URTEIL: Auch private Mails sind geschützt

Wer am Arbeitsplatz private Mails schreibt, darf von seiner Firma nicht einfach so ausspioniert werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden.

Stefan Brändle, Paris
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Wegen der modernen Technik werden die Grenzen zwischen privat und beruflich zusehends fliessend. (Bild: Getty)

Wegen der modernen Technik werden die Grenzen zwischen privat und beruflich zusehends fliessend. (Bild: Getty)

Stefan Brändle, Paris

Der gestern letztinstanzlich entschiedene Fall hatte die Justiz zehn Jahre lang beschäftigt. Im Jahr 2007 war der Rumäne Bogdan Barbulescu von seinem Arbeitgeber in Bukarest entlassen worden, weil er während der Arbeitszeit via Yahoo Messenger mit seiner Verlobten und seinem Bruder private E-Mails unter anderem aus seinem Liebesleben ausgetauscht hatte. Zur Kundenpflege hatte die Firma Barbulescu zwar selber angehalten, den Messenger-Dienst zu abonnieren; ein Firmenreglement bezeichnete aber jede Benutzung zu privaten Zwecken als «streng verboten». Bei der Kündigung legte die Firma dem Angestellten aber eine 45-seitige Abschrift der Privatgespräche einer einzigen Woche vor.

Der heute 38-jährige Rumäne bestritt darauf vor der Justiz seines Landes die Rechtmässigkeit der Entlassung. Sein Argument: Der Arbeitgeber habe nicht das Recht, private E-Mails auszuforschen. Die Dienstleistungsfirma tat den Einwand zuerst mit dem schlichten Gegenargument ab, dass Barbulescu gar nicht in seiner Privatsphäre gestört sein konnte, da Privatmails untersagt seien. Im Verlauf des Rechtsstreites zeigte sich aber bald, dass der Fall nicht so einfach lag.

Die rumänische Justiz wies den Kläger ab. Auch der Europäische Gerichtshof wies die Beschwerde im Januar 2016 in einem ersten Urteil ab. Doch nun erhielt der Unterlegene die Unterstützung des Europäischen Gewerkschaftsbundes sowie Frankreichs. Die französische Informatikkommission Cnil empfiehlt nämlich, dass der Arbeitgeber seine Angestellten über die Art der Überwachung des Mailverkehrs nicht nur informieren, sondern auch die Kontrollmethode nennen muss – insbesondere die so genannten Keylogger, die alle Tastaturbewegungen registrieren.

Zu wenig gut begründet

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zeigte sich darauf bereit, den Fall Barbulescu noch einmal zu prüfen. Und jetzt gibt er dem Kläger recht: Barbulescus Firma habe die Privatsphäre nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht gewahrt. Die Richter in Strassburg lehnen das generelle Argument der rumänischen Regierung ab, das Verbot privater E-Mails am Arbeitsplatz werde ad absurdum geführt, wenn keine Kontrolle derselben mehr zulässig sei. Eine Kontrolle ist durchaus erlaubt, aber eben in den Grenzen der Konvention. Konkret sei der Entlassene nicht genügend vorinformiert worden; und die Gründe für die Überwachung seien ihm nicht ausreichend dargelegt worden. Auch sei der Entlassene ungenügend in Kenntnis gesetzt worden, dass er überhaupt überwacht werde.

Arbeitsrechtsexperten meinen, das Umdenken des Gerichtshofes seit Prozessbeginn zeige allein schon, wie sehr sich die Verhältnisse in den letzten zehn Jahren geändert hätten. Heute seien die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Chatten noch fliessender als zuvor. Und zwar in beide Richtungen – checkten doch viele Angestellte am Abend noch schnell die Büro-Mails. Auch, ob dabei Firmen- oder Privatserver verwendet werden, ist oft nur noch nebensächlich. Das Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte ist deshalb auch als genereller Wink zu verstehen, dass der Arbeitgeber gerade wegen der oft unklaren Verhältnisse angehalten ist, die Rechtslage eindeutig zu klären.