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Der Chef des Genfer Schreibwaren-Herstellers Caran d’Ache über VIP-Kunden, Amazon-Verkäufe und eine neue Holz-Strategie.
Frankreich ist nicht mal hundert Meter entfernt, doch Caran d’Ache ist urschweizerisch: In vierter Generation produziert die Familienfirma in Thônex, am Rande von Genf, Kugelschreiber, Farb- und Bleistifte für das In- und Ausland. Konzernchef Jean-François de Saussure, der nicht Teil der Inhaberfamilie ist, empfängt zum Gespräch am unscheinbaren Hauptsitz, inmitten einer lauschigen Nachbarschaft. Doch die Ruhe trügt: Das Traditionsunternehmen ist gefordert, es muss sich der Digitalisierung, dem Strukturwandel im Detailhandel und der Klimadebatte stellen.
Jean-François de Saussure: Nie! Es gibt nichts Dauerhafteres als einen Bleistiftstrich auf Papier. Wir alle haben das Bedürfnis, persönliche Spuren zu hinterlassen.
Viele. Einer unserer Besteller ist der grosse, flache Bleistift für Schreiner und Förster, mit denen sie Holzpaletten und Bäume markieren. Der klassische rote «341» ist beliebt bei Notaren und Anwälten, die viele Notizen in Dokumenten machen müssen. Und dann natürlich Künstler. Es ist ein kleines Werkzeug, hinter dem viel Arbeit steckt. Die Herstellung eines Bleistiftes benötigt 36 Produktionsschritte und 54 Stunden.
Solche Programme kommen und gehen. Wir alle kennen den regelmässigen Frust, wenn wir unsere Computer oder Handys updaten müssen. Bei einem Bleistift oder einem Kugelschreiber braucht es kein Update, keine Batterie und kein Virenschutzprogramm. Ich will die Digitalisierung aber nicht kleinreden. Wir haben zum Beispiel Kugelschreiber produziert, die man auch fürs Tablet verwenden kann.
Absolut. Gerade in Zeiten der Digitalisierung ist die Kreativität als sogenannter Soft Skill zunehmend gefragt. Das Malen und Zeichnen hilft, sie zu entfalten. Und weil die Schulen immer mehr Schüler zählen, steigt unser Umsatz in diesem Bereich leicht an.
Zum Glück sind das Einzelfälle, die meisten Schulen sind Stammkunden von uns. Aber es ist ein freier Markt, und die Aufträge werden öffentlich ausgeschrieben.
Dieser Trend kam aus den USA und war in den Jahren 2015 und 2016 am stärksten. Auch die Kalligrafie ist beliebter als auch schon. Inzwischen hat der Boom zwar etwas nachgelassen. Aber er hat dafür gesorgt, dass viele Erwachsene das Malen für sich wiederentdeckt haben. Für viele ist es eine Art Entspannungstherapie. Es ist ein Anlass in dieser stressigen Welt, um sich Zeit für sich selbst zu nehmen, sich hinzusetzen und in Ruhe kreativ zu sein. Etwas, was heute viel zu kurz kommt.
1915 gründete Arnold Schweitzer die Firma «Fabrique Genevoise de Crayons», die 1924 in Caran d’Ache umbenannt wurde. Der Name kommt vom russischen Wort «karandasch» (Bleistift). Heute wird die Familienfirma in vierter Generation geleitet, mit Carole Hübscher als Präsidentin und dem Externen Jean-François de Saussure als Chef. Caran d’Ache beschäftigt in Genf rund 300 Mitarbeitende, zählt 25 Boutiquen im In- und Ausland und exportiert seine Produkte in über 90 Länder. Geschäftszahlen gibt die verschwiegene Firma keine bekannt. (BWE)
Diese Entwicklungen bereiten mir grosse Sorgen. Wir sehen, dass einige Detailhandelspartner zurzeit Schwierigkeiten haben. Ich habe Mühe zu verstehen, wie man ein Produkt online bestellen kann, das man täglich in der Hand hat und benutzt, ohne es vorher ausprobiert zu haben. Wir haben deshalb in vielen Boutiquen kleine «Art Center» installiert, wo wir den Kunden unsere Produkte demonstrieren und wo sie ausprobiert werden können. Mit ein bisschen Beratung merkt jeder rasch, dass er oder sie ein Künstler sein kann. Doch online zählt leider oftmals nur der Preis.
Nein, aber wir führen vermehrt Atelier-Events in den Geschäften durch, insbesondere in kleineren Boutiquen und Papeterien, die sich über unsere Ideen freuen. Und wir schulen das Verkaufspersonal der grossen Detailhändler.
Da gab es leider einige. Hauptgrund ist aber nicht die Onlinekonkurrenz, sondern die fehlende Nachfolge. Die meisten Papeterien sind familiengeführt, und die jüngere Generation hat nicht immer Lust, das Geschäft zu übernehmen.
Nein, wir selber verkaufen darauf keine Caran-d’Ache-Produkte. Aber unsere Zwischenhändler hingegen schon.
Das machen wir auch, indem wir sicherstellen, dass das Sortiment beschränkt ist und das Preisniveau eingehalten wird. Wir wollen nicht, dass die Kunden im Geschäft mehr für ihren Stift bezahlen müssen.
Ich kann mir vorstellen, dass wir bis zu 15 weitere Shops eröffnen werden, davon 4 bis 5 in der Schweiz. Wir möchten die Geschäfte vermehrt auch mit unseren «Art-Centern» ausrüsten, wo die Kunden Workshops besuchen können. Das ist eine Idee, die wir mit Erfolg in China und Südkorea getestet haben. Gerade in Asien spüren wir, wie stark das Schweizer Qualitätsimage wahrgenommen wird.
Wir stossen oft auf Caran-d’Ache-Kopien in China, das ist in der Tat so. In solchen Fällen werden wir ebenfalls juristisch aktiv. Momentan ist ein Fall gerade hängig.
Ich war kürzlich in England und wurde darin bestätigt, dass Bundesrat Parmelin einen guten bilateralen Vertrag mit Grossbritannien abgeschlossen hat, der die Handelsbeziehungen mit der Schweiz aufrechterhalten wird, ohne allzu grosse Komplikationen. Wir spüren aber natürlich, dass die Geschäfte aus Unsicherheit ihre Lager aufstocken.
Nein, die Stifte waren ja nicht im Film selber zu sehen, es war kein Product Placement.
Ja, das wäre nicht schlecht. Ich frag mal Miss Moneypenny, was das kosten würde. (lacht)
Das war Anfang der 2000er-Jahre, da verkauften wir einen Kugelschreiber, der voll mit Diamanten besetzt war, für mehr als eine Million Franken. Der schaffte es ins Guinness-Buch der Rekorde. Kürzlich hatte ich persönlich das Vergnügen, einen Kugelschreiber für 150 000 Franken verkaufen zu können. Aber so was geschieht nur ein paar Mal pro Jahr. Oft sind es wohlhabende Kunden aus dem Nahen Osten. Eine arabische Prinzessin kam neulich von einem Trip in Kenia zurück und wünschte sich einen personalisierten Kugelschreiber mit Safari-Sujets und afrikanischen Edelsteinen.
Ihr Wunsch war uns Befehl.
Wir haben vor vier Jahren damit begonnen, Stifte aus Schweizer Holz zu produzieren. Das war für uns ein Lernprozess. Denn Schweizer Holz hat völlig andere Eigenschaften als die kalifornische Zeder, die wir verwenden. Das US-Holz hat weniger Knoten, ist weicher und somit kundenfreundlicher, da sich der Stift einfacher spitzen lässt. Das Schweizer Holz ist so stark, dass es anfangs unsere Sägen zerstörte.
Deshalb haben wir einen Teil unserer Maschinen angepasst. Und es kommt noch etwas hinzu. Heute ist die Verarbeitung des Schweizer Holzes zu kleinen Brettern, die wir für die Produktion benötigen, um ein Vielfaches teurer als in den USA, drei- bis viermal so viel. Dennoch haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass in zehn Jahren 20 Prozent unserer Stifte aus Schweizer Holz hergestellt sind, aus Wäldern im Jura und im Wallis.
Dieser Wandel braucht Zeit. 2024 werden wir unsere neue Manufaktur eröffnen, ebenfalls in Genf, in der wir mit effizienteren und stärkeren Maschinen arbeiten können. Zudem müssen wir unsere Kunden davon überzeugen, Schweizer Holzstifte zu kaufen, die zwar etwas teurer sind, dafür die bessere CO2-Bilanz aufweisen.
Wir waren schon immer eine nachhaltige Firma. Vor 15 Jahren waren wir eines der ersten Unternehmen, das all sein Stifte von der FSC-Stiftung als nachhaltig zertifizieren liess. Wir haben nicht auf die Proteste von Jugendlichen gewartet. Seit vielen Jahren rezyklieren wir mehr als 20 Prozent unseres Industriewassers, vor zehn Jahren haben wir Solarzellen installiert, und die Holzreste, die bei der Verarbeitung entstehen, benutzen wir seit den 50er-Jahren, um die Manufaktur im Winter zu beheizen. Wir wurden aktiv, lange bevor Greta kam.
Die Absicht ist klar, dass das Unternehmen auch in Zukunft in Familienhand und in der Schweiz bleibt. Aber die fünfte Generation ist noch sehr jung, sie muss das Malen und Schreiben erst noch perfektionieren.