Agrochemie
Syngenta übt sich als Entwicklungshelfer – nicht nur selbstlos

Der Basler Saatgut-Konzern Syngenta betreut und berät Kleinbauern in Bangladesch. Dafür erntet er nun Kritik.

Stefan Schuppli
Drucken
Die festliche Kleidung der Bäuerinnen (links im Bild) täuscht: Ihr Einkommen reicht knapp zum Überleben.

Die festliche Kleidung der Bäuerinnen (links im Bild) täuscht: Ihr Einkommen reicht knapp zum Überleben.

Zur Verfügung gestellt

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, lautet das gängige Sprichwort. Doch oft ist es eine Geschichte zum Bild, zur Entstehung, die dahintersteckt, und zur Wirkung, die es entfaltet. Links im Bild sitzen vier Bäuerinnen in Bangladesch. Sie entsprechen weder unseren Vorstellungen von ihrem Berufsstand noch von der dort herrschenden Armut.

Was hat Syngenta mit Bäuerinnen in Bangladesch zu tun? «Es war ein spezieller Anlass, der ‹Womans Success Day›», sagt Tobias Bossert (Bildmitte, weisses Hemd). Er weilte vier Wochen mit einer 15-köpfigen Gruppe von Syngenta-Mitarbeitern in Bangladesch. An diesem Treffen tauschen sich die Frauen über ihre Arbeit aus, über ihre Sorgen, aber vor allem auch über ihre Erfolge und ihre Position im Landwirtschaftssektor. «Dieser Tag soll ihr Selbstwertgefühl stärken», sagt Bossert im Gespräch mit der «Nordwestschweiz».

Doch am Treffen mit den Bäuerinnen geht es nicht nur um Wertschätzung und Gefühle, sondern um handfeste Probleme: Anders als die schönen Kleider vermuten lassen, reicht ihnen ihr Einkommen nur knapp zum Überleben. 2014 lag das Jahreseinkommen eines Kleinbauers in der Region Mithapukur im Schnitt bei 280 Dollar pro Jahr. Die Folge sind Landflucht und Städte mit grossen Armenvierteln.

Bereits zum fünften Mal war eine Syngenta-Gruppe im Rahmen eines Entwicklungsprogrammes in Ranpur im Nordwesten von Bangladesch. Zusammen mit einer lokal gut verankerten britischen Nichtregierungsorganisation, der Voluntary Service Overseas (VSO), und Kleinbauern wurde die Situation analysiert und wurden Effizienzverbesserungen entwickelt. So werden und wurden vor allem Massnahmen ergriffen, um die landwirtschaftliche Rentabilität zu verbessern, und Möglichkeiten geprüft, statt Reis auch mal Gemüse anzubauen, die auf dem Markt einen höheren Erlös erzielen.

Kleinbauern sind einträglich

Gemäss Syngenta war der Einsatz erfolgreich. Die im Programm eingebundenen Kleinbauern bauen jetzt einen Mix von Reis, Kartoffeln und Gemüse an. Seit 2015 hätten sie ihr Einkommen verdreifachen können, sagt Juan Gonzalez-Valero, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei Syngenta. Der Aufwand ging bei Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent, bei chemischen Düngern um 60 Prozent zurück. Die Bauern hätten gelernt, die richtigen Produkte in der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt anzuwenden. Solches scheint den Interessen von Syngenta direkt zuwiderzulaufen. Bisher hätten die Bauern gekauft, was sie gerade bekommen hätten. Beratung habe es kaum gegeben.

Trotzdem: Ganz so selbstlos ist Syngenta nicht. «Kleinbauern sind für uns ein wichtiger Markt, auch in Zukunft. Und für die Region sind sie für die Ernährungssicherheit ebenso wichtig», sagt Juan Gonzalez-Valero. Syngenta hat also durchaus ein Interesse, dass es den Bauern gut geht: Verarmte Bauern werden keine Kunden.

Eine zentrale Funktion haben die überall in der Region befindlichen «Farmer Centers», die mithilfe der VSO aufgebaut wurden. Diese sollen rund 500 bis 1000 Kleinbauern Zugang zu verschiedenen landwirtschaftlichen Dienstleistungen ermöglichen: Maschinenverleih, Kauf von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln, Warenverkauf. Die bestehenden ersten Farmer Centers wurden von VSO, der lokalen Partnerorganisation und den Dorfgemeinschaften vor Ort aufgebaut.

Das Konzept der Farmer Centers sei basierend auf den Empfehlungen der Syngenta-Teams entwickelt worden. Bisher existieren sechs solcher Zentren, bis Ende 2018 sollen es hundert sein. Damit könnten 100'000 Bauern erreicht werden. Die Idee dahinter: Die Farmer Centers sollen so erfolgreich sein, dass diese quasi zum «Selbstläufer» werden. Damit die Massnahmen auch etwas bringen, hat VSO dauernd ein Team vor Ort.

Syngenta spannt mit Entwicklungsorganisationen zusammen

Das Bangladesch-Projekt, welches Syngenta zusammen mit der britischen Entwicklungsorganisation Volunteer Service International (VSO) aufgelegt hat, trägt den mehrsinnigen Namen «Growing together», was sowohl «zusammen wachsen» wie «zusammen pflanzen» oder «aufziehen» heisst. Die Syngenta-Mitarbeiter haben beratende Funktion, fragen aber auch nach, ob die bisherigen Massnahmen auch etwas bringen und wo Verbesserungsmöglichkeiten liegen. Die Syngenta-Teilnehmer müssen sich intern bewerben, die Löhne werden regulär weiter bezahlt. 2018 findet die sechste und letzte Reise statt. Danach soll das Projekt ganz an VSO delegiert werden.

Syngenta liess sich «Growing together» jährlich 670'000 Pfund kosten. Damit wurde vor allem der Aufbau des Programms (von 2800 auf jetzt 10'000 teilnehmenden Bauern) und die zwei Syngenta-Teams mit je 10 bis 15 Mitarbeitern unterstützt. Weiter wurden alle Kosten für die Umsetzung der Handlungsempfehlung durch ein lokales Team von VSO und Partnerorganisationen übernommen. Länder-Umsatzzahlen gibt Syngenta nicht bekannt, auch nicht von Bangladesch.

VSO hat ein Jahresbudget von 78 Millionen Pfund; ein grosser Teil kommt von der staatlichen Britischen Entwicklungshilfeorganisationen wie DFID und ICS, sechs Prozent sind Firmenspenden. Syngenta hat VSO kein Geld gespendet. (sts)

Andere Länder, andere Sitten

VSO und Syngenta arbeiten eng mit lokalen Gemeinschaften und Gruppen zusammen. Dabei geht es um mehr als nur Landwirtschaft: Wasser- und Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung und Kinderheirat. Entwicklung steht in einem sozialen Zusammenhang, sagt Gonzalez-Valero. Selbstverständlich muss auf lokale Gepflogenheiten Rücksicht genommen werden. Beispielsweise müssen wichtige Personen im Dorf speziell begrüsst werden, sonst kann es zu Unstimmigkeiten führen. Andererseits zeigten sich die am Programm beteiligten Bangladeschi sehr dankbar und freuten sich sehr, wenn man sie in der Landessprache begrüsst (ein Übersetzer ist immer vor Ort).

Doch nicht nur die Bauern sollen lernen. Syngenta-Angestellte sollen erfahren, wie die Verhältnisse in einem armen Land sind und welche Entwicklungsperspektiven diese Menschen dort haben. Mit Besuchen bei Familien, mit Interviews und Gesprächen lernen sie die Probleme aus erster Hand kennen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen helfen, die Projekte voranzubringen.

Kritische Stimmen

Die Entwicklungsorganisation Swissaid betrachtet solche Projekte grundsätzlich kritisch. Zu oft geraten Kleinbauernfamilien in Entwicklungsländern in die Abhängigkeit von internationalen Agrarkonzernen, von denen sie nicht nur Saatgut, sondern auch chemischen Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel beziehen. Dass im Syngenta-Projekt weniger Pestizide und Ähnliches verwendet würden, sei dagegen positiv.

«Über die Hintertür ihrer Stiftungen und der Entwicklungshilfe versuchen Konzerne ihre Macht und ihre Märkte auszudehnen», sagen Konzernkritiker der Organisation Multiwatch. Die sogenannte Hilfe, die Syngenta anbiete, binde die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern immer stärker in eine kapitalistische Landwirtschaft ein und ermögliche den Agrarkonzernen, «auf ihre Kosten Gewinn zu machen».

Syngenta widerspricht: Es gehe darum, diesen Gemeinschaften Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ihnen also dabei zu helfen, zu selbstständigen Marktteilnehmern zu werden, und nicht darum, sie abhängig zu machen. Die Bauern bräuchten Know-how, Zugang zu Märkten, Zugang zu hochwertigen Inputs. Und dazu gehörten auch Produkte von Syngenta, räumt der Konzern ein.
Die von Entwicklungsorganisationen vorgebrachte Problematik, Bauern müssten sich verschulden, sieht Syngenta auch. Tatsächlich seien die Kreditzinsen teilweise völlig überrissen. Deshalb habe man auch den lokalen Finanzdienstleister Bank Asia mit ins Boot genommen. Dieser vergibt Kredite zu günstigen Bedingungen und verlangt einen Drittel der sonst marktüblichen Zinsen.