Arbeit
«Die Flüchtlinge haben unser Hotel gerettet»: Im Kanton Luzern arbeiten fast 120 Geflüchtete aus der Ukraine

Rund 2500 Ukraine-Flüchtlinge mit Schutzstatus S leben im Kanton Luzern. Von ihnen haben knapp 120 eine Arbeitsbewilligung. Zwei Beispiele zeigen, wie Firmen und Geflüchtete voneinander profitieren.

Christian Glaus
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Emsiges Treiben herrscht auf den Gängen des Hotels Luzernerhof. Frauen in weissen Arbeitskleidern machen die Zimmer bereit für die nächsten Gäste. Zur Begrüssung huscht ein «Grüezi» über ihre Lippen, das dem Schweizerdeutsch nahekommt. Es sind sechs Ukraine-Flüchtlinge, die im Juni eine Stelle im Hotel gefunden hatten. Fünf von ihnen helfen im Zimmerservice, eine Frau in der Küche.

Hotelmanagerin Sofia Dittli ist stolz auf ihre neusten Mitarbeitenden – und dankbar. «Sie haben unser Hotel gerettet. Ohne sie hätten wir Zimmer schliessen müssen.» Denn das Traditionshotel machte in der Pandemie schwierige Zeiten durch. Weil die Gäste ausblieben, entstand nicht nur ein grosser finanzieller Schaden; auch die Zahl der Mitarbeitenden schrumpfte. Vor der Pandemie waren es 37, jetzt noch 15. Zum Luzernerhof gehören drei Häuser mit total 200 Betten. Weil Personal fehlt, könnte Dittli fast Tag und Nacht durcharbeiten. «Der Stellenmarkt ist ausgetrocknet», sagt sie.

Plötzlich stand ein junger Mann da und fragte nach Arbeit

Die Zusammenarbeit mit den Ukraine-Flüchtlingen ist sehr zufällig entstanden. Eines Tages stand ein junger Mann im Hotel und fragte nach Arbeit für sich und weitere Personen. Dittli gab ihnen eine Chance – und bereut ihren Entscheid nicht. «Sie machen eine super Arbeit, sind sehr fleissig», sagt sie. Deshalb habe sie die Flüchtlinge gefragt, ob in ihrer Unterkunft noch weitere Personen sind, die für die Arbeit im Hotel in Frage kämen. Inzwischen sind daraus sechs Personen geworden. Darunter drei Generationen einer Familie: Grossmutter, Mutter und Enkelin. «Eine super Clique», freut sich die Arbeitgeberin.

Sechs Ukraine-Flüchtlinge arbeiten im Hotel Luzernerhof, fünf davon im Zimmerservice. Hotelmanagerin Sofia Dittli instruiert sie.

Sechs Ukraine-Flüchtlinge arbeiten im Hotel Luzernerhof, fünf davon im Zimmerservice. Hotelmanagerin Sofia Dittli instruiert sie.

Bild: Jakob Ineichen (Luzern, 15. Juni 2022)

Ihre neuen Mitarbeitenden kommen aus der Region Kiew, eine Rückkehr ist für sie wegen des Kriegs derzeit kein Thema. In einem Hotel haben sie zwar noch nie gearbeitet, das sei aber auch nicht schlimm, findet Sofia Dittli: «Begeisterung ist in unserem Beruf wichtiger als Vorkenntnisse. Wir sind alles Allrounder.» Selbst die Sprache ist kein Problem, obwohl die Flüchtlinge weder Deutsch noch Englisch reden. Das hat einen geschichtlichen Hintergrund: Früher arbeiteten viele Ukrainerinnen in Italien in der Pflege und gaben ihre Sprachkenntnisse an ihre Kinder weiter. So kann sich die gebürtige Tessinerin Dittli mit ihren neuen Mitarbeitenden problemlos auf Italienisch unterhalten.

Marija Demianiuk arbeitet im Luzernerhof bei Küchenchef Markus Pompe.

Marija Demianiuk arbeitet im Luzernerhof bei Küchenchef Markus Pompe.

Bild: Jakob Ineichen (Luzern, 15. Juni 2022)

Das Beispiel des Luzernerhofs ist kein Einzelfall, aber noch lange nicht die Regel. Von gut 31'000 Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter mit Schutzstatus S arbeiten in der Schweiz erst rund 1500 Personen. Dies gab der Bund am Donnerstag bekannt. Im Kanton Luzern leben rund 2500 Geflüchtete mit dem Schutzstatus S.

Zirka 4,8 Prozent der Aufgenommenen arbeiten

Theoretisch dürften sie sofort arbeiten. Eine Arbeitsbewilligung erhalten haben im Kanton Luzern bisher rund 120 Personen, wie Alexander Lieb, Leiter des Amts für Migration, auf Anfrage erklärt. Das entspricht 4,8 Prozent der Aufgenommenen – ein tiefer Wert? «Das ist zumindest fraglich», schreibt Lieb. Er nennt mehrere Gründe: Personen mit Schutzstatus S können erst arbeiten, wenn sie im zugewiesenen Kanton angekommen sind. In vielen Fällen handle es sich um Frauen mit ihren Kindern. Sie müssten sich zuerst hier einleben und organisieren, so Lieb. «Zudem ist die Sprache ein Problem, da nur wenige Personen Deutsch oder Englisch können.» Seit dem 20. Mai können sie sich auf der Website der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen für Deutschkurse anmelden; 500 Personen haben dies bereits getan.

Bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) im Kanton Luzern haben sich bis am 10. Juni insgesamt 111 ukrainische Staatsangehörige mit Schutzstatus S registriert. Für unsere Zeitung haben die RAV die Anmeldungen nach Branchen ausgewertet: IT, Gastronomie, Journalismus, Bau und Industrie, Pflege, Logistik, Pädagogik. Es sind jene Branchen, in denen Personal fehlt. Diverse Stellensuchende würden Uni-Abschlüsse vorweisen.

Gleichzeitig suchen viele Firmen händeringend nach Personal. Das spürt man auch auf dem Amt für Migration: «Wir haben recht viele telefonische Anfragen von Firmen, die Ukraine-Flüchtlinge beschäftigen möchten – rund zehn pro Tag», erklärt Alexander Lieb. Die Unternehmen werden über die Voraussetzungen für die Einstellung von Ukraine-Flüchtlingen und das Vorgehen beraten. Was nach diesem Kontakt geschieht, ob die Firmen tatsächlich eine Stelle ausschreiben oder vergeben, erfährt das Amt nicht.

Firmen müssen branchenübliche Löhne zahlen

Dass Gesuche um Arbeitsbewilligungen abgelehnt wurden, ist gemäss Lieb bisher nicht vorgekommen. Dies wohl auch deshalb, weil sich viele Firmen beim Amt erkundigen, bevor sie ein Gesuch einreichen. Dabei habe man in einigen Fällen mitteilen müssen, dass eine Arbeitsbewilligung «aufgrund eines zu tiefen Lohnes» nicht erteilt werden könnte. Alexander Lieb will diesen Arbeitgebern kein versuchtes Lohndumping unterstellen. «Wir gehen davon aus, dass diejenigen Arbeitgeber, welche sich im Vorfeld um eine Auskunft bei uns bemühen, alles richtig machen wollen.» Sie seien sich der Regeln möglicherweise zu wenig bewusst; etwa, dass in Branchen ohne Gesamtarbeitsvertrag branchenübliche Löhne bezahlt werden müssen. Mit anderen Worten: Flüchtlinge sind nicht einfach billige Arbeitskräfte.

Thermoplan-Personalleiterin Suzana Tadic.

Thermoplan-Personalleiterin Suzana Tadic.

PD

Einen Ukraine-Flüchtling als Arbeitskraft hat seit Montag auch die Thermoplan AG in Weggis. Der Familienvater, der in einer Privatunterkunft in der Region wohnt, hatte sich aktiv beworben und arbeitet nun als Logistiker. Daneben besucht er einen Deutschkurs. Der Mann bringe in seinem Aufgabengebiet Berufserfahrung mit und habe beim Schnuppern sofort überzeugt, sagt Personalleiterin Suzana Tadic.

Er sei nicht der erste Kriegsflüchtling aus der Ukraine, der sich bewirbt, aber der erste, bei dem es geklappt hat. Weitere könnten folgen. «Es ist der Wunsch von CEO Adrian Steiner, dass wir den Bund wie auch die Ukrainerinnen und Ukrainer in dieser schwierigen Situation unterstützen.» Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniere dabei gut, der bürokratische Aufwand sei gering. Bereits nach rund einer Woche habe die Arbeitsbewilligung vorgelegen.

Problem des Fachkräftemangels ist nicht gelöst

Die Situation für Firmen in der Schweiz ist schwierig, weil es derzeit mehr offene Stellen als Stellensuchende gibt. Auch die Thermoplan AG sucht weitere Mitarbeitende, unter anderem als Logistiker. Deshalb spricht Tadic von einer Win-win-Situation, wenn die Firma Flüchtlinge einstellt. «Man hilft sich gegenseitig in einer Notsituation.» Allerdings dürfte es sich nur um eine vorübergehende Symptombekämpfung handeln, nicht um eine Lösung des Fachkräftemangels. Dessen ist man sich auch bei Thermoplan bewusst, wie Tadic sagt:

«Ein grosser Teil will vermutlich wieder in die Ukraine zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist – was hoffentlich bald der Fall ist. Für den Fachkräftemangel in der Schweiz jedoch braucht es langfristige Lösungen.»

Flüchtlinge als künftige Schreiner

Ein besonderes Flüchtlingsprojekt haben der Verband Luzerner Schreiner und die Stadt Luzern lanciert. Es nennt sich Perspektive Holz. Flüchtlinge aus unterschiedlichen Ländern werden dabei während eines Jahres auf die Attestausbildung zum Schreinerpraktiker ausgebildet. 2020 erhielten die ersten neun Absolventen ein Diplom, im vergangenen Jahr waren es 18. 

Am Projekt beteiligt sich die 4B AG, der Fenster- und Fassadenspezialist aus Hochdorf. Die ersten beiden Lernenden dürften ihre Ausbildung diesen Sommer abschliessen, berichtet HR-Leiterin Claudia Caliesch. «In der Praxis haben wir bis anhin überwiegend positive Erfahrungen gemacht.» Die Lehre unterstütze auch eine rasche Integration. Eine Herausforderung sei hingegen die Sprache – insbesondere in der Schule.

Caliesch erklärt, vom Projekt würden die Flüchtlinge und die Branche profitieren. «Die Rekrutierung von Flüchtenden für Ausbildungsberufe mit Berufsattest sehen wir als grosse Chance, um auch weiterhin qualifizierte Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt im handwerklichen Bereich auszubilden.»