Die Swisscom sagt, sie schalte keine Anschlüsse ab. Mehrere Kunden haben jedoch gegenteilige Erfahrungen gemacht.
Seit Dienstag funktioniert das Festnetztelefon einer 51-jährigen Swisscom-Kundin in Baden nicht mehr. Das Telekomunternehmen hatte den analogen Anschluss mitten in der Nacht abgeschaltet. Seither ist die Leitung tot. Morgens um 4.31 Uhr kam eine E-Mail, der Anschluss sei auf die neue IP-Technologie umgestellt worden. Genau das hatte die Kundin jedoch schriftlich abgelehnt.
Noch vor einer Woche hatte Swisscom-Sprecher Armin Schädeli in der «Nordwestschweiz» festgehalten: «Es wird keinem Kunden der Anschluss abgeschaltet.» Dass der Telefonanschluss der langjährigen Kundin dennoch gekappt wurde, erklärt er damit, dass sich ihr Widerspruch gegen eine Umstellung mit automatischen internen Prozessen gekreuzt habe.
Bloss: Swisscom hatte der Kundin geschrieben, «ohne Ihren Gegenbericht bis zum 15. Juni 2017» werde der Anschluss auf die neue IP-Technologie umgestellt. Die Kundin widersprach rechtzeitig: Am 12. Juni schickte sie Swisscom einen Einschreibebrief. Darin verwies sie darauf, dass sie gemäss Grundversorgungskonzession das Recht auf einen analogen Anschluss bis zum 31. Dezember 2017 habe: «Ich bestehe deshalb bis zu diesem Datum auf einem analogen Anschluss.» Nach Erhalt des Briefs versuchte ein Swisscom-Mitarbeiter, die Kundin telefonisch zu kontaktieren. Das misslang, da sie in den Ferien war. Die Umstellung stoppte er aber nicht.
Swisscom-Sprecher Armin Schädeli hatte letzte Woche Vorwürfe zurückgewiesen, der Telekomkonzern springe bei der Technologieumstellung «sehr aggressiv» mit den Kunden um. Reaktionen von Lesern bestätigen nun aber, dass sich Kunden immer wieder genötigt und erpresst fühlen. Er könne solche Erfahrungen bestätigen, schrieb ein Leser der «Nordwestschweiz»: «Mir wurden die Wörter im Munde umgedreht und man versuchte es so hinzustellen, als wollte ich mein Abo kündigen.» Das habe er sich nicht bieten lassen und die Nummer zum Kabelnetzanbieter portiert.
Auch die eingangs erwähnte 51-jährige Kundin ist enttäuscht: «Offensichtlich will Swisscom möglichst rasch die Technologie umstellen. Das scheint wichtiger zu sein als die Bedürfnisse der Kunden.» Swisscom-Sprecher Schädeli erklärt das Vorgehen in ihrem Fall, dass das bezogene Vivo-Casa-Kombiprodukt nicht mehr angeboten werde. Die Kundin habe nun drei Möglichkeiten: Auf das neue IP-Kombiprodukt umsteigen, kündigen oder einen Swisscom-Grundversorgungsanschluss wählen.
Letzteres gelang der Kundin erst nach einem zeitraubenden Hürdenlauf. Vom Swisscom-Shop wurde sie an die Hotline und von der Hotline an das Kontaktformular auf der Website verwiesen. Sie hofft, dass der analoge Anschluss wie versprochen nach zwei Arbeitstagen wieder funktioniert.
«Die Aussage der Swisscom, es werde keinem Kunden der Anschluss abgeschaltet, stimmt nicht», sagt auch eine Leserin aus dem Bezirk Zofingen. Sie wohnt in einem älteren Haus mit analogem Telefonanschluss. «Im Swisscom-Shop hiess es, die Umstellung auf die neue Technologie sei ganz einfach, ich müsse nur den Router einstecken.» Sie steckte den Router ein, doch nichts ging. Anpassungen der Hausinstallation waren nötig. Noch bevor der Elektriker vorbeikommen konnte, geschah es: «Swisscom hat meinen Anschluss inklusive Internetverbindung gekappt», schildert die Frau. Sie war perplex.
Bei ihrer 81-jährigen Mutter, die auch in einem Haus mit problematischer älterer Installation wohnt, schaltete Swisscom den Anschluss noch schneller ab: Am Montag brachte der Pöstler ein Paket mit dem Router vorbei, drei Tage später war die Leitung tot. Bekannte, die telefonisch nicht mehr durchkamen, waren alarmiert. Sie befürchteten, der Frau sei etwas zugestossen, und läuteten bei der Tochter Sturm. Die Mutter war wohlauf – aber aufgebracht. In wenigen Tagen war ein Klassentreffen anberaumt, da wollte und musste sie telefonisch erreichbar sein. Das leuchtete offenbar auch Swisscom ein – am Freitagabend kam um 22.45 Uhr ein Techniker vorbei und löste das Problem. Trotz aller Unbill verlangte Swisscom dafür 90 Franken.
Sprecher Armin Schädeli räumt ein, dass Anschlüsse sehr wohl auf ein bestimmtes Datum «unterbrochen» werden, «dieses Datum wird dem Kunden jedoch schriftlich mitgeteilt». Technisch bedingt gibt es offenbar zwei Umstellungsvarianten. Bei der einen hat der Kunde ein Zeitfenster von 30 Tagen, um den Router in Betrieb zu nehmen. Dann wird der analoge Abschluss abgeschaltet, die Leitung funktioniert nur noch mit der neuen IP-Technologie. So war es bei der Tochter. Bei der zweiten Variante wird der analoge Anschluss an einem bestimmten Tag abgeschaltet, erst dann kann der Kunde den Router in Betrieb nehmen. Dieses Verfahren kam bei der Mutter zum Zug.
Dass die analoge Leitung selbst dann gekappt wird, wenn es nicht möglich ist, den Router in Betrieb zu nehmen, hätten sich Mutter und Tochter nicht vorstellen können. Das ist nicht verwunderlich: In den Mitteilungen der Swisscom wird das nirgends klar gesagt. Die Bestellbestätigung für die 81-jährige Frau zum Beispiel hält fest, die Aufschaltung erfolge am 29. Juni. Es ist von einem Leitungsunterbruch an diesem Tag zwischen 12:02 und 17.00 Uhr die Rede. Dann heisst es: «Sie können Ihr Swisscom Line plus ab dem 29. Juni 2017 17.00 Uhr in Betrieb nehmen.» Dass die analoge Leitung nachher tot ist, steht nicht.
Schädeli sagt, bei Mutter und Tochter habe man keine Hinweise auf einen komplexeren Fall gehabt und sei davon ausgegangen, dass die Umstellung auf IP ohne weiteres gelinge.