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Zentralschweiz
Kanton Luzern
Zehn Wochen hatten die Gemeinden Zeit, genügend Plätze für Flüchtlinge zu organisieren. Nun zeigt sich: Nur 16 Ortschaften erfüllen das Aufnahmesoll. Bei den Gemeinden regt sich Unmut.
Im Juni hatte der Luzerner Regierungsrat den Verteilschlüssel für Personen aus dem Asyl- und Migrationsbereich aktiviert und die Gemeinden aufgefordert, innert zehn Wochen genügend Unterkunftsplätze zur Verfügung zu stellen. Der Verteilschlüssel beträgt pro 1000 Einwohnende 23,5 Unterbringungsplätze, der Erfüllungsgrad 75 Prozent.
Wie die Regierung am Montag mitteilt, erfüllen 64 Gemeinden die Vorgaben nicht oder nur teilweise. Sie müssen deshalb eine Ersatzabgabe bezahlen. Die Höhe beträgt pro Tag und nicht aufgenommene Person für die ersten beiden Monate zehn Franken. Danach wird sie schrittweise erhöht und liegt ab dem siebten Monat bei 40 Franken. Das Geld wird an jene Gemeinden umverteilt, die ihr Aufnahmesoll übererfüllen, heisst es in der Mitteilung. Da diese Umverteilung gemäss gesetzlicher Grundlage jeweils am Ende eines Kalenderjahrs erfolge, könne zur Höhe der zu leistenden Abgaben beziehungsweise zu den Bonuszahlungen zurzeit noch keine Aussage gemacht werden.
Seit Ablauf der Frist haben laut der Mitteilung zehn der betroffenen Gemeinden die per 1. September geforderten 75 Prozent ihres Aufnahmesolls erfüllt, davon haben sieben Gemeinden bereits die per 1. Dezember geforderten 90 Prozent ihrer Aufnahmepflicht erfüllt. Sechs Gemeinden hätten ihr Aufnahmesoll bereits vor Aktivierung der Gemeindezuweisung zu über 100 Prozent erreicht. Somit hätten die Gemeinden mit Stichtag 1. September bisher insgesamt 843 Plätze der per 1. Dezember geforderten 3344 Plätze geschaffen.
Wie der Kanton weiter mitteilt, habe die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen (DAF) seit Mitte März ihre Unterbringungskapazitäten kontinuierlich erhöht und unabhängig von der Gemeindezuweisung rund 1900 neue Plätze geschaffen. Regierungspräsident Guido Graf, Gesundheits- und Sozialdirektor, sagt, die Lage bleibe trotz grosser Anstrengungen von Kanton und Gemeinden höchst anspruchsvoll. «Aufgrund der raschen und hohen Zuweisungen müssen wir alle neu geschaffenen Plätze im Nu wieder belegen. Dass der bezahlbare Wohnraum knapp ist, stellt uns alle – Kanton sowie Gemeinden – vor grosse Herausforderungen.»
Bereits Mitte August hat sich der Verband der Luzerner Gemeinden (VLG) kritisch gegenüber der Ersatzabgabe geäussert – und bleibt es nach wie vor. «Dass so viele Gemeinden zahlen müssen zeigt, dass es selbst bei einer Erfüllungsquote von 75 Prozent nicht gelingt, genügend Plätze zu finden», sagt VLG-Präsidentin Sibylle Boos-Braun. «Aus den Gemeinden haben wir Rückmeldungen erhalten, es dauere zu lange, bis der Kanton gemeldete Wohnungen besichtigt.» Zudem sei für die Gemeinden oft schwer nachvollziehbar, warum der Kanton eine Wohnung ablehnt.
Der VLG befürchtet, dass einzelne Gemeinden deshalb die Ersatzabgabe nicht bezahlen werden. Auch werde das Bonus-Malus-System als ungerecht empfunden. «Der VLG steht seit Längerem in engem Kontakt mit dem Kanton, um eine Entspannung herbeizuführen.» Zudem habe der Verband vergangene Woche beim Regierungsrat schriftlich die Aufhebung oder Sistierung des Bonus-Malus Systems sowie die Einräumung grösser Gemeindekompetenzen bei den Wohnungen gefordert, ergänzt Sybille Boos .
Unzufrieden mit dem Bonus-Malus-System ist zum Beispiel Samuel Kreyenbühl (Mitte), Gemeindepräsident von Ettiswil. Der Gemeinde fehlen 30 Plätze zur Erfüllung der Quote von 75 Prozent. Man arbeite daran, Wohnraum zu finden und stehe im Gespräch mit Eigentümerschaften. «Das geht aber nicht von heute auf morgen», so Kreyenbühl. Zudem gebe es in Ettiswil wenig leere Wohnungen. Eine weitere angefragte Gemeinderatsperson will sich nicht namentlich zitieren lassen, bestätigt aber ebenfalls, dass man sich um Wohnungen bemüht und dem Kanton gemeldet habe, dann aber lange nichts gehört habe.
Sind dem Kanton allenfalls die Mieten der gemeldeten Wohnungen zu hoch? Sie kenne die einzelnen Mietpreise nicht, sagt VLG-Präsidentin Boos, aber es gebe Diskussionen darüber. Es sei deshalb mehr Spielraum angedacht, zum Beispiel, dass eine Gemeinde einen gewissen Betrag an die Mieten bezahlt. Das Problem seien aber nicht die Mieten, sondern vielmehr die teilweisen unklaren Ablehnungsgründe, so Boos. Zur Ersatzabgabe wird am Dienstag übrigens auch im Kantonsrat debattiert; es wurden mehrere dringliche Vorstösse eingereicht.
Bezüglich den Mietpreisen müsse sich der Kanton an die Mietzinsrichtliinen im Rahmen der Sozialhilfe halten, die je nach Gemeinde unterschiedlich seien. «Wir halten uns an definierte Kriterien an Wohnraum, die den üblichen Standards für einfache Wohnverhältnisse entsprechen», sagt Philippe Otzenberger, stellvertretender Leiter der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen.
Da die Dienststelle viele Angebote erhalte, benötige man für die Prüfung und Bearbeitung etwas Zeit, in der Regel etwa zehn Tage. Es sei korrekt, dass man auch schon Wohnungen abgelehnt habe. «Zum Beispiel wenn die sanitären Anlagen nicht genügten oder sich die Küche in einem Nebengebäude befand.» Dem Kanton sei bewusst, dass die Situation schwierig für die Gemeinden ist. Otzenberger: «Es ist eine Herkulesaufgabe, die wir nur gemeinsam stemmen können.»
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) rechne damit, dass bis zum Herbst insgesamt zwischen 80’000 und 120’000 geflüchtete Personen aus der Ukraine in der Schweiz den Status S beantragen werden. Auch die ordentliche Asylmigration nehme zu. Das SEM rechnet hier mit rund 18’000 Personen, welche bis Ende Jahr in der Schweiz Asyl beantragen werden. Gemäss Verteilschlüssel muss der Kanton Luzern 4,8 Prozent der Personen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich übernehmen.