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Wirtschaft
Neue Berechnungen der Universität Bern zeigen: In der Coronakrise wird die Zahl der Lehrstellen einbrechen. Das raten Experten.
Zehntausende von Jugendlichen müssen inmitten der Coronakrise eine Lehrstelle suchen. Wie gross die Hindernisse sein werden, dazu gibt es nun von der Universität Bern eine erste Prognose. Diese beziffert die sogenannte Lehrstellen-Lücke: wie viele Lehrstellen bald fehlen.
Die Schätzung stützt sich auf Erfahrungen aus vergangenen Rezessionen und auf die Prognose des künftigen Wirtschaftswachstums. Auf dieser Grundlage ist zu erwarten, dass dieses Jahr zwischen 2200 und 3000 weniger Lehrverträge unterschrieben werden als im Vorjahr. Das klingt zunächst nicht nach einem historischen Einbruch. Doch der Verlust wiegt umso schwerer, da über die Hälfte der Lehrstellen schon vor dem Lockdown besetzt war.
Von jenen gut 30000 Jugendlichen, die nach Ausbruch der Krise suchen müssen, könnten acht bis zwölf Prozent ohne Lehrstelle bleiben. Hätte nicht irgendwann im Spätherbst 2019 ein neues Coronavirus im fernen chinesischen Wuhan den Sprung auf den Menschen geschafft – sie hätten eine Lehrstelle gekriegt.
Der Verlust an Lehrstellen könnte am Ende höher ausfallen, so Stefan Wolter. Der Professor an der Uni Bern sagt: «In den Zahlen, die wir analysiert haben, ist kein vergleichbarer Wirtschaftseinbruch zu finden. Das Ausmass ist dieses Mal grösser, das Timing schlechter.» Die Krise brach just in jenen Monaten aus, in denen die Betriebe über ihr Angebot an Lehrstellen entscheiden. Wolter rät darum: «In diesem Jahr sollten die Jugendlichen etwas weniger wählerisch sein, vor allem jene, die jetzt noch nichts haben.»
Eine Wende zum Besseren wird auf sich warten lassen. Im nächsten Jahr wächst die Wirtschaft zwar wieder, wenn die aktuellen Prognosen stimmen. Jedoch wird es länger dauern, bis die Betriebe wieder mehr Lehrstellen schaffen. Auch 2021 werden 2000 bis 3000 Lehrverträge weniger unterschrieben.
Nicht nur auf dem Lehrstellenmarkt tun sich Lücken auf. Auch für junge Leute, die ihre Lehre oder ihr Studium abschliessen, könnten Jobs knapp werden. So ist bei Jobcloud, das das Stellenportal jobs.ch betreibt, die Zahl der ausgeschriebenen Stellen seit Mitte März eingebrochen. In der Deutschschweiz beträgt der Rückgang 30, in der Westschweiz gar 40 Prozent. Stellenausschreibungen, die sich an Anwärter ohne Berufserfahrung richten, seien noch stärker betroffen.
Bei Talendo, einer Plattform, die sich an Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss wendet, haben sich die Traffic-Zahlen verdoppelt. Das sei ein Hinweis darauf, dass bei den Studierenden eine gewisse Nervosität herrsche, so Geschäftsführer Tim Ruffner. Doch gebe es dafür keinen Anlass: Die Zahl der Praktikumsplätze, die insbesondere von Grossunternehmen auf seiner Plattform angeboten werden, sei stabil. «Dasselbe gilt für Einstiegsstellen», sagt Ruffner. Zumindest für Hochqualifizierte bestätigt sich der Negativtrend also nicht.
Daniel Reumiller ist Präsident der Schweizerischen Konferenz der Leiter der Berufs- und Studienberatung. Er sagt, wenn der Arbeitsmarkt einbreche, bekämen das junge Leute ohne Berufserfahrung besonders zu spüren. Er rät zu Flexibilität. «Der Lohn sollte nicht das erste Kriterium sein.» Man müsse Erfahrung sammeln, wenn nötig vorübergehend in einer anderen, von der Rezession weniger betroffenen Branche. So könne man künftigen Arbeitgebern zeigen, dass man die Zeit genutzt habe – vielleicht auch mit einem eigenen Projekt.
Die Krise ist bei den Jugendlichen angelangt. «Es ist schon zu Entlassungen gekommen», sagt Michael Siegenthaler. Der Arbeitsmarktexperte der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich stützt sich auf die Statistiken zu Jugendarbeitslosen. Im März mussten sich rund 3000 Jugendliche mehr bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren melden als vor einem Jahr. Das entspricht einem Anstieg um 26 Prozent. Diese Zahlen zeigen das Bild nach zwei Wochen im Lockdown. Seither dürfte die Jugendarbeitslosigkeit weiter angestiegen sein.
Es sind besondere Zeiten, und das wirkt sich auf die Stellensuche aus. Absolventenkongresse finden online statt, Vorstellungsgespräche nur auf Skype oder Zoom. Darum bieten Fachhochschulen oder Universitäten nun Coachings an, um die Studenten auf das Bewerben in Coronazeiten vorzubereiten.