Sie ist die Jüngste der Gemeinschaft und seit gestern die frisch geweihte Äbtissin des Klosters Seedorf. Imelda Zehnder (47) über ihre klösterlichen Freuden und Sorgen – und wie sie es schafft, ohne jegliches Training Viertausender zu bezwingen.
Fettnäpfchen sind Fettnäpfchen – wenn man reingetreten ist, kann man nichts machen. Da bereite ich mich gewissenhaft auf das Gespräch mit der neuen Äbtissin vor, lese alles Mögliche über das Kloster und seine Geschichte – und dann das: «Gopfertori», rutscht es mir raus. Im Kloster, mit der Äbtissin in einem der vielen schönen Räume in Seedorf sitzend. Dies, weil die Aufnahmefunktion auf meinem Handy wie von Zauberhand – oder womöglich Gottes Hand? – partout nicht funktionieren will. Ich werde immer nervöser, während Schwester Imelda ruhig dasitzt und betet. Und dann rutscht mir das unpassende Fluchwort einfach so raus. Ich entschuldige mich innigst, und sie tut genau das Richtige: Sie lächelt. Also hole ich leicht beschämt den Notizblock hervor und beginne das Interview.
Eigentlich dachten wir, dass eine Klosterfrau am ersten Fastensonntag eine ideale Interviewpartnerin ist. Etwas überrascht erfuhren wir, dass Sie aber auch die Fasnacht gehörig feiern – passt das zum Klosterleben?
Äbtissin Imelda: Das passt sogar sehr gut. Die Fasnacht feiern ist ein Ausdruck von Freude – und die hat bei uns sehr wohl ihren Platz.
Hauen Sie so richtig auf den Putz mit Kafi Schnaps usw.?
Imelda: Nein, das natürlich nicht. Was wir machen, ist nicht vergleichbar mit der Fasnacht draussen. Aber es wird gelacht, gefeiert, es geht fröhlich und gemütlich zu und her, sonst wäre das keine Fasnacht.
Worüber wird gelacht?
Imelda: Ich hatte mich zum Beispiel schon als Bauer verkleidet, dazu rauchte ich Backpfeife. Selbstverständlich ohne Lungenzug, damit der feine Geschmack im Raum blieb (lacht). Ich verkleidete mich auch schon als Soldat und spielte einen Sketch. Einmal haben sich zwei Schwestern als Ehepaar ausgegeben – dabei wird herzlich gelacht, und alle freuen sich über diese Spässe.
Wie wichtig ist denn der Humor in Ihrer Gemeinschaft?
Imelda: Er gehört einfach dazu, das ist in einer Klostergemeinschaft auch ganz wichtig. Wenn die Freude nicht gelebt wird, dann ist das eine traurige Sache.
Nun doch zur Fastenzeit: Viele Menschen feiern zwar Fasnacht, beim Fasten nehmen sie es dann meist nicht mehr so streng. Wie sieht das hier aus?
Imelda: Jede unserer Schwestern schreibt ihre Vorsätze für die Fastenzeit auf ein Blatt Papier und gibt es mir ab. Ich lese es und schreibe etwas dazu, etwa, wenn der Vorsatz zu weit gehen würde. Das ist ganz nach der Regel des heiligen Benedikt.
Was steht denn da zum Beispiel?
Imelda: Jemand möchte sich vielleicht vornehmen, sich mehr Zeit fürs persönliche Gebet zu nehmen, jemand anderes will vermehrt Stillschweigezeiten einhalten, und wieder eine andere Schwester möchte in der Fastenzeit auf Süsses verzichten.
Und Ihre persönlichen Vorsätze?
Imelda: Ich möchte in dieser Zeit nichts zwischendurch essen, es geht mir darum, dass ich diese kleinen Hungergefühle nicht immer so kurzfristig befriedige und meinen Gaumengelüsten nachgebe. Zudem sind während der Fastenzeit unsere Menüs generell eher einfacher, und am Mittwoch und Freitag gibt es zum Abendessen Suppe und Brot.
Viele Menschen fasten, um überflüssige Kilos loszuwerden.
Imelda: Darum geht es uns nicht, das wäre für uns Ordensleute eine falsche Einstellung. Die Fastenzeit ist auch mit innerer Umkehr verbunden.
Wie meinen Sie das?
Imelda: Der Verzicht soll nicht ein qualvolles Abverdienen sein. Ich sage es etwas einfach ausgedrückt: Wenn man dauernd einen vollen Magen hat und immer sofort seine Konsumbedürfnisse befriedigt, kann das den Geist und die Sicht auf das Wesentliche verschliessen. Verzicht macht einen Menschen freier, und er kann sich so Gott besser öffnen. Aber ich will betonen, dass das Fasten immer massvoll sein soll. Es soll kein Müssen sein, sondern die Freude auf Ostern vertiefen.
Sind Sie ein disziplinierter Mensch?
Imelda: Ich versuche es immer wieder (lacht).
Und eine gute Chefin? Wie verändert sich Ihr Alltag als Klostervorsteherin?
Imelda: Ich versuche es gut zu machen und auch auf meine Mitschwestern zu hören. Als Äbtissin bin ich an erster Stelle verantwortlich für die Klostergemeinschaft, ich darf sie führen, leiten, und meine Mitschwestern auch ermutigen auf ihrem Weg. Auch Büroarbeit gibt es zu erledigen, zudem bin ich für viele Dinge die Ansprechperson.
Sind Sie streng?
Imelda: Auch hier gilt es, das rechte Mass zu halten. Ich versuche meine Entscheide in Liebe zu Gott und meinen Mitschwestern zu fällen, sie müssen umsetzbar sein und nicht meinem, sondern Gottes Willen entsprechen. Wichtig ist mir, dass ich mich, wenn ich mal eine falsche Entscheidung treffe, danach auch entschuldigen kann.
Ihr Leben im Kloster ist speziell: Zwischen 5.30 morgens und 8 Uhr abends beten Sie fünfmal zum Teil für längere Zeit in der Kirche, etwa fünf Stunden wird gearbeitet, und die Freizeit beschränkt sich auf eineinhalb Stunden am Mittag. Viele würden das wohl nicht so spassig finden.
Imelda: Es geht nicht um Spass, sondern um eine Berufung.
Der klösterliche Rhythmus, bei dem man alle paar Stunden aus dem Alltag gerissen wird und sich zum Gebet trifft – was ist daran faszinierend?
Imelda: Es ist eine Hilfe, wenn der Alltag gut strukturiert ist, so ähnlich funktioniert doch auch der Schulalltag. Durch das Gebet und die Ruhe kann ich immer wieder zu mir selber finden und damit auch zu Gott, ich bleibe mit ihm in Verbindung.
Ich war selber mal als Gast in einem Kloster. Es war erstaunlich, wie mich die regelmässige Meditation veränderte. Dinge wurden unwichtig, über die ich mir im Alltag sonst grosse Sorgen machte, dafür wurde anderes zentral. Erleben Sie das nach all den Jahren auch so?
Imelda: Ja, das Gebet macht einen Menschen offener.
Diese intensive Spiritualität, das viele Still- und Alleinsein kann auch seelische Abgründe auftun.
Imelda: Das kann vorkommen, ja. Dann ist es wichtig, dass man sich Hilfe holt und wir miteinander reden. Benedikt sagt, dass wir unsere Gedanken «an Christus zerschmettern» sollen. Wenn jemand von zu vielen dunklen Gedanken geplagt wird, kann genau das helfen. Die Freude und das Positive des Lebens und der Schöpfung – das soll im Vordergrund stehen.
Es leben zurzeit elf Frauen im Kloster, Sie sind mit 47 Jahren die jüngste. Zumindest in Europa scheint diese Lebensform – verzeihen Sie die Ausdruckweise – ein Auslaufmodell zu sein. Klosterleute werden immer mehr zu Exoten. Wie sehen Sie das?
Imelda: Natürlich sorgen wir uns um die Zukunft. Ob wieder junge Frauen kommen werden, wissen wir nicht. Aber aufgeben ist keine Option. Wir hoffen, dass es wieder Klostereintritte geben wird. Ein Leben mit Hoffnung ist erfüllter als eines ohne. Wenn Sie einen Berg hochsteigen, hoffen Sie ja auch, dass Sie den Gipfel erreichen ...
Apropos Berg: Es heisst, dass Sie schon mehrere Viertausender erklommen haben, stimmt das?
Imelda: Oh, schön wäre es! Zwei waren es bisher, vielleicht kommt diesen Sommer noch ein dritter hinzu, der Weissmies im Wallis.
Eine Nonne, die bergsteigt? Ein Laster?
Imelda: Nein, eine Freude! (lacht) Laut meinen Mitschwestern bin ich schon etwas risikofreudig. Aber das Ordensleben ist schliesslich auch mit Risiken verbunden.
Darauf kommen wir noch. Aber was treibt Sie auf diese Gipfel?
Imelda: Es ist faszinierend, von so weit oben die wunderbare Schöpfung zu sehen, und es erfüllt mich mit Staunen und grosser Dankbarkeit. Zuerst die Anstrengungen des Aufstiegs und dann der Ausblick, wenn man oben ist – so ist es auch im geistlichen Leben. Wenn ich etwa meine Fastenvorsätze halten kann, verspüre ich an Ostern auch eine ähnliche Freude wie auf einem Berggipfel.
Um auf einen Viertausender zu kommen, braucht es Training.
Imelda: Leider ist das nicht möglich.
Sie gehen ohne jegliche Vorbereitung auf hohe Berge?
Imelda: Wir haben zwei Wochen Ferien pro Jahr, in der ersten trainiere ich, in der zweiten mache ich die Bergtour mit einem Führer, er ist ein Verwandter von einer meiner verstorbenen Mitschwestern. Zudem ist das Kloster ziemlich gross, da darf ich immer viel Treppen laufen, das hält fit!
Dienen, gehorchen, sich unterwerfen oder Demut sind Begriffe, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Schreckt das ab?
Imelda: Das ist wohl weniger der Grund. Vielmehr haben heute möglicherweise viele Menschen Mühe, sich zu binden und das, was sie haben, loszulassen. Im Kloster muss man auf vieles verzichten. Man lebt in relativer Armut. Dafür bekommt man auf eine andere Art viel zurück: auf der geistlichen Ebene.
Sie waren als junge Frau zwischen Heirat und Klosterleben hin und her gerissen. Gab es einen «Prinzen»?
Imelda: Ich hatte damals einen Freund, aber das ist schon sehr lange her. Ich bin mit 26 ins Kloster eingetreten.
Und nun seit 21 Jahren hier. Sie haben sich für Gott entschieden. Diese Frage wurde Ihnen sicher schon oft gestellt: Die Sexualität ist ein starker Trieb. Wie geht man im Kloster damit um?
Imelda: Wir haben diese Lebensform bewusst gewählt. Die Sexualität ist eine Kraft und zugleich ein Geschenk Gottes. Diese Kraft kann man anders nutzen, wie etwa im spirituellen Bereich.
Das geht?
Imelda: Ja, denn Gott ist unser Du und auf Ihn hin leben wir.
Unter einer Nonne stellt man sich eine gottesfürchtige Person vor. Sind Sie so, oder haben Sie auch Ecken, Kanten und Laster?
Imelda: Sicher habe ich das. Jetzt wollen Sie sicher wissen, welche?
Genau.
Imelda: Fragen Sie meine Mitschwestern.
Sind Sie ungeduldig oder launisch?
Imelda: Nein, eigentlich nicht. Vielleicht könnte ich noch etwas pünktlicher sein, um ehrlich zu sein.
Und wovon lebt das Kloster? Im 12. Jahrhundert waren es unter anderem Almosen.
Imelda: Wir leben von Spenden, zudem beziehen viele von uns die AHV. Und das Kloster hat die Landwirtschaft verpachtet. Wir müssen ja nicht reich werden (lacht).
Ganz im Sinne des neuen Papstes Franziskus?
Imelda: Ich möchte sagen: nach dem Evangelium. So ist es natürlich auch im Sinne des jetzigen Papstes.
Was, wenn das Kloster plötzlich geschlossen würde – würden Sie sich «draussen» noch zurechtfinden?
Imelda: Erstens hoffe ich, dass das nie passiert, und zweitens würden wir das – wenn schon – sorgfältig planen. Wir haben darüber gesprochen, es war ein Prozess, der mit dem Entschluss «wir bleiben» endete. Christen sind Menschen mit Hoffnung.
Zurück zur Fastenzeit: Sie zielt ja kirchlich gesehen auf das grösste Fest der Christenheit ab: Ostern. Den meisten Menschen ist Weihnachten emotional näher. Wie ist es bei Ihnen?
Imelda: Beide Feste sind mir wichtig. Weihnachten ist mit der Geburt Jesu und den Geschenken eine durchwegs freudvolle Sache. Bei Ostern sind es erst die 40 Tage des Fastens, dann die drei Tage des Leidens. Vor allem mit dem Leiden haben viele heute Mühe.
Ist das nicht verständlich? Niemand leidet gerne.
Imelda: Ja, aber es gehört auch zum Leben. Wenn man das Leiden annehmen und sogar einen Sinn dahinter sehen kann, macht es das Ganze einfacher. Viele wollen das Leiden ausklammern aus ihrem Leben, aber das ist nicht möglich.
Sind Sie glücklich?
Imelda: Sehr – es wäre ein falsches Bild, das Klosterleben als trauriges Dasein zu sehen. Die Freude ist bei uns so gross. Wir haben vielleicht einen anderen Blick auf das Wesentliche, auf die Schöpfung. Aber wir leben ein erfülltes Leben.