Kolumne Schnee von gestern
Neue Wege in der Ruhigstellung von Kleinkindern

Unser Autor musste seine Kinder noch mit Staubsaugen beruhigen. Die Eltern von heute setzen eher auf Handy oder Tablet.

Hans Graber
Hans Graber
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Kindererziehung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ich glaube, dass sie – wie eigentlich alles im Leben – immer noch komplizierter wird. Insofern bin ich froh, dass ich mich dieser Herausforderung nicht mehr gross stellen muss. Rückblickend gesehen war ich wohl kaum der beste Erzieher, aber zum Glück hat meine Frau das kompensiert, damit es trotz meiner Defizite ordentlich herausgekommen ist.

Ob ich selber gut erzogen wurde, kann ich nicht beurteilen. Vermutlich schon, wobei ich anscheinend ein Kind war, das kaum je Terror machte. Meine Mutter hat gesagt, man habe mir zwei (2) Bauklötze geben können, dann sei ich für ein paar Stunden beschäftigt gewesen. Die Diagnose Autismus wurde mir nie gestellt, aber ich habe mal ein persönliches Horoskop erstellen lassen. Eine Kernaussage: «Genügt sich selbst.» Ich weiss bis heute nicht, ob das mehr lobend gemeint ist oder doch eher als bedenklicher Charakterzug gesehen werden muss. Aber mein Vertrauen in die Astrologie ist seither gewachsen. Ganz falsch lag sie mit ihrer Analyse des Doppel-Steinbocks nicht.

Zur Ruhigstellung der eigenen Kinder reichten zwei Bauklötze nicht. Da musste gröberes Geschütz aufgefahren werden. In lebhafter Erinnerung ist mir, dass neben Herumtragen, Herumwägele oder unverzagtem Singsang («schlaf, Kindlein, schlaf») erstaunlicherweise auch das Staubsaugern ein probates Mittel für die erwünschte Sedierung war. Wenn man den Buben eins vorstaubsaugerte, fielen ihnen die Äuglein zu. Möglicherweise herrschte in unserem Haushalt ein gewisses Grundrauschen, das wir Eltern gar nicht mehr wahrnahmen. Wenn es fehlte, vermissten die Kinder die gewohnte Geborgenheit und sie begannen zu schreien.

Hin und wieder gingen wir en famille auswärts essen. Die Frage, ob man mit Kleinkindern ein Restaurant heimsuchen soll, spaltet die Gemüter. Auch wenn es stimmt, dass ein einzelner Brüllgoof 50 Gäste und das gesamte Servicepersonal in Schach halten kann, bin ich trotzdem dafür. Die meisten Eltern geben sich ja wirklich Mühe, damit es nicht eskaliert. Um dem vorzubeugen, wird neuerdings auch die Unterhaltungselektronik eingesetzt.

Handys oder Tablets sind beliebte sowie umstrittene Mittel zur Ruhigstellung von Kindern.

Handys oder Tablets sind beliebte sowie umstrittene Mittel zur Ruhigstellung von Kindern.

Bild: Gaetan Bally/Keystone

Gleich drei Mal und in verschiedenen Lokalen war ich in den letzten Wochen Augenzeuge, wie Eltern ihrem Kleinkind (das jüngste geschätzt knapp halbjährig, das älteste vielleicht anderthalb) ein Tablet vor den Tripp-Trapp stellten und Youtube-Filmchen laufen liessen oder «Baby-TV» einschalteten. Den Kanal gibt’s tatsächlich. Das hat prima funktioniert. Die Eltern hatten ihre Ruhe und würdigten ihren Spross während zwei Stunden kaum mehr eines Blickes. Mussten sie auch gar nicht. Die Kinder starrten gebannt auf den bunten Bildschirm, auch dann, wenn ihnen Mama oder Papa ein bisschen was zum Essen ins Maul schaufelte.

Trotz fragwürdiger Aspekte: Womöglich wäre ich heute als Jungvater auch einer, der fürs Kleinkind ein Tablet ins Restaurant mitnimmt. Es ist sicher handlicher als ein Staubsauger. Nur mit der Erzeugung des Graberschen Grundrauschens könnte es kniffliger werden. Aber allenfalls würde es eine Wasserfall-Dokumentation in Endlosschlaufe auch tun.

Ganz akzeptiert scheint ein Tablet fürs Baby indes noch nicht zu sein, wie eine Reaktion in einem der drei Restaurants zeigte: «Jetzt schau dir mal das an», sagte am Nebentisch eine Frau zu ihrem Mann. «Was?», fragte der. «Dort», deutete die Frau mit einer Kopfbewegung Richtung Tablet-Tisch. Der Mann blickte kurz hin, «unglaublich, wie kann man nur?», sagte er und schüttelte den Kopf, um sich dann aber schnell wieder in sein Handy zu vertiefen. Wie zuvor schon und auch danach die längste Zeit wieder.