Abt Martin Werlen hat am Donnerstag Rückblick auf seine 12 Jahre als Vorsteher des Benediktinerklosters Einsiedeln gehalten. Während einer Zugfahrt von Zürich nach Bern stellte er zudem sein neues Buch «#Bahngleichnis» vor.
Auf seinem Abtring stehen das erste und letzte Wort der Benediktsregel - «ausculta» und «pervenies»: «Höre und du wirst ankommen» hatte Martin Werlen als Motto gewählt, als er vor zwölf Jahren «überraschend» zum Abt ernannt worden war.
Mit 39 Jahren stand er den Klostern Einsiedeln und Fahr vor. Und wenn er damals gewusst hätte, was in seiner Amtszeit alles auf ihn zukommt - dann hätte er gesagt: «Das geht nicht, das schaffe ich nicht.» Gegangen sei es nur dank der Gemeinschaft.
Am Donnerstag blickte der Kirchenmann vor den Medien auf seine zwölfjährige Amtszeit zurück. Die Medienkonferenz fand im Pfarreizentrum Dreifaltigkeit in Bern statt - Werlen hatte den Ort nicht zufällig ausgewählt.
Hier habe 2010 eine der wichtigsten Medienkonferenzen stattgefunden, sagte der Abt, der auch Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz ist. Es ging um die publik gewordenen sexuellen Übergriffe in der katholischen Kirche. Für Werlen war klar: «Wir müssen uns dieser Situation stellen». Sehr viele Menschen hätten in dieser Zeit den Kontakt zu ihm gesucht.
Ob er im Rückblick etwas anders machen würde? Eine solche Frage stelle er sich nie: «Jetzt bin ich da, wo ich bin, jetzt schaue ich weiter.» Er überlege nie, wenn er früher aus dem Haus gegangen sei, dann hätte er den Zug noch erreicht. Sondern er mache dann Autostopp.
Der Abt war während seiner Amtszeit viel unterwegs; zu Referaten, Diskussionen, Sitzungen. Meistens benutzte er den Zug. Das Zugfahren und die unerwarteten Begegnungen dabei sind ihm Inspiration für seine Bahngleichnisse - Kurzmeldungen, die er auf Twitter verbreitet.
Die Kurznachrichten-Plattform hatte er 2009 dank eines Experiments des Schweizer Fernsehens für sich entdeckt. Einige Monate später verfasste er sein erstes Bahngleichnis: «Wenn man immer den nächsten Zug nimmt, verpasst man keinen.»
Unzählige Bahngleichnisse folgten seither - nun sind sie im Buch «#Bahngleichnis» zusammengefasst. Die Buchvernissage fand am Donnerstag noch vor der Medienkonferenz statt - logischerweise im Zug auf der Fahrt von Zürich nach Bern.
Sein Ziel ist, eine Predigt in einem Tweet zusammenzufassen - «falls dies nicht geht, ist die Predigt nicht gut». Er spiele gerne mit der Sprache.
Umso schwieriger sei es gewesen, als die Sprache plötzlich nicht mehr da war, erzählt der heute 51-Jährige von seinen Erfahrungen nach dem Sportunfall im Januar 2012. Nach einer Hirnblutung musste er während rund zwei Monaten wieder sprechen, lesen und schreiben lernen.
Ob sein Nachfolger auch twittern soll? Man solle mit den Instrumenten spielen, die einem liegen, antwortete der Abt. So habe er etwa zu Facebook nicht den gleichen Zugang wie Twitter. Und auf die Frage, ob er denn weiter twittern werde, sagte er: «Ich werde aufhören, es ist nur eine Frage der Zeit.»
Am 17. November findet der Abschlussgottesdienst zum «Jahr des Glaubens» statt. Werlen hatte im November 2012 das Jahr des Glaubens mit einem flammenden Appell begonnen. In seiner Denkschrift «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken» plädierte er dafür, dass sich die katholische Kirche den aktuellen Problemen stellen soll.
Die Schrift wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Im Vatikan liege die italienische Ausgabe auf dem Bestseller-Tisch, sagte Werlen nicht ganz ohne Stolz.
In einem Internetforum wurde Werlen als Reaktion auf die Schrift als Brandstifter bezeichnet - für ihn eines der grössten Komplimente. Er habe immer versucht, in seinem Amt etwas zu bewegen.
Jetzt freut sich der passionierte Akkordeon-Spieler aber auf die Zeit nach seinem Amt: Verantwortung loslassen, sich erholen und Dinge tun, die zu kurz gekommen sind. Zudem werde er - als Pater Martin - die Aufgabe ausüben, die sein Nachfolger für ihn vorsehe. «Es geht nicht darum, was, sondern wie wir etwas machen.»
Der gebürtige Walliser war vor zwölf Jahren, am 10. November 2001, zum 58. Vorsteher des Benediktinerklosters gewählt worden. Der heute 51-Jährige wurde bekannt als moderner Kommunikator und pointierter Kritiker der Kirche.
Werlen war einer der Jüngsten, der dem im Jahr 934 gegründeten Benediktinerkloster vorgestanden ist. Aufgewachsen ist er in Obergestelen im Goms unter dem Namen Stefan.
1984 legte er in Einsiedeln die Einfache Profess mit dem Namen Martin ab. Der Theologe, Psychologe und Lehrer wurde 1988 zum Priester geweiht, ab 1998 war er Präfekt des Internats.
Am 10. November 2001 wurde er als Abt gewählt, am 16. Dezember fand die Weihe in einem Festgottesdienst vor rund 700 geladenen Gästen statt. Martin Werlen war sowohl Abt des Klosters Einsiedeln SZ als auch des Klosters Fahr ZH.
Als Abt erlangte er rasch Bekanntheit. Bereits bei seiner ersten Medienkonferenz nach seiner Wahl setzte er sich medienwirksam in Szene, als er mit dem Trottinett durch die Klostergänge rollte.
Später wandte er sich mit modernen Kommunikationsmitteln wie Twitter an die Öffentlichkeit. Heute verfolgen über 8700 Personen seine Nachrichten auf Twitter. Per Twitter verbreitete er denn im Januar auch seine Rücktrittsankündigung mit den Worten «Good news ;-)» gefolgt vom Link auf die Mitteilung des Klosters.
Werlen versuchte zudem mit neuen Angeboten für die Kirche zu werben. So lancierte er eine Clinch-Wallfahrt für Menschen, deren Verhältnis zu Glaube und Kirche getrübt ist.
Der Kirchenvertreter äusserte sich aber auch zum politischen Tagesgeschäft. So sprach er sich etwa gegen die Lockerung des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots für Tankstellenshops aus und unterstützte das Referendum.
Zwar ist Werlen als Abt dem Papst direkt unterstellt. Dennoch machte er sich einen Namen als prominenter Kritiker der Kirche. So rief er in seiner Denkschrift «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken» im November 2012 die Kirche dazu auf, sich den Problemen zu stellen. Sonst verliere sie weiter an Glaubwürdigkeit.
Werlen hält neben dem Zölibat auch die Ehe als mögliche Lebensform für Priester für denkbar. Mit der Integration von Frauen tue sich die Kirche immer noch schwer. Sie zeige sich in der Geschlechterfrage «unbeholfen und ratlos», kritisierte Werlen.
Anteilnahme aus der Bevölkerung erhielt Werlen im Januar 2012. Er erlitt bei einem Sturz mit dem Kopf gegen die Wand beim Badmintonspiel in Einsiedeln eine Hirnblutung. Danach musste er während rund zwei Monaten wieder sprechen, lesen und schreiben lernen.
Die Klostergemeinschaft wählt am 23. November den neuen Abt. Werlen wird dann in die Reihe der Mitbrüder zurückkehren.
Regula Sieber, sda