Immer mehr und vor allem immer billigeres Rindfleisch wird in die Schweiz importiert. Allein Deutschland und Österreich lieferten letztes Jahr die Hälfte der eingeführten Menge. Dies zum einen, weil die Europäer preislich die Nase vorne haben und zum anderen, weil der Schweiz schlicht die Kühe ausgehen.
Die Schweizer Fleischbranche blickt derzeit bange gen Südamerika. Es droht der Freihandel. Ein solcher – so die Bedenken – würde zu einem massiven Anstieg von Billigimporten, insbesondere beim Rindfleisch, führen. Eine Behauptung, die so kaum auf keine Kuhhaut geht. Ein Blick in die Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) zeigt: Billiges Rindfleisch kommt kaum aus den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay oder Uruguay in die Schweiz. Am internationalen Markt sind es andere Produzentenländer, die in Sachen Preis die untere Messlatte festlegen.
Zum Überblick: 2017 wurden insgesamt 24 000 Tonnen Rindfleisch in die Schweiz eingeführt – dreimal mehr als zur Jahrtausendwende. Ein Drittel davon stammte letztes Jahr alleine aus Deutschland. Während sich die Einfuhren aus unserem nördlichen Nachbarland in den Neunzigerjahren – und damit vor der BSE-Krise – kaum über 10 Tonnen jährlich bewegten, waren es letztes Jahr 8200 Tonnen. Im gleichen Zeitraum haben sich beispielsweise die Rindfleischimporte aus Argentinien halbiert. Ein Umstand, der nicht zuletzt der Preisentwicklung der letzten Jahre geschuldet sein dürfte.
Gemäss Eidgenössischer Zollverwaltung hatten diese 8200 Tonnen Rindfleisch aus Deutschland einen Gesamtwert von 32 Millionen Franken. Das entspricht einem Kilopreis von 4 Franken. Zum Vergleich: Rindfleisch aus Argentinien kam 2017 für 17 Franken über die Grenze. Der enorme Unterschied erklärt sich zwar grösstenteils damit, dass aus Deutschland vor allem mehr ganze Kuhhälften für die Weiterverarbeitung eingeführt werden (siehe Kasten unten). Diese sind mit den Edelstücken wie Steaks Filet oder Entrecôte aus Südamerika kaum vergleichbar. Doch auch die Zollnummer, unter welcher die EZV verkaufsfertige Fleischstücke führt, zeigt, dass die Mercosur-Staaten preislich mit den Europäern nicht mithalten können. Vor allem Deutschland, Österreich, Polen, Dänemark oder die Slowakei beliefern die Schweiz gemäss Zollverwaltung mit Fleisch von Rindern, ohne Knochen, frisch oder gekühlt für unter 10 Franken das Kilo. Betrachtet man die gesamten Rindfleischimporte, liefern Österreich und Deutschland zusammen mehr als die Hälfte der eingeführten Gesamtmenge.
Unbestritten ist, dass Rindfleisch aus Südamerika hoch besteuert wird. Auf Rindfleisch aus EU-Staaten werden im Rahmen des Schweizer Zollkontingents keine Abgaben fällig. Ob es bei einem Freihandel mit dem Mercosur zu grundsätzlichen Verschiebungen kommt, bleibt dabei zumindest anzuzweifeln. Dies zumal, weil mit den Importen aus Europa eben auch ganze Kuhhälften und damit nebst dem Verarbeitungsfleisch unweigerlich auch Edelstücke importiert werden. Bei der GVFI International AG in Basel, einer der Spezialisten für Schweizer Fleischimporte, bleibt die Frage ebenfalls offen. «Dies kann erst beantwortet werden, wenn die Rahmenbedingungen des möglich Freihandels mit den Mercosur-Staaten definiert sind», heisst es auf Anfrage.
Fakt ist bereits, dass die europäischen Rindfleischexporte boomen. Alle Fleischexporteure der Union haben letztes Jahr erneut einen neuen Umsatzrekord aufgestellt. Die Ausfuhren von Rindfleisch legten dabei um fast 10 Prozent auf insgesamt 768 200 Tonnen zu. Weil auch die internationalen Preise anzogen, stiegen die Umsätze um 14,3 Prozent auf den neuen Höchstwert von 2,53 Milliarden Euro. Laut EU-Kommission hätten dabei vor allem die Lieferungen nach Hongkong oder die Philippinen gesteigert werden können.
Gemäss Eidgenössischer Zollverwaltung importierte die Schweiz zur Jahrtausendwende gesamthaft rund 7000 Tonnen Rindfleisch. Dies zum durchschnittlichen Kilopreis von 11.70 Franken. Im vergangenen Jahr waren es dreimal mehr, nämlich 24000 Tonnen für durchschnittlich 8.80 Franken das Kilo. Immer mehr preisgünstiges Rindfleisch kommt dabei in Form ganzer Kuhhälften für die Weiterverarbeitung über die Landesgrenze.
Ravioli, Lasagne, Hamburger oder Würste sind dann die Endprodukte der hiesigen Industrie. Und der Schweizer Bedarf nach solchen Lebensmitteln wächst. «Die Nachfrage nach Verarbeitungsfleisch ist sehr gut», bestätigt Peter Schneider von der Branchenorganisation Proviande. Dass diese immer mehr mit Importen gedeckt werden müssen, habe vor allem mit der Situation im Milchmarkt zu tun. Rindfleisch, das für die Weiterverarbeitung bestimmt sei, stamme zu einem grossen Teil von Kühen, also von älteren Tieren, die einst in der Milchproduktion im Einsatz gewesen seien. «Und da in der Schweiz immer mehr Bauern die Milchproduktion aufgeben, sinken auch die Kuhbestände.» Die gute Nachfrage nach Kühen könne entsprechend nur mit Importen sichergestellt werden, erklärt Schneider weiter.
Eine bereits lang andauernde Entwicklung, die nun dazu geführt hat, was vor einigen Jahren noch als undenkbar galt. Der am Donnerstag von Proviande publizierte Richtpreis für alte Kühe ist gleich hoch angesetzt, wie derjenige für junge Munis, Rinder oder Ochsen, von welchen eigentlich die teuren Fleischstücke stammen. Der Mangel an Kuhfleisch hat mittlerweile gar McDonald’s veranlasst, auf Importfleisch auszuweichen – die Burgerkette setzt sonst ausschliesslich auf Schweizer Rindfleisch. «Der Milchkuhbestand ist weiter gesunken, was zu einem erneuten Engpass an Schweizer Rindfleisch führt», schreibt McDonald’s in einer am Mittwoch veröffentlichten Medienmitteilung. Und weiter: «Aufgrund der aktuellen Marktsituation ergänzen wir ab Juni via Bell für einen begrenzten Zeitraum von rund 15 Wochen unseren Bedarf teilweise mit Rindfleisch aus Österreich. Dies entspricht 10 Prozent des Jahresvolumens an Rindfleisch, die anderen 90 Prozent beziehen wir weiter aus dem Inland», erklärt Rainer Rufer, Head of Department Supply Chain von McDonald’s Schweiz.
Für Schneider von Proviande wird sich das Problem in den kommenden Monaten noch akzentuieren. «Die Zahlen zeigen, dass die Anzahl Milchkühe weiter abnehmen wird, und es gibt keine Alternativen.» Denn auch das Fleisch von jüngeren Tieren könne das Kuhfleisch aufgrund seiner Beschaffenheit kaum ersetzen, so Schneider. (rab)