WIRTSCHAFT: «Image leidet wegen solcher Initiativen»

André Wyss ist der neue Schweiz-Chef beim Pharmariesen Novartis. Im Interview spricht er über die Talentschmiede Rotkreuz, Initiativen und neue Medikamente.

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Der Novartis-Campus in Basel, wo das Interview mit André Wyss stattfand. Der Pharmakonzern will 50 Millionen in die Bildung investieren. (Bild Pius Amrein)

Der Novartis-Campus in Basel, wo das Interview mit André Wyss stattfand. Der Pharmakonzern will 50 Millionen in die Bildung investieren. (Bild Pius Amrein)

André Wyss, wie haben Sie es vom Stift in die Konzernleitung eines der weltweit grössten Pharmaunternehmen geschafft – dank Vitamin B?

André Wyss: Ganz und gar nicht. Ich komme aus einer gutbürgerlichen Familie, wuchs im aargauischen Rothrist auf. Meine Eltern erwarteten von uns Kindern, dass wir nach der Schule eine Zeit lang von zu Hause fortgingen. Sandoz hatte ein Ausbildungszentrum – und ich machte dort 1984 eine Lehre als Chemikant.

Haben Sie Ihre Karriere geplant?

Wyss: Überhaupt nicht. Ich bin jetzt über 30 Jahre bei der heutigen Novartis, war in der Forschung und Entwicklung, in der Produktion, in vielen Ländern, als Regionalchef, Finanzchef und weltweiter Verantwortlicher tätig. Meine Karriere ist atypisch: Ich habe oft horizontale Wechsel gemacht, das war teilweise auch mit Lohneinbussen verbunden.

Was war denn jeweils der Antrieb?

Wyss: Wenn mich das Angebot reizte, nahm ich den Job an. Ich mache immer das am liebsten, was ich gerade mache.

Sie sind viel in der Welt herumgekommen, verbrachten die letzten Jahre in den USA und in Griechenland. Unser Land ist dabei, sich immer mehr abzuschotten.

Wyss: Die Zunahme von Initiativen wie Ecopop, Masseneinwanderung und Minder verschlechtert unsere Rahmenbedingungen, die Schweiz nimmt im Ausland Schaden. Selbst wenn eine Initiative gar nicht angenommen wird.

Spürt Novartis das?

Wyss: Wenn ein Ausländer in die Schweiz kommen möchte, wird er sich nun bestimmt überlegen, ob er in ein Land gehen will, das dem Anschein nach «ausländerfeindlich» ist.

So nimmt er die Schweiz jedenfalls via Medien wahr.

Wyss: Das ist der Punkt. Es entspricht natürlich nicht den Tatsachen. Als Land sind wir sehr tolerant. Wir haben den höchsten Ausländeranteil in ganz Europa. Und auf dem Novartis-Campus in Basel arbeiten Menschen aus über 100 Nationen. Aber unsere Reputation, unser Image leidet wegen solcher Initiativen.

Umso wichtiger ist die Bildung.

Wyss: Seit Jahrzehnten hat Novartis diese immer gefördert, jetzt bündeln wir unsere Bemühungen und bauen das Angebot qualitativ und quantitativ aus.

Das tönt gut. Können Sie etwas konkreter werden?

Wyss: Wir haben uns verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren in der Schweiz über 50 Millionen Franken in Bildungsprojekte zu investieren. Alle Projekte werden in der neuen Bildungsplattform «Learn for Life» gebündelt.

Worum geht es da?

Wyss: Wir haben beispielsweise einen neuen Schwerpunkt. Wir wollen den Schülern die Wissenschaft, speziell die Naturwissenschaft näherbringen. Der Name Novartis spielt dabei keine Rolle, er ist im Hintergrund. Zusammen mit der Pädagogischen Hochschule Zürich haben wir das Projekt «Simply Human» lanciert. Mit spannenden Experimenten sollen Schüler in der ganzen Schweiz chemische Zusammenhänge am menschlichen Körper erfahren.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wyss: Auf der Website von «Simply Science» können alle Experimente heruntergeladen werden. Hier sieht man beispielsweise, wie aus einem Tennisball ein Augenmodell gebastelt werden kann.

Planen Sie auch Aktionen in der Zentralschweiz?

Wyss: Mit unserem öffentlichen Dialog «Science Night» wollen wir wissenschaftliche Themen einer breiten Bevölkerung näherbringen. Am nächsten Dienstag geht es zum Beispiel im Casino Zug um die Zukunft der Gentherapie.

Stichwort Rotkreuz. Seit einem Jahr sind Sie mit einem Standbein in der Zentralschweiz unterwegs. Nur aus Steuergründen?

Wyss: Der Standort ist logistisch sehr interessant. Die Mitarbeitenden sind schnell am Flughafen in Zürich. Aber auch aus der ganzen Zentralschweiz ist die Anreise bestens möglich. Aber es geht um mehr: Novartis hat in der Schweiz 15 000 Mitarbeitende. Davon sind 480 für das Schweizer Business zuständig, das seinen Hauptsitz in Rotkreuz hat. Und rund 70 Prozent davon sind Schweizer.

Das heisst, das Schweizer Geschäft ...

Wyss: ... wird mehrheitlich durch Schweizer geführt. Rotkreuz hat den Vorteil, dass sämtliche Mitarbeitenden im gleichen Gebäude arbeiten. Wir stellen fest, dass das ein grosser Vorteil ist. Weiter ist Rotkreuz eine spannende Talentschmiede für uns.

Wie im Fussball: Wenn sich ein Talent auf dem Lande durchsetzt, landet es schnell in Basel beziehungsweise bei Novartis.

Wyss: Das zeigt die Bedeutung und das Gewicht von Rotkreuz und unserem Hauptsitz in Basel. In der Schweiz investieren wir von weltweit 9 Milliarden Franken rund 3,5 Milliarden in Forschung und Entwicklung. Von 133 000 Mitarbeitenden sind über 15 000 hier. Aber wir machen in der Schweiz nur 1 Prozent des Gesamtumsatzes.

Wohl kaum ein Haushalt kommt ohne eines Ihrer Produkte aus. Gleichzeitig stossen Ihre Medikamente den meisten sauer auf, weil sie die Gesundheitskosten und die Krankenkassenprämien in die Höhe jagen.

Wyss: Jetzt bringen Sie einiges durcheinander.

Dann müssen Sie mir helfen.

Wyss: 9,2 Prozent der gesamten Gesundheitskosten waren 2012 auf Medikamente zurückzuführen. Hingegen 33,1 Prozent auf ambulante und 46,2 Prozent auf stationäre Behandlungen in Spitälern.

Einspruch! Gerade die neuen Krebsmedikamente sind sehr teuer. Wie das aktuelle Beispiel von alt Ständerat This Jenny zeigt, wollen aber immer mehr Leute diese gar nicht, nur um ein paar Monate länger zu leben.

Wyss: Wir betreiben eine patientenorientierte Forschung. Das heisst: Wir wollen mit unseren Medikamenten die Lebensqualität der Menschen verbessern. Wann ein Medikament eingesetzt werden soll, müssen der einzelne Patient, sein Arzt und auch die Gesellschaft entscheiden.

Und die Kosten?

Wyss: Noch einmal: Es sind nicht die Medikamente, die die grossen Kosten im Gesundheitswesen verursachen. Wenn man betrachtet, dass etwa 80 Prozent dieser Kosten in den Spitälern anfallen, dann müssen wir dafür besorgt sein, dass die Leute weniger lang stationär behandelt werden. Unsere Aufgabe ist es, mit Medikamenten diesen Prozess zu unterstützen.

Wie sehen Ihre Aufwendungen aus?

Wyss: Um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, sind rund 1,5 Milliarden Franken nötig. Aufgepasst: Nur etwa einer von 10 000 angeschauten Wirkstoffen schafft es schliesslich in Form eines Medikamentes auf den Markt.

Was steckt in Ihrer aktuellen Pipeline?

Wyss: Wir konzentrieren uns auf die drei Kerndivisionen Pharma mit Onkologie, Alcon-Augenheilmittel und Sandoz-Generika. Wir investieren natürlich auch in neue Technologien. Zusammen mit Google arbeiten wir an Kontaktlinsen für Diabetiker.

Diese sollen den Blutzucker in der Tränenflüssigkeit messen ...

Wyss: ... und bei Schwankungen warnen. Weiter sind wir im Bereich Stammzellen mit der CRISPR-Technologie aktiv.

Können Sie das bitte herunterbrechen.

Wyss: Diese Methode erlaubt eine gezielte Veränderung des Erbguts. Es besteht die Hoffnung, dass man so genetische Krankheiten behandeln kann. Mit diesem Thema wird sich unsere Science Night in Zug befassen. Hinzu kommen spezifische Medikamente gegen Muskelschwund, Leukämie und chronische Herzinsuffizienz. Und die Krebsmedikamente von GlaxoSmithKline ...

... deren Onkologiesparte Sie für 16 Milliarden Dollar gekauft haben. Ihre Pipeline ist voll.

Wyss: Wir haben über 200 Projekte in der klinischen Phase.

Kein Mensch hat es so einfach wie Sie: Beim kleinsten «Bobo» können Sie in die «Hausapotheke» greifen. Wie finden Sie einen Ausgleich zum Business-Alltag?

Wyss (lacht): Ich liebe meinen Job, sonst wäre ich nicht 30 Jahre bei dieser Firma. Es ist grundsätzlich ein gutes Gefühl, mit seiner Arbeit andern Menschen helfen zu können. Für mich ist es zentral, dass man das, was man macht, auch gern macht. Genauso wichtig ist für mich aber die Familie.

Hinweis

Am Dienstag findet von 18 bis 21 Uhr im Casino Zug die öffentliche Veranstaltung «Die Zukunft der Gentherapie» statt. Der deutsche Philosophieprofessor Peter Sloterdijk und Janine Reichenbach, Professorin für Pädriatische Immunologie und Gentherapie der Uni Zürich, diskutieren. Der Anlass ist gratis. Anmeldungen über www.sciencenights.ch