Industriekonzern
Unzimperlich, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden – das ist der neue ABB-Chef

Björn Rosengren: Der neue Chef von ABB hat bisher immer gemacht, was der Industriekonzern nun von ihm sehen möchte: seine Macht nach unten weitergegeben – und Tochterunternehmen verkauft.

Niklaus Vontobel
Drucken

CH Media

ABB hat einen Nachfolger für Ulrich Spiesshofer gefunden. Der schweizerisch-schwedische Industriekonzern wird neu Björn Rosengren an seine Spitze befördern. Nächsten März wird der Schwede sein Amt als CEO antreten. Bis dahin wird der Aargauer Peter Voser als Interims-Chef walten.

Ulrich Spiesshofer war Mitte April per sofort zurückgetreten. Der Deutsche hatte sich mit Aufräumarbeiten verdient gemacht, die nach der Einkaufstour seines Vorgängers nötig waren. Umsatz und Aktienkurs entwickelten sich jedoch schwach. Am Ende standen Grossaktionäre nicht mehr hinter ihm. Als sein Abgang bekannt wurde, sprang der ABB-Kurs in die Höhe.

Björn Rosengren wird Konzernchef des Industriekonzerns ABB.

Björn Rosengren wird Konzernchef des Industriekonzerns ABB.

PD

Rosengren dagegen steht derzeit hoch in der Gunst der Investoren. ABB legte nach Bekanntgabe seines Wechsels deutlich zu an der Börse, zwischenzeitlich um rund 4 Prozent. Sein bisheriges Unternehmen hingegen, der schwedische Industriekonzern Sandvik, büsste an Wert ein. Die schwedischen Grossaktionäre, Investor AB und Cevian, zeigten sich ebenso erfreut über die Ernennung. Die Vorfreude erklärt sich wohl so: Rosengren hat auf seinen früheren Stationen genau das getan hat, was die Investoren wohl bei ABB in den nächsten Jahren sehen wollen.

Die Dezentralisierung als neues Mantra

Rosengren delegierte Macht, von der Zentrale zu den Tochterunternehmen. Er steigerte den Börsenkurs. Er verkaufte Geschäftseinheiten, wenn sie nicht mehr in den Konzern passten. Und, was Mitarbeitern und Gewerkschaften missfallen dürfte, er ging durchaus unzimperlich vor, wenn seiner Ansicht nach Arbeitsplätze abgebaut werden mussten.

Die schwedische Sandvik, wo Rosengren seit 2015 als Chef amtet, ist ein industrieller Zulieferer für die Automatisierung von Minen und den Bau von Werkzeugmaschinen. In Schweden ist der fast 160 Jahre alte Konzern so etwas wie industrieller Hochadel. Und er zählt auch in Europa zu den grössten Industriekonzernen, mit einem Umsatz von rund 10 Milliarden Franken sowie rund 42 000 Mitarbeitern.

Bei dieser Sandvik gab Rosengren schon kurz nach seinem Amtsantritt jenes Mantra durch, das derzeit bei ABB gepredigt wird: delegieren der Macht, weg von der Konzernzentrale; Ermächtigung der Geschäftseinheiten, oder auf Englisch: «Empowerment». Gleich an seinem ersten Investorentag bei Sandvik zeigte sich Rosengren unzufrieden mit den Strukturen, die ihm seine Vorgänger überlassen hatten. Sein Fazit: zu zentralisiert.

In seinem Arbeitsleben sei ein dezentralisiertes Modell stets ein fundamentaler Wert gewesen, um Unternehmen zu führen. Rosengren gab sich gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg überzeugt, man müsse den Managern die volle Verantwortung geben. Jeder müsse für seine Geschäftseinheit die Kosten kennen wie auch die Einnahmen. Was ABB und seinen Grossaktionären allerdings wichtiger war: Rosengren hat in früheren Stationen nicht nur über seine Führungsmethoden philosophiert: Er senkte Kosten, verkaufte Geschäftseinheiten, bereitete den Spinoff einer Sparte vor – und vor allem: Er lieferte eine ansehnliche Aktienkursentwicklung. Seit seinem Amtsantritt fast eine Verdoppelung.

Nun darf sich der 60-jährige Rosengren vor dem Karrierenende noch an der ungleich grösseren ABB versuchen. ABB hatte zumindest 2018 noch einen Umsatz von rund 28 Milliarden Dollar und beinahe 150 000 Mitarbeiter. Wenn die Stromnetzsparte nächstes Jahr an das japanische Konglomerat Hitachi verkauft ist, wird ABB zwar um über 30 000 Mitarbeiter kleiner sein. Dennoch spielt der Konzern weiterhin in einer höheren Liga als Sandvik. Mit einem entsprechend rauen Betriebsklima und ungeduldigen Investoren, die vor lauten Tönen nicht zurückschrecken.

Verdoppelung des Aktienkurses gefordert

Vom schwedischen Investor Cevian zum Beispiel hat sich Mitgründer Christer Gardell bereits vernehmen lassen, der gerne den verbalen Zweihänder schwingt. Gardell begrüsste zwar die Ernennung – formulierte gleichzeitig aber sehr hohe Ansprüche. Rosengren müsse den Aktienkurs auf über 35 Franken hieven. Aktuell steht ABB lediglich bei 18 Franken. Dafür müsse Rosengren die Margen der einzelnen Sparten auf das Niveau der Konkurrenten bringen. Gardell fordert: «Das ist Björns Hauptaufgabe.» Cevian hält derzeit rund 6 Prozent der Aktien von ABB.

Investor AB, mit gut 11 Prozent der grösste ABB-Aktionär, drückte sich zwar etwas höflicher und indirekter aus. Wie es sich für das Finanzvehikel der schwedischen Industriellen-Familie Wallenberg ziemt. Aber wenn Investor AB frühere Leistungen von Rosengren hervorhebt, wird doch überaus deutlich: Auch die Wallenbergs wollen ABB an der Börse auf einem höheren Niveau sehen und das schnell.

Daher dürfte der Wandel die einzige Konstante bleiben bei ABB. Als Verwaltungsratspräsident Peter Voser die Ernennung von Rosengren begründete, wurden Fragen nach weiteren Verkäufen laut. Ein weiterer Grossaktionär von ABB, der US-Investmentfonds Artisan Partners, hat die Abspaltung weiterer Sparten gefordert. Als Artisan diesen Vorstoss erstmals medial platzierte, hatte Voser noch von «Lärm» gesprochen. Man steuere ABB mit einer langfristigen Perspektive. Kürzlich kündigte Voser an, man habe weitere Geschäftseinheiten auf den Prüfstand gestellt. Insgesamt gehe es um einen Umsatz von rund 3 Milliarden Franken.