Startseite
Wirtschaft
Um die Alternativmedizin tobt ein Glaubenskrieg. Fakt ist: Seit Globuli und Co. von der Grundversicherung bezahlt werden, sind Kosten und Umsätze in dem Bereich angestiegen. Davon profitieren auch Zentralschweizer Firmen.
Bei unseren östlichen Nachbarn kommt es im Bereich von alternativen Behandlungsmethoden zu einem einschneidenden Eingriff. An der Medizinischen Universität in Wien wurde das Wahlfach Homöopathie aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Als «unwissenschaftlich» oder «Scharlatanerie» stuften die Verantwortlichen die Wirksamkeit von Globuli & Co ein. Die Empörung darüber war gross, gibt es doch immer mehr Menschen, die an eine Wirksamkeit von alternativen Behandlungsmethoden glauben wollen. Auch in der Schweiz ist das Vertrauen in die Alternativmedizin gross.
Er wurde 72 Jahre alt. Mohinder Singh Jus ist am 10. Juni 2019 bei sich zu Hause in Neuheim ZG unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben. Mohinder Singh Jus gilt als einer der Gründer der Komplementärmedizin in der Schweiz. Der gebürtige Inder kam 1985 in die Schweiz und gründete 1993 zusammen mit seiner Frau Martine Cachin die SHI Homöopathie-Schule, das «Haus der Homöopathie» in Zug. Ein nach eigenen Angaben «nationales und internationales Kompetenzzentrum für klassische Homöopathie», das als einzige Homöopathie-Schule staatlich anerkannte HF-Diplome anbietet. Das Unternehmen an der Steinhauserstrasse beschäftigt heute 22 Mitarbeiter.
Erst Anfang Mai schildert ein Arzt aus dem Kanton St. Gallen in der Fachzeitschrift «Swiss Medical Weekly» einen Fall, bei welchem eine Patientin eine chronische Arsenvergiftung durch Globuli erlitten haben soll. Eine 16-Jährige soll demnach während vier Jahren grosse Mengen arsenhaltige Magen-Darm-Globuli des Herstellers Similasan geschluckt haben. Eine Kausalität zwischen Globuli und Symptomen konnte der Arzt zwar nicht zweifelsfrei nachweisen, doch gelte eine solche gemäss dem Mediziner als «wahrscheinlich». Similasan, die grösste Produzentin homöopathischer Arzneimittel mit Sitz in Jonen, kritisiert ihrerseits, dass der Artikel «unpräzise Annahmen» treffe und «an diversen Stellen in Frage gestellt werden» müsse.
Über die Wirksamkeit alternativer Behandlungsmethoden wird nach wie vor herzhaft gestritten. Fakt ist, dass traditionelle chinesische Medizin, Homöopathie oder Pflanzenheilkunde den effektiven Beweis ihrer Wirksamkeit bis heute schuldig bleiben. Nichtsdestotrotz erfreuen sich alternative Behandlungsmethoden gerade auch in der Schweiz grosser Beliebtheit – vor allem bei Frauen und Medizinern, die ihr Studium im Ausland absolviert haben.
Die Nachfrage steigt insbesondere seit 2012 an. Seit dann werden gewisse Leistungen der Komplementärmedizin durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung bezahlt. Eine im Januar veröffentlichte Kostenanalyse des Krankenkassenverbandes Santésuisse zeigt: Homöopathie und Co. verursachen seither im Vergleich zur Schulmedizin höhere Behandlungskosten pro Patient. Innerhalb von zwei Jahren nach der Aufnahme in die Grundversicherung verzehnfachten sich die Kosten der Krankenversicherer für Homöopathie und belaufen sich heute auf rund zehn Millionen Franken pro Jahr.
Wie Santésuisse schreibt, sind unter den Anbietern von Leistungen in der Komplementärmedizin Frauen stärker vertreten als Männer. Der Frauenanteil liegt hier bei 36 Prozent, gegenüber 30 Prozent bei den Schulmedizinern. Der Anteil Frauen überwiegt auch bei der Patientenstruktur. «Dieser ist in der Komplementärmedizin um 4 Prozentpunkte höher als bei den übrigen Ärzten», hält Santésuisse fest. Zudem hätten im Vergleich zur Schulmedizin bei den alternativen Disziplinen überdurchschnittlich viele Ärzte ihr Diplom im Ausland erlangt. Und schliesslich seien auch regionale Unterschiede zu beobachten. «Die Deutschschweizer Bevölkerung ist beispielsweise viel impfkritischer und komplementärmedizingläubiger als Westschweizer und Tessiner», schreibt Santésuisse.
Bedeutende Player im Schweizer Markt der Homöopathie haben ihren Sitz in der Zentralschweiz. So etwa das «Haus der Homöopathie» in Zug oder die Firma Omida mit Sitz in Küssnacht. Rund 1,8 Millionen Packungen Globuli und Essenzen produziert das zur deutschen Unternehmensgruppe Dr. Willmar Schwabe mit Sitz in Karlsruhe gehörende Unternehmen. Rund 20 Millionen Franken setzt Omida um. Geschäftsführer Stephan Vautravers relativiert die Santésuisse-Studie: «Der Anteil der Komplementärmedizin an den ansteigenden Gesundheitskosten bewegt sich im Promillebereich.» Auch im Vergleich zu schulmedizinischen Medikamenten seien die Kosten für komplementärmedizinische Arzneimittel wie Homöopathika vernachlässigbar. Kostentreibend seien vielmehr neue Therapiemethoden der multinationalen Pharmafirmen, die für eine einzige Behandlung teilweise mehrere hunderttausend Franken verlangen würden. Dem Argument der «kostengünstigen Alternativmedizin» widerspricht wiederum Santésuisse.
Zwar hätten die rein komplementärmedizinischen Leistungen am Gesamtkuchen der Grundversicherung nur einen geringen Anteil. Doch der oft gehörte Grundsatz «komplementär gleich kostengünstig» würde mit ihrer Studie klar widerlegt. «Die Ergebnisse zeigen, dass die Behandlungskosten der Komplementärmediziner gegenüber 2012 um rund 8 Prozent angestiegen sind.» Davon profitiert auch Omida, die unter andrem durch den Vertrieb von Schüssler Salze bekannt ist.
Zahlen zu den jüngsten Geschäftsentwicklungen gibt das Schwyzer Unternehmen nicht bekannt. Omida-Geschäftsführer Vautravers will aber nicht von einem «Boom-Markt» sprechen. Doch: «Klar, alternative Arzneimittel sind gerade im Bereich der Selbstmedikation heute sehr gefragt.» Für Vautravers ist deshalb klar: Homöopathie oder andere Mittel der Komplementärmedizin haben für sehr viele Leute bereits in dem Sinne eine positive Wirkung, weil sie auf diese vertrauen und sie damit positive Erfahrung machen.