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In der Shopping-Mall «American Dream» in der Peripherie von New York City ist weniger als die Hälfte der Fläche für Ladengeschäfte reserviert – weil die Konsumentinnen und Konsumenten auf der Suche nach Zerstreuung sind. Ein Besuch in einem Shopping-Tempel, in dem man auch Skifahren kann.
Der Weg zum amerikanischen Traum ist anstrengend. Weil in den Parkhäusern des Mega-Einkaufszentrums «American Dream» (Amerikanischer Traum) die Beschilderung ungenügend ist, irren an diesem Winternachmittag viele Menschen durch die riesengrosse Einstellhalle in der Peripherie von New York City. «Wo ist bloss der Eingang?», sagt ein genervter Familienvater, der aussieht, als käme er direkt von der Piste. Dann schwingt er die Skis seiner Kinder auf die Schultern und stapft in die andere Richtung davon.
Richtig gelesen: Skis, in Sichtweite der Skyline der grössten amerikanischen Stadt. Die Erklärung dafür: «American Dream», nach einer langen und komplexen Vorgeschichte im Herbst 2019 endlich eröffnet, ist mehr als ein Einkaufszentrum. Deutlich mehr: Bloss 45 Prozent der Fläche im riesigen Gebäude ist für Ladengeschäfte reserviert.
Im Rest der futuristisch anmutenden Halle, auf derzeit umgerechnet mehr als 150'000 Quadratmetern, befinden sich unter anderem eine Skipiste, der angeblich zweitgrösste Wasserpark der Welt, ein Vergnügungspark und eine Eisbahn. Dank dieser ungewöhnlichen Mischung ist «American Dream» vielleicht ein Modell für die Zukunft der Shopping Mall, des ikonischen amerikanischen Konsumtempels in der Agglomeration.
Szenenwechsel: «Big Snow» nennt sich die Skihalle, die einzige ihrer Art in Nordamerika. Die Bezeichnung für die einmalige Anlage ist, wie so häufig in diesem Land, etwas an den Haaren herbeigezogen – die längste Piste misst 300 Meter. Und die Fahrt mit dem Sessellift dauert vielleicht vier Minuten. Auch ist der Skispass nicht ganz billig. Wer zwei Stunden lang carven will, muss mehr als 70 Dollar bezahlen, Ausrüstung inklusive.
Aber niemand stört sich daran. «Der Schnee ist gut», sagt eine junge Frau, «genau richtig». Ein anderer Skifahrer räumt offen ein, dass er etwas aus der Übung sei und seine schnittigen Rossignols letztmals vor zehn Jahren angeschnallt habe. Sein Kind, das unbedingt sein Snowboard ausprobieren wollte, habe ihn aber zu einem Besuch von «Big Snow» überredet. «Nun freue ich mich auf den Hügel.»
Normalerweise könnten sich gegen 500 Menschen gleichzeitig in der Skihalle aufhalten. Aufgrund der Coronapandemie und den Auflagen des Bundesstaates New Jersey ist die Kapazität der Anlage aber derzeit auf höchstens 25 Prozent beschränkt; auch müssen sämtliche Skifahrer eine Maske tragen. Wie sich diese Vorgaben auf die Finanzen des kostenintensiven Betriebs auswirken, will der Besitzer des Einkaufszentrums nicht verraten.
Das kanadische Familienunternehmen mit dem Namen Triple Five Worldwide, das auch die grösste Mall in Kanada («West Edmonton Mall») und Amerika («Mall of America» in Minneapolis) betreibt, gibt sich verschlossen. Journalistenfragen werden ignoriert und nicht beantwortet. Bekannt ist nur, dass der Konzern seinen Geldgebern für das wohl teuerste Einkaufszentrum Amerikas gegen 2,7 Milliarden Dollar schuldet, wie das Wirtschaftsblatt «Wall Street Journal» kürzlich berichtete.
Ein Rundgang durch die Mall verdeutlicht, wie stark die Pandemie «American Dream» zugesetzt hat. Zwar sind nun sämtliche Attraktionen offen, abgesehen vielleicht von einem Aquarium und einem Riesenrad. Aber es mangelt dem Einkaufszentrum an Einkaufsmöglichkeiten – neben den Filialen von Detailhandelsgrössen wie H&M, Primark, Zara oder Lululemon sowie einem Laden des Schweizer Chocolatier Läderach herrscht gähnende Leere.
Von den einst versprochenen 450 Geschäften und mehr als 20 Restaurants ist jedenfalls nur wenig zu sehen. Angeblich sollen im kommenden Monat, wenn die Mall offiziell ihre Wiedereröffnung feiert, auch noch die restlichen Geschäfte ihre Türen öffnen.
Und dennoch: Branchenbeobachter geben dem gigantischen Einkaufszentrum grosse Überlebenschancen – auch weil das Motto des «American Dream»-Verantwortlichen Ken Downing derzeit besonders auf offene Ohren stösst: «Gerade jetzt müssen wir ab und zu dem Alltag entfliehen.» Die Marketing-Professorin Jie Zhang, die an der University of Maryland über das Kaufverhalten der Amerikaner forscht, weist jedenfalls darauf hin, dass Einkaufszentren künftig den Konsumentinnen und Konsumenten weit mehr bieten müssten als bloss ein Shopping-Erlebnis.
Zhang sagt allerdings auch, dass es vielleicht «noch Jahre» dauern werde, bis eine Mall wie «American Dream» auf Hochtouren betrieben werden könne. Derzeit hätten viele Menschen keine Lust darauf, sich längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufzuhalten – geschweige denn auf einer Achterbahn oder in einem Hallenbad. Mall-Betreiber seien deshalb gut beraten, sich weitere Investitionen gut zu überlegen.
Das Einkaufszentrum «American Dream» ist etwa 25 Autominuten vom Times Square in Manhattan entfernt – und damit auch eine Destination für die Millionen von Touristen, die jedes Jahr die grösste Stadt Amerikas besuchen. Aufgrund der Coronapandemie befindet sich die lokale Tourismusindustrie derzeit allerdings in einer tiefen Krise, auch weil sich Reisende, die nicht in den Nachbarstaaten leben, in Quarantäne begeben müssen.
Und derzeit will niemand eine Prognose darüber wagen, wann die amerikanische Einreisesperre für Bewohner aus Ländern der Schengen-Zone aufgehoben wird. Im Gespräch mit ausländischen Journalisten sagte Präsident Joe Bidens Coronaexperte Anthony Fauci kürzlich, dass eine Neubeurteilung der Lage erst in einigen Monaten anstehe – falls die Indikatoren weiter sinken würden.