Das juristische Tauziehen um den Baarer Bauchemiekonzern hält an. Die französische Saint-Gobain geht jetzt in die Offensive. Die «Kriegs- kosten» steigen weiter an.
Ernst Meier
Während Monaten hielt man sich beim französischen Industriekonzern Saint-Gobain im Hintergrund. Dessen CEO und Verwaltungsratspräsident Pierre-André de Chalendar gab zwar vereinzelt Interviews und zeigte sich im Übernahmekampf siegessicher. Er überliess den juristischen Streit aber der Erbenfamilie Burkard. «Unser Kaufvertrag ist besiegelt und gültig», sagte Pierre-André de Chalendar im Februar gegenüber unserer Zeitung. Anfang April haben die zwei Handelsparteien den Vertrag bis Mitte 2016 verlängert. Nun wechselt Pierre-André de Chalendar im Wettstreit um Sika auf Angriff.
Am Donnerstag kam Saint-Gobain-Finanzchef Laurent Guillot extra nach Zürich. Im Handgepäck eine Studie zum «Project Sika» mit dem Untertitel «Eine einzigartige wertschöpfende Möglichkeit für alle Beteiligten». Erstellt wurde die Expertise von der US-Investmentbank Lazard. Im 36 Seiten umfassenden Papier, das unserer Zeitung vorliegt, werden die Vorteile eines Zusammengehens der Unternehmen aufgelistet. Einige wichtige Aussagen: «... gemäss konservativer Berechnung ergeben sich Synergien von 180 Millionen Euro», «... mit der Transaktion kann ein Mehrwert von 3 Milliarden Euro erzeugt werden, davon profitieren die Sika-Aktionäre mit bis zu 1,2 Milliarden Euro», «... in allen Fällen wird es zu keinem Wertverlust auf Seiten der Sika kommen». Im Detail widerlegt die Studie Aussagen des Sika-Managements mit gegenteiligen Aussagen.
«Die Studie von Saint-Gobain ist als Antwort auf eine Studie von Sika zu verstehen», kommentiert der Jurist Andreas Bohrer den jüngsten Schachzug in der Übernahmeschlacht. Der Sika-VR liess nämlich bei der US-Investmentbank Perella Weinberg Partners die Auswirkungen einer Übernahme bereits begutachten. Die 35 Seiten umfassende Studie mit dem Titel «Betrachtungen bezüglich der vorgeschlagenen SGO-Transaktion» listet zahlreiche Bedenken und mögliche Nachteile des Deals auf. Sie schliesst mit der Aussage: «Die Struktur der Transaktion impliziert eine signifikante Abkehr von Sikas erfolgreichem Geschäftsmodell.» Auf die Lazard-Studie hat man bei Sika umgehend reagiert. In einem sechsseitigen Papier listet Perella Weinberg die ihrer Ansicht nach vorliegenden Mängel an den Resultaten von Lazard auf und schliesst, «dass man an den bisherigen Einschätzungen festhält».
Was ist von den beiden Gutachten der renommierten Investmentbanken zu halten? «Überraschend sind die Ergebnisse nicht, schliesslich handelt es sich um zwei Parteigutachen», erklärt Andreas Bohrer. Der Titularprofessor an der Universität Zürich ist auf Handels- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Er erklärt: «Alle Erkenntnisse schliessen auf künftige Annahmen.» Dies mache es schwierig, daraus abzuleiten, welche Seite nun Recht habe. Das Ganze zeige aber, «dass die Parteien mit harten Bandagen kämpfen», sagt Bohrer. Derzeit fahren beide Seiten mit Gutachten, PR-Strategien und Gerichtseingaben zusätzliches Geschütz rund um das «Schlachtfeld Wirtschaft» auf.
Bei der juristischen Auseinandersetzung bekämpfen sich die beiden Parteien bereits mit Staranwälten und eigenen Gutachten (siehe unsere Ausgabe vom letzten Sonntag). «Um die Budgets der grossen Zürcher Wirtschaftsanwaltskanzleien muss man sich 2015 keine Sorgen machen», tönt es aus der Branche.
Diese Woche gab es für die Juristen neue Arbeit. Gemäss dem Bauzulieferer haben die Burkards und Saint-Gobain möglicherweise die Offenlegungsmeldungspflicht verletzt. Sika wandte sich darum am Montag an die Finanzmarktaufsicht (Finma). Hintergrund ist der Verkauf von einzelnen privat gehaltenen Aktien der fünf Burkard-Erben an die Schenker-Winkler-Holding (SWH). In der Familienholding haben die Erben das Aktienpaket, das 16 Prozent des Kapitals und 53 Prozent der Stimmen an Sika umfasst, parkiert. Saint-Gobain zahlt für das Package gemäss Kaufvertrag 2,75 Milliarden Franken.
Beim Streit geht es auch darum, ob die Burkards, die SWH und Saint-Gobain eine meldepflichtige Gruppe bilden oder nicht. Der Sika-Verwaltungsrat hat sich bei der Beschränkung der SWH-Stimmrechte an der GV vom 14. April auf diese in seinen Augen «feindliche Gruppenbildung» berufen. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht in den nächsten Wochen die Anfechtung der GV-Beschlüsse, die ohne die volle Stimmkraft der SWH zu Stande kamen. Die Burkards haben den entsprechenden juristischen Schritt letzte Woche eingeleitet. Die Zeit drängt. Für den 24. Juli ist eine ausserordentliche GV angesagt. Bis dahin soll Rechtsklarheit herrschen, sonst droht die gleiche Abfuhr wie am 14. April.
Wie aus dem Umfeld der Familie zu vernehmen ist, drängen die Burkards auch aus einem anderen Grund auf einen möglichst schnellen Abschluss. Die fünf Erben erhalten zwar jeden Frühling stolze Dividendenzahlungen (heuer knapp 30 Millionen Franken), «Einzelne verbrauchen aber jährlich hohe Summen», heisst es. Derzeit belasten die Ausgaben für Juristen und Berater das Familienkonto, weshalb die aktuelle Dividendenverteilung «deutlich tiefer ausfällt».
Eines machte Pierre-André de Chalendar im Verkaufsvertrag mit den Burkards klar: Die 2,75 Milliarden Franken werden erst in die Schweiz überwiesen, wenn die Burkards die volle Kontrolle im Sika-Verwaltungsrat sichergestellt haben.