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Wirtschaft
Lange war Dominique Biedermann der Vorkämpfer gegen hohe Managerlöhne und machthungrige Firmenlenker. Nun wird er durch die eigene Kritik eingeholt.
Er ist ein Schwerarbeiter und ein Überzeugungstäter Er arbeitet teilweise Tag und Nacht. Er ist enorm pflichtbewusst, geht sehr exakt vor. Er sei aber auch sehr fordernd, gar ein Kontrollfreak, der alles seinen Zielen unterordnet. So wird Dominique Biedermann von Weggefährten und Kontrahenten beschrieben.
Der 59-Jährige hat sich wie kein anderer in der Schweiz für die Sache der guten Unternehmensführung und der Nachhaltigkeit eingesetzt. Als «Robin Hood der Aktionäre» oder als «höflicher Firmenschreck» tituliert, lehrte er vielen grossen Schweizer Firmen das Fürchten. Der asketisch wirkende Ökonom ist vor allem dank seiner beissenden Kritik an den Millionengehältern hiesiger Topmanager bekannt.
Im persönlichen Gespräch klangen solche Sätze dann so: «Es ist unglaublich, wie viel Herr Dougan verdient!» Das Wort unglaublich hatte er stets überbetont. Der zweisprachige Genfer hat mit seinem französischen Akzent auch stets etwas Charmantes. Ein Dorn im Auge war ihm überdies die Machtballung in grossen Unternehmen. So hat er sich jahrelang am ehemaligen Novartis-Übervater Daniel Vasella abgearbeitet.
Nun hat Biedermann das von ihm scharf kritisierte Gebaren der Topmanager selber eingeholt. Und so musste er sich von zwei Verwaltungsrätinnen der eigenen Firma plötzlich sehr ähnliche Kritik anhören, mit der er jahrelang gegen Unternehmen und Firmenlenker donnerte.
Doch der Reihe nach. Biedermann zählt zu den Mitgründern der Stiftung Ethos, die vor 21 Jahren in Genf aus der Taufe gehoben wurde. Zuvor arbeitete er bei der öffentlichen kantonalen Pensionskasse seines Heimatkantons. Seine Motivation war klar: «Ich bin vom ersten Tag bis heute überzeugt, dass man Vorsorgegeldern nicht einfach nur anlegen soll», sagt er. Vielmehr müssten die Gelder der Versicherten nachhaltig und mit Bedacht investiert werden.
Die Betonung liegt auf dem Wort «müssen». Als Ethos gegründet wurde, war gute Unternehmensführung in anderen Ländern wie den USA bereits ein Thema. Doch Biedermann störte sich an der einseitigen Sichtweise. «Wir alle sind darauf angewiesen, dass Firmen Arbeitsplätze schaffen, mit den Mitarbeitern und Lieferanten korrekt umgehen, sich um die Umwelt kümmern und Steuern zahlen.» Dieser Ansatz gehe viel weiter, als er damals in den USA verfolgt worden sei.
«Zu Beginn wurden wir belächelt», erinnert sich Biedermann, als er mit Ethos eine Eintrittskarte für die Generalversammlungen grosser Firmen verlangte. Doch Ethos scharte immer mehr Pensionskassen hinter sich, bereits zwei Jahre nach der Gründung waren es 50.
Schon bald gelangen Biedermann die ersten Achtungserfolge. Den grossen Durchbruch schaffte er 2005: Dominique Biedermann nahm das Doppelmandat von Peter Brabeck ins Visier, der neben seinem Amt als Nestlé-Konzernchef hätte Verwaltungsratspräsident werden sollen.
Biedermann scheiterte nur äusserst knapp. Lediglich 51 Prozent stimmten für das Doppelmandat, 36 Prozent sagten Nein, der Rest enthielt sich der Stimme. Die Aktionärsvereinigung Actares schrieb danach: «Ein Teil des Aktionariats von Nestlé hat der selbstherrlichen und arroganten Führung gezeigt, dass die Generalversammlung das letzte Wort hat und auf die Ausrichtung des Unternehmens Einfluss nehmen kann und soll.»
Für viele Firmen war damit das Zeitalter vorbei, als Generalversammlungen zu einem gemütlichen Aktionärstreffen verkamen, an dem der anschliessende Apéro riche wichtiger war als die Abstimmungsresultate. Nach und nach traten neben Ethos andere Stimmrechtsberater auf die Bühne. Hohe Managerlöhne und machthungrige Topmanager gerieten stärker in den Fokus und wurden im ganzen Land zum jährlich wiederkehrenden Thema.
Nur zwei Jahre später zeigten sich Brabeck und Nestlé einsichtig. Der Österreicher trat als Konzernchef zurück und begnügte sich mit dem Präsidium. Doch Biedermann musste nicht lange nach einem neuen Feindbild suchen.
Novartis-Lenker Daniel Vasella lieferte dem Genfer mit seiner Sturheit und Jahressalären von 40 Millionen Franken und mehr einen veritablen Steilpass. Jahr für Jahr kritisierte Biedermann das Doppelmandat und die hohen Managerlöhne, Jahr für Jahr unterlag er. Doch auch Vasella und Novartis gaben nach Jahren des Widerstands klein bei.
Den beiden Grossbanken hatte es Biedermann zu verdanken, dass er auch nach dem Rücktritt von Vasella im Gespräch blieb. Der Beinahe-Kollaps der UBS oder der legendäre 71-Millionen-Franken-Bonus für CS-Chef Brady Dougan lieferten Biedermann den Stoff, um seinen Ruf als Firmenschreck weiter zu alimentieren.
Er beherrschte das Spiel um mediale Aufmerksamkeit. Er wusste genau, dass die Journalisten auf eine kritische Stimme angewiesen waren, wenn sie über die hohen Managerlöhne berichteten. Da andere Stimmrechtsberater sich weit zurückhaltender äusserten, klingelte das Telefon oft bei ihm. Doch der Genfer wusste auch sehr genau, wann er besser zu schweigen hatte.
Wie ein Mantra beschwörte er die Bedeutung des Dialogs mit den Firmen. Die Konfrontation an der Generalversammlung sei nur die Ultima Ratio, wenn ein Gespräch mit der Konzernleitung nicht weiterführe. Doch die Türen öffneten sich nur, weil er eben mit seiner Kritik im Vorfeld und an den Generalversammlungen selber ein ernstzunehmender Gegner war.
Viele Verwaltungsräte fürchten sich denn auch vor ihm. In Gesprächen zwischen den Aktionärsversammlungen versuchten sie, rechtzeitig herauszuspüren, was zu tun war, um seine Kritik verstummen zu lassen. Dabei habe er sich gerne von den Unternehmen hofieren lassen, sagt einer, der Firmen in diesen Angelegenheiten beriet. Er habe es genossen, wenn bei den Treffen der Verwaltungsratspräsident oder ein Vertreter des Topmanagements anwesend war.
Sein Erfolg zeitigt Anerkennung. Von der Stiftung Landis & Gyr wird er 2012 mit einem Preis für sein Schaffen gewürdigt, ein Jahr später folgt der Ehrendoktortitel der Uni Freiburg. Im gleichen Jahr wird aber auch erstmals so etwas wie Kritik laut. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» bemängelt seinen angekündigten Wechsel vom Direktor zum Präsidenten. Denn in Ländern wie Deutschland oder Grossbritannien ist es zunehmend verpönt, ohne Unterbruch auf dem Stuhl des Präsidenten einer Firma Platz zu nehmen. Biedermann breche mit der reinen Lehre, so der unterschwellige Vorwurf.
Doch die Aufsichtsgremien von Ethos wählen Biedermann einstimmig, der langjährige Präsident Kaspar Müller trat wie vorgesehen zurück. Allerdings ging damit ein wichtiges Gegengewicht zu Biedermann verloren. Umso mehr sei nun klar gewesen, wer bei Ethos das Sagen hat, sagt ein langjähriger Weggefährte.
Zweieinhalb Jahre später kommt es zum Eklat. Françoise Bruderer, Geschäftsführerin der Pensionskasse Post, und Monika Roth, Richterin und Finanzfachfrau, treten unter Protest per sofort zurück. Sie kritisieren seine Machtballung und die starke Position seiner Frau Yola, die seit 1999 bei Ethos arbeitet und seit 2011 in der Geschäftsleitung sitzt. Biedermann scheint darauf unvorbereitet. Kurz darauf kündigt er an, juristische Schritte gegen die beiden Frauen einzuleiten.
Die persönlichen Verletzungen sind auf beiden Seiten gross, wie Gespräche mit den Involvierten zeigen. Der Konflikt habe sich über die letzten eineinhalb Jahre aufgebaut, sagt Roth. Als Biedermann das Präsidium übernahm, sei er noch entspannt gewesen. Zunehmend hätten sie und Bruderer kritische Fragen zur Machtballung von Biedermann und seiner Frau gestellt. Darauf hätten sich seine Positionen verhärtet. In Sitzungen habe Biedermann öfter unwirsch reagiert und Teilnehmer teilweise unterbrochen, wenn sie Voten abgaben, die ihm nicht passten.
Biedermann seinerseits kann diese Kritik nicht nachvollziehen. «Ich habe grosse Mühe damit, dass man mich zunächst unter Applaus zum Präsidenten wählt und dann die Meinung plötzlich ändert.» Er sei mit den Stiftungs- und Verwaltungsräten regelmässig in Kontakt gewesen. An den Sitzungen habe er eine Dialogkultur gepflegt.
Die Machkonzentration habe sich mit seinem Wechsel zum Präsidium verkleinert. Der Vorwurf, seine Frau sei die eigentliche Chefin und nicht etwa sein Nachfolger Vincent Kaufmann, sei völlig falsch. Kaufmann sei als Direktor bei den Ratssitzungen dabei, er führe Ethos souverän und erfolgreich und vertrete die Firma nach aussen.
Bruderer und Roth setzten darauf, dass Biedermann in absehbarer Zeit dafür sorgt, für sich selber einen Nachfolger zu präsentieren. Er selber sagt, das sei so nirgends gesagt oder festgehalten worden. Die beiden Frauen bestätigen dies zwar, ihre Erwartungshaltung war dennoch eine andere.
Vermutlich fürchtete Dominique Biedermann um sein Lebenswerk, wenn er allzu rasch auch den Präsidentenstuhl räumen würde. Sein Chef-Nachfolger Vincent Kaufmann ist fachlich unbestritten, das Charisma eines Biedermanns hat er dagegen nicht. Gut möglich, dass sich Biedermann unverzichtbar fühlte und so die Nachfolgeregelung auf die lange Bank schob. Damit sorgt der Eklat dafür, dass er nun viel rascher gehen muss, als ihm lieb sein dürfte.