug 2016 rund 9 Millionen Euro.
Die Geschäftsidee von Costabeber und seiner DWS hat viel mit der Tradition seiner Heimatstadt zu tun: Die Provinz Vicenza war einst weltgrösster Schmuckproduzent gewesen, wovon heute noch zahlreiche Juwelierläden in der Innenstadt zeugen. Mit der Krise seien aber zahlreiche Betriebe verschwunden, sagt Costabeber. Den verbliebenen Juwelieren habe er die Vorzüge des 3D-Drucks erklärt – zum Beispiel, dass sie dank erheblicher Zeitersparnis bei der Produktion von Prototypen pro Jahr acht statt nur zwei Kollektionen entwerfen könnten. «Es hat natürlich zuerst auch viel Skepsis gegeben», sagt der DWS-Chef. «Aber jetzt ist der Schmuck aus Vicenza wieder konkurrenzfähig.»
Bei DWS arbeiten über ein Drittel der etwa 40 Angestellten in der Abteilung Forschung und Entwicklung; Costabeber und seine Crew haben mehr als 150 internationale Patente angemeldet. Die Spezialität sind immer noch die kompakten 3D-Drucker; der kleinste ist nicht grösser als ein normaler Laserdrucker für den privaten Schreibtisch. «Die ersten 3D-Drucker, die es gab, kosteten Millionen – das konnten sich nur ganz wenige leisten. Wir haben diese Zukunftstechnik mit unseren Produkten demokratisiert», sagt Costabeber nicht ohne Stolz. In der Tat kostet der billigste 3D-Drucker aus dem Hause DWS nur noch wenige tausend Euro. Einen neuen Umsatzschub erwartet Costabeber von den von ihm entwickelten 3D-Druckern für Zahnärzte, mit denen in wenigen Minuten Zahnimplantate hergestellt werden können – während der Patient noch auf dem Stuhl liegt.
Trotz des zahlenmässigen Booms fallen die Start-ups in Italien gesamtwirtschaftlich gesehen noch nicht allzu sehr ins Gewicht. Sie machen nur knapp 0,5 Prozent der insgesamt 1,6 Millionen italienischen Firmen aus; ihr durchschnittlicher Umsatz liegt bei 115 000 Euro. Für Professor De Luca haben sie aber eine Funktion, die Pionierpflanzen nicht unähnlich sei: «Nach der dramatischen Deindustrialisierung während der jahrelangen Krise sind sie die Vorboten der digitalen Industrie 4.0, die in naher Zukunft weltweit die entscheidende Rolle spielen wird», betont De Luca.