Die Vormacht der sozialen Netzwerke könnte gebrochen werden, indem wir diese für die gegenwärtig kostenlosen Dienste bezahlten. Und diese uns im Gegenzug für die Verwendung unserer Daten bezahlten.
Ihr Studienfreund ist soeben Vater geworden und postet ein Selfie von sich und dem Baby in seinem sozialen Netz. Sein kleines Töchterchen sieht so niedlich aus, weshalb Sie das Foto liken. Doch schon bald bemerken Sie, dass sich Ihr Newsfeed ändert: Es wird Ihnen auf einmal Nuggi-Werbung angezeigt. Und einer dieser Nuggis trägt sogar das Logo Ihrer ehemaligen Uni, und er ist auch gerade Aktion! Natürlich ist dies das ideale Geschenk für Ihren Freund – und so kaufen Sie es.
Der Uni-Shop hat Umsatz gemacht und ein soziales Netzwerk daraus eine Provision erwirtschaftet. Um einen Verkauf zu erwirtschaften, griff dieses auf gesammelte Daten zurück. Das Netzwerk weiss nämlich eine Menge über Sie und Ihre Freunde. Dank maschinellen Lernens hat es aus den Daten auch gelernt, was Sie zum Weiterklicken und letztendlich zum Kauf animierte.
Unser soziales Netzwerk befeuert mit diesen Algorithmen einen Kapitalismus, der unsere Welt immer stärker beherrscht, unseren Wohlstand immer mehr konzentriert und dadurch unsere zukünftige Kaufkraft schmälert. Wir haben nämlich die Hoheit über unsere Daten dank vermeintlichen Gratisangeboten verloren. Aber langsam beginnen wir zu realisieren, dass unsere Daten wirklich das neue Öl sind, und wir durch unbedachte Weitergabe dieser unseren künftigen wirtschaftlichen Wert, die Wirtschaftskraft, einfach so vergeben. Wir sind das, was die «Überwachungskapitalisten», so nennt die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff solche sozialen Netzwerke, in ihren Serverfarmen bewirtschaften.
Laut den Silicon-Valley-Vordenkern Jaron Lanier und Glen Weyl könnte die Vormacht dieser Netzwerke gebrochen werden, indem wir diese für die gegenwärtig kostenlosen Dienste bezahlten und diese uns im Gegenzug für die Verwendung unserer Daten bezahlten. Heute werden deren Dienste von Drittfirmen finanziert, die wir nicht kennen, die uns aber manipulieren. Das hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Märkte, sondern auch auf unsere Demokratie, da diese Firmen anhand unserer Daten nicht nur uns sehr gut kennen, sondern laut Lanier, Weyl und Zuboff auch immer mehr versuchen, uns mit künstlicher Intelligenz zu steuern. In ihrem Entwurf einer neuen, digitalen Gesellschaft, den sie in der Harvard Business Review veröffentlichten, schreiben Lanier und Weyl, dass wir «alle Urheberrechte unserer persönlichen Daten, die es ja tatsächlich nur gibt, weil es uns gibt, besitzen sollten».
Der Entwurf beschreibt, wie Sie und Ihre Freunde mit dem Selfie Geld verdienen könnten. In Ihrer digitalen Gesellschaft kaufen Sie den Nuggi auch, da aber Ihre Daten dazu verwendet wurden, werden Sie für diese Verwendung bezahlt. Und jedes weitere Mal, wenn Ihre Daten von den Algorithmen der Tech-Firmen verwendet werden, erhalten Sie von diesen auch eine Vergütung – etwa im Rappenbereich. Um dies umzusetzen, schlagen Lanier und Weyl vor, Intermediäre zu schaffen, die sich vermittelnd um unsere Datenangelegenheiten kümmern, und denen wir vertrauen können. Sie nennen diese «Vermittler von Einzeldaten».
In der Schweiz sehe ich die digitale Netzwerkindustrie in so einer Vermittlerrolle. Mit einem umgestalteten, erweiterten Leistungsauftrag ausgestattet, könnte diese uns dabei helfen, die Kontrolle über unser digitales Ich wiederzuerlangen. In einem kontrollierten Datenmarktplatz erhielten wir dann eben Geld (und/oder andere Vorteile), wenn unsere Daten für Kundenbeziehungsmanagement, Marketing und/oder Marktforschung gebraucht würden. Die staatsnahen Datenvermittler ermöglichten, aus unseren, von den Tech-Firmen – und später wohl auch von der öffentlichen Hand – fürs maschinelle Lernen eingesetzten Daten, in einem regulierten, vermittelnden Marktplatz von Nachfrage/Angebot, passende Gegenleistungen zu erhalten. Das wäre doch ein digitaler Leistungsauftrag für Post, Swisscom & Co.?