VOLKSWAGEN: Er brachte den Skandal ins Rollen

Die Affäre um manipulierte Abgaswerte bei VW-Fahrzeugen hat ein kleines Universitätsinstitut in West Virginia aufgedeckt. Ein Schweizer war Teil des Teams.

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Daniel Carder (links) und die beiden Ingenieure Chris Row und Aaron Barnett vor einem der Messgeräte, mit denen sie dem Abgasschwindel bei VW auf die Schliche gekommen sind. (Bild Johannes W. Berg)

Daniel Carder (links) und die beiden Ingenieure Chris Row und Aaron Barnett vor einem der Messgeräte, mit denen sie dem Abgasschwindel bei VW auf die Schliche gekommen sind. (Bild Johannes W. Berg)

Renzo Ruf, Washington

133 Seiten zählt der Bericht: Tabellen, Karten, Grafiken, mathematische Formeln, Fussnoten. Doch das eigentliche Fazit der wissenschaftlichen Studie ist bereits auf Seite 2 nachzulesen: Da steht, dass der Stickoxid-Ausstoss der im Frühjahr 2013 getesteten Dieselfahrzeuge die staatlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überstieg.

Veröffentlicht wurde dieser Bericht am 15. Mai 2014 durch das Center for Alternative Fuels, Engines & Emissions der West Virginia University in Morgantown. Und das kleine Team um den 45-jährigen Daniel Carder setzte damit eine Lawine in Bewegung, die eine Ikone der deutschen Industrie begraben könnte. «Wir stachen in ein Wespennest», sagt Carder. Denn im Herbst 2015 gab Volkswagen offen zu, dass eine Software und andere technische Vorkehrungen dabei halfen, Abgasmessungen zu manipulieren. Seither hat der Autobauer Aufsichtsbehörden und verärgerte Kunden im Nacken. Es drohen Bussen und Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe.

Aus Bieler Garagistenfamilie

Marc Besch war Teil des Forschungsteams, das vor mehr als zwei Jahren die Effizienz von Dieselfahrzeugen des Volkswagen-Konzerns untersuchte. Der 33-jährige Schweizer – der aus einer Bieler Garagistenfamilie stammt – erinnert sich im Gespräch an die Versuchsanlage. «Auftraggeber war das International Council on Clean Transportation in Washington.» Die Denkfabrik wollte zeigen, dass deutsche Autobauer in Amerika Dieselfahrzeuge auf den Markt bringen, die sauberer sind als in Europa – auch um eine Marktlücke zu füllen. Geprüft wurden drei Modelle, ein Volkswagen Jetta, ein Volkswagen Passat und ein BMW X5. Besch führte die Testfahrten zusammen mit seinem Kollegen Arvind Thiruvengadam in Kalifornien durch, weil es den Ingenieuren aus West Virginia nicht möglich gewesen war, an der Ostküste die gewünschten Dieselmodelle zu beschaffen. Der 2014 publizierte Bericht identifiziert die Fahrzeugmodelle nicht. Aus Fussnoten und technischen Spezifikationen geht aber hervor, dass zwei Volkswagen getestet wurden. Die Ergebnisse dieser Tests waren verblüffend: Während die Autos auf dem Prüfstand die vom Hersteller versprochenen Abgaswerte erzielten, wichen die Resultate in der «wirklichen Welt» stark von den Herstellerangaben ab. Der Stickoxid-Ausstoss des VW Jetta überstieg den US-Grenzwert um den Faktor 15 bis 35.

Zunächst kein Betrugsverdacht

Doch die Ingenieure dachten nicht an einen Betrug. «Wir testeten nur zwei VW-Fahrzeuge», sagt Marc Besch, deshalb habe man keine Schlussfolgerungen für die gesamte Modellpalette ziehen wollen. «Wir gingen von technischen Problemen aus.» Nachfrage: Sie hatten nie den Verdacht, dass Volkswagen versuchte, die amerikanischen Aufsichtsbehörden zu täuschen? «Nein, nie», sagt Besch. Das Center for Alternative Fuels, Engines & Emissions habe in den Neunzigerjahren einen gross angelegten Betrug bei sechs Herstellern von schweren Dieselfahrzeugen aufgedeckt. Dies kostete bekannte Namen wie Caterpillar mehr als 83 Millionen Dollar. «Wir konnten uns nicht vorstellen, dass ein weltweit tätiger Konzern eine solche Manipulation vornehmen könnte», sagt Besch.

Reaktion kam spät

Die Ergebnisse der umfangreichen Tests stellten Carder und sein Team am 31. März 2014 an einer Konferenz in San Diego vor. Doch die Reaktion der anwesenden Experten war verhalten. «Es gab fast kein Echo», sagt Besch rückblickend. Auch Volkswagen meldete sich erst mit grosser Verspätung (im Januar 2015) bei den Experten aus Morgantown. Hinter den Kulissen allerdings wurde die Diskrepanz beim Stickoxid-Ausstoss sehr wohl zur Kenntnis genommen. Das kalifornische Umweltamt (California Environmental Protection Agency) nahm eigene Tests vor und schaltete die nationale EPA ein. Die Lawine kam ins Rollen.

Marc Besch hofft, dass «der grosse Wirbel», den der Volkswagen-Skandal auch in Amerika verursacht hat, sich positiv auf die 30 Doktoranden und Master-Studenten des Center for Alternative Fuels, Engines & Emissions auswirkt. Der Maschinenbauer selbst hat Ende September erfolgreich seine Doktorarbeit verteidigt.