Frankreich
Warum Champagner vorwiegend Frauensache ist

Vor 200 Jahren revolutionierte eine französische Witwe das Geschäft mit dem Schaumwein. Doch «Veuve Clicquot» war nicht die Einzige. Ncoh heute werden mehrere angesehene Champagnerhäuser von Frauen geleitet.

Stefan Brändle, Reims
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Champagner: Nicht nur bei Frauen beliebt, sondern auch von Frauen gefördert.

Champagner: Nicht nur bei Frauen beliebt, sondern auch von Frauen gefördert.

Keystone

Die Drehbewegung aus dem Handgelenk muss kurz und präzis sein. Die schräg nach unten gelagerte Champagnerflasche wird an ihrem Boden gepackt und um einen Zwölftel nach rechts gedreht, als würde sie um eine Stunde vorgestellt. Man nennt es «le remuage» (Rütteln, Drehen). Die Technik, die heute grösstenteils von Maschinen ausgeführt wird, hat die Champagner-Herstellung vor 200 Jahren revolutioniert. Für die zweite Gärung, bei der die Kohlensäure entsteht, wird Hefe zugegeben; diese wird durch das «remuage» am Boden des Korkens gesammelt, sodass der Wein klar wird.

Die Erfinderin dieser Technik war Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin, besser bekannt als «Veuve Clicquot». Die kleine energische Frau eines Textil- und Weinhändlers hatte die Unternehmung nach seinem Tod 1805 übernommen und weitergeführt. Sie war gerade mal 27 Jahre alt, verstand nicht viel von Schaumwein und trat in eine absolute Männerdomäne ein.

«Man muss sich das vorstellen – zu jener Zeit durfte eine Französin keine Geschäfte betreiben, ja nicht einmal ein Bankkonto führen», erzählt Isabelle Pierre, Archivarin bei der heutigen Prestigemarke Veuve Clicquot. «Die einzige Ausnahme galt für Witwen; sie durften den Betrieb ihres verstorbenen Gatten weiterführen.»

Barbe-Nicole verstand kaum etwas von Champagner. «Aber sie war bei der Traubenernte dabei, kostete den Wein, entwarf eine elegantere Flaschenform, schuf die erste Flaschenetikette, erfand den Rosé-Champagner – und entdeckte schliesslich das entscheidende Flaschendrehen, das ‹remuage›», sagt Isabelle Perrier am Eingang zu den 24 Kilometer langen Kellerlagern im Kalkstein. Hier reift der Schampus heute bei einer konstanten Temperatur von zehn bis zwölf Grad mindestens drei Jahre lang.

Der Legende nach testete die noch nicht 30-jährige Barbe-Nicole Clicquot das neue Verfahren in ihrer eigenen Küche, indem sie Löcher in den Holztisch bohrte und die Flaschenhälse hineinsteckte. Unten in den Lagern lachten sie die Kellermeister aus: Es sei doch nicht möglich, die tote Hefe aus der Flasche zu kriegen, ohne dass dies den Schaumwein trübe. Mit der Zeit mussten die Weinprofis aber einsehen, dass die junge Chefin recht hatte. Dank diesem Verfahren gewann «Veuve Clicquot», wie der Champagner nun selber hiess, bald einen kommerziellen Vorsprung vor Konkurrenzmarken wie Moët.

Champagner für den Zarenhof

Ausserdem gelang es Barbe-Nicole nach den Napoleonischen Kriegen 1814 als Erster, eine Schiffsladung Champagner über Kopenhagen an den russischen Zarenhof in Petersburg zu schicken. Das war der Startschuss für Clicquots Erfolgsstory. Barbe-Nicole baute das Champagner-Geschäft 60 Jahre lang zu einem der ersten internationalen Branchenkonzerne aus; heute gehört er zum globalen Luxuskonzern LVMH. Als Barbe-Nicole 1866 starb, nannte man sie in der Branche – heute 350 Marken, Gesamtumsatz 4,4 Milliarden Euro – nur noch die «Grande Dame de la Champagne».

Auch ebnete sie einer langen Reihe von Frauen – genauer gesagt Witwen – den Weg ins Geschäft. 1860 übernahm in Reims Louise Pommery das Erbe ihres Mannes, eines kleinen Champagner-Produzenten, der vor allem nach England exportierte. Den Briten war der französische Edeltropfen, der bis zu 200 Gramm Zucker pro Flasche enthielt und manchmal fast so dick wie Marmelade war, aber zu süss. Louise erfand deshalb für Queen Victoria den «Brut», den schwach zuckerhaltigen Champagner. Die Dritte der legendären Champagner-Witwen war Mathilde Emilie Perrier. Sie stieg 1887 nach dem Tod ihres Mannes in das Geschäft mit dem doppelt gegärten Traubensaft ein. Als Erste nahm sie eine der später verbreiteten Betriebsfusionen der Branche vor und legte die Grundlage für Laurent-Perrier, eine der heute meistverkauften Champagnermarken.

Bald konnten nicht nur Witwen Firmenchefin sein. Viele Marken wahrten indes den Zusatz «Veuve» – vielleicht auch als Verbeugung vor dem weiblichen Talent, Begonnenes weiterzuführen und zu entwickeln. «Im Unterschied zu vielen selbstherrlichen Firmengründern, die ihren Nachlass kaum je regelten, bereiteten die Champagner-Witwen zu Lebzeiten einen geordneten und zukunftsträchtigen Übergang vor», sagte Isabelle Pierre. Heute arbeiten generell immer mehr Frauen in der Champagne, viele auch als Önologinnen. Über die Gründe kann Pierre nur spekulieren: «Rührt das daher, dass Schaumwein ein sehr kreatives Geschäft ist, dessen Leitung weibliche Qualitäten wie Intuition, Geschmack und Souplesse erfordert?»

Qualität und Ökologie

Auf jeden Fall werden heute mehrere angesehene Champagnerhäuser von Frauen wie Vitalie Taittinger oder Nathalie Vranken geleitet. Oder von Witwen wie Carol Duval-Leroy. Sie übernahm das Unternehmen nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1991 und gab ihr ein fast feminines Image – so etwa mit den zwei Champagnerlinien «Femme de Champagne» und «Fleur de Champagne». Sie verbindet Qualität mit einem ökologischen Ansatz, was in der Champagne-Gegend nicht selbstverständlich ist.

Damit ist die geborene Belgierin aber erfolgreicher als all ihre männlichen Kollegen, hat sie den Umsatz ihres Betriebes doch verfünffacht. Trotzdem ist ihr der Erfolg nicht zu Kopfe gestiegen: Carol Duval-Leroy bereitet ihre drei Kinder sukzessive auf die Übernahme der Unternehmens vor. Den 1991 eingeführten Zusatz «Veuve» zum Firmennamen hat sie längst gestrichen. «Nach einem Jahr hörte ich damit auf, da mir das Wort ‹Witwe› morbid vorkam», lacht die alles andere als traurige Winzerin.

Mit Humor nahm es auch Lily Bollinger, eine der bekannteste «Verve du Champagne», deren geschäftsführender Gatte mitten im Zweiten Weltkrieg verstorben war. Die clevere Champagner-Chefin, deren Schaumwein über die James-Bond-Serie weltberühmt wurde, meinte einmal augenzwinkernd: «Ich trinke Champagner, wenn ich glücklich bin, und überdies, wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich ihn, wenn ich allein bin; wenn ich in Gesellschaft bin, erachte ich das sowieso als meine Pflicht. Wenn ich keinen Hunger habe, vergnüge ich mich mit Champagner. Ferner trinke ich ihn, wenn ich Appetit habe. Abgesehen davon rühre ich nie welchen an – ausser, wenn ich Durst habe.»