Unsicherheit prägt den Jahresanfang — sie dürfte im Laufe der nächsten Monate auch nicht abnehmen.
Heute beginnt sie, die besondere Zeit im Wirtschaftsjahr. Die Zeit für Rückblicke, Ausblicke, Eigenlob und Schelte. Die Zeit, in der über den Jahresabschluss berichtet wird. Wer nicht allzu vertraut ist mit Bilanzen, kein Aktionär oder selbst Unternehmer, der stellt sich die ersten beiden Monate des Jahres am besten vor als eine Art fünfte Jahreszeit für Buchhaltungen – nur dass es statt viel zu feiern noch mehr zu arbeiten gibt. Was dem Narren die Fasnacht, dem Basler «die drey scheenschte Dääg», das ist dem Finanzchef die Berichtssaison.
So unterschiedlich die Rückblicke aufs zurückliegende Geschäftsjahr von Firma zu Firma für gewöhnlich sind, so sehr sind sich die meisten in letzter Zeit einig: die Zukunft ist unsicher. In der diesjährigen Berichtssaison dürfte es nicht einen einzigen geben, der das anders sieht.
Unsicher ist es zwar irgendwie immer am Jahresanfang. Doch dieses Jahr ist anders. Zu Beginn des letzten Jahres war ungewiss, was die beiden wichtigsten Abstimmungen im 2016 bringen werden. Mittlerweile ist klar: Brexit und Trump kamen heraus – und mit ihnen nicht nur noch viel mehr Unsicherheit, sondern eben auch die Gewissheit, dass heute gar nichts mehr unmöglich ist.
In die Unsicherheit hinein machten die Börsen weltweit zum Ende des letzten Jahres regelrechte Sprünge – und zwar nach oben. Zumindest mit diesem «Trump-Effekt» scheint es nun vorbei zu sein. Zum Jahresstart beruhigt man sich und wartet mit konzentrierter Anspannung auf den 20. Januar, wenn Trump sein Amt antritt.
Was der Präsident in den ersten Monaten anpacken will, dürfte Konsequenzen für Firmen aus der Schweiz haben. Änderungen am Gesundheitssystem, Infrastrukturprogramme, Fokus auf US-Unternehmen – innenpolitische Themen sind das zwar, doch die Wirkung dürfte global sein. Änderungen bei Medikamentenpreisen treffen etwa Roche und Novartis, neue Strassen und Brücken interessieren Lafarge-Holcim, wenn Trump nach Öl bohrt freut sich ABB.
Wagt Trump nach seinem erwarteten innenpolitischen Kehraus direkt den aussenpolitischen Rundumschlag, etwa indem er sich Abkommen zum freien Handel oder gleich direkt Länder mit positiver Aussenhandelsbilanz gegenüber den USA zur Brust nimmt, dürfte das unmittelbar auf exportorientierte Schweizer Unternehmen durchschlagen. Bislang ist Trump indes nur eines: eine Wundertüte.
Das zweite politische Risiko wartet in Europa: die Umsetzung des Brexit hat Folgen für die Schweiz. Dies, gar nicht mal so sehr, weil hiesige Firmen wahnsinnig viel auf die Insel exportieren würden. Vielmehr schmerzt die politische Unsicherheit und die weitere Schwächung Europas. Die Umsetzung des Brexit: auch eine Wundertüte.
Dabei steht die Schweizer Industrie zum Jahresbeginn 2017 so gut da wie schon lange nicht mehr. Trotz Unsicherheiten sind die Auftragsbücher voll. Der Einkaufsmanagerindex, einer der wichtigsten Indikatoren für den Blick nach vorn, stand während des gesamten Jahres 2016 auf Wachstum.
Während Trump und Brexit neue Herausforderungen sind, bringt ein Faktor seit jeher Überraschungen: der Ölpreis. Nachdem die Opec-Staaten um Saudi-Arabien und Iran mit Nicht-Opec-Staaten wie Russland eine Fördergrenze beschlossen haben und so zumindest ein klein wenig Berechenbarkeit brachten, könnte auch dies im kommenden Jahr schnell nach hinten losgehen. Nämlich dann, wenn die Staaten einer langen Tradition folgen und ihre Verabredungen rasch wieder in der Wüste begraben. Auch der Ölpreis bleibt also eine Wundertüte. Schweizer Firmen blicken überdies in die Schwellenländer. Hier macht nach wie vor das langsame Wachstum in China Sorgen.
Wundertüten gibt es freilich nicht nur im Ausland. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative ist noch nicht in trockenen Tüchern, die Unternehmenssteuerreform III erst recht nicht.
Trotzdem wagen sich einzelne Industrien aus der Deckung. Die zuletzt gebeutelte Uhrenindustrie etwa. Jean-Claude Biver, Uhrenchef des Luxusgüterkonzerns LVMH (Tag Heuer, Hublot) sagte der «Schweiz am Sonntag»: Er glaube, «dass das neue Jahr unserer Industrie Wachstum bringen wird».
Mit der Erkenntnis aus 2016, dass selbst Szenarien, denen man im Vorfeld nur sehr geringe Wahrscheinlichkeiten zugeschrieben hat, tatsächlich eintreten können, lässt sich festhalten: Viele Branchen sind gut gerüstet und zu Recht zuversichtlich. Gewappnet für das Schlimmste sollten sie trotzdem sein.