ÄRZTEKRITIK: Mandel-Operation ambulant? Nein, danke

Dass Gesundheitsdirektor Guido Graf weniger stationäre Behandlungen will, kann die Ärzteschaft nachvollziehen. Bei der Entfernung der Gaumenmandeln hört für die Spezialisten der Spass auf. Die ominöse 13er-Liste soll revidiert werden.

Balz Bruder
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Mandeloperationen sollen weiterhin stationär durchgeführt werden, fordern Ärzte. Bild: Getty

Mandeloperationen sollen weiterhin stationär durchgeführt werden, fordern Ärzte. Bild: Getty

Balz Bruder

balz.bruder@luzernerzeitung.ch

Die 13er-Liste des Luzerner Gesundheitsdirektors kommt von der Ärzteschaft unter Druck. Die Tatsache, dass der Kanton Eingriffe definiert hat, die ohne entsprechende medizinische Indikation ambulant statt stationär durchgeführt werden sollen, stösst auf fachliche Kritik. Zwar sind die Ärzte nicht gegen die Umsetzung des Prinzips ambulant vor stationär. Doch sie bemängeln das medizinische Setting von CVP-Regierungsrat Guido Graf und seinen Leuten. Und dessen Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten.

Kein Blatt vor den Mund nimmt der Präsident der Luzerner Ärztegesellschaft: «Wir lehnen eine solche Liste zum heutigen Zeitpunkt ab und werden nächsten Monat unter den kantonalen Fachgesellschaften eine eigene Vernehmlassung durchführen», sagt Aldo Kramis. Dies, nachdem der Kanton eine solche unterlassen habe – und zudem ungeklärt sei, ob ein einzelner Kanton überhaupt legitimiert ist, Eingriffe, die vom Krankenversicherungsgesetz erfasst und also vom Bundesamt für Gesundheit definiert werden müssen, einseitig zu klassifizieren.

Politik nehme zu viel Einfluss auf Ärzte

Dass heute vieles ambulant stattfinden kann – Stichwort medizinischer Fortschritt – ist für Aldo Kramis unbestritten. Er moniert aber, die finanzielle Einsparung, die der Kanton durch die fehlende Mitfinanzierung im ambulanten Bereich erziele, sei unter dem Strich für das System bloss eine Kostenverschiebung. Ganz abgesehen davon, dass viele ambulante Operationen aktuell nicht kostendeckend durchgeführt werden könnten und zu einer Kostensteigerung der ambulanten Medizin führten. Nicht zu reden vom administrativen Aufwand, der einmal mehr auch die Ärzte beschlage.

Überhaupt findet der Ärzte-Präsident: «Wir stossen uns speziell daran, dass Politik und Wirtschaft zunehmend aus rein ökonomischen Überlegungen Einfluss auf ärztliche Entscheidungen nehmen.» Denn letztlich müsse der behandelnde Arzt entscheiden, wofür er die Verantwortung übernehmen kann und wofür nicht. Kramis: «Er braucht freie Entscheidungsgewalt und soll mit dem Patienten gemeinsam entscheiden, welche individuellen Massnahmen durch­geführt werden – unter Berücksichtigung von Ressourcen, Möglichkeiten und Ansprüchen an die eigene Lebensqualität.» Konkret wird Marcel Gärtner, Hals-, Nasen-, Ohrenspezialist mit langjähriger OP-Erfahrung: «Dass die Mandeloperation auf der 13er-Liste des Kantons erscheint, ist unglaublich und aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar.» Dies vor allem deshalb, weil nicht zwischen der (unproblematischen) Entfernung der Rachenmandel und der (komplikationsreicheren) Entfernung der Gaumenmandeln unterschieden wird. In Bezug auf Letztere sagt Gärtner: «Ich kenne niemanden, der diese Operation in guter Erinnerung hat und froh gewesen wäre, diese ambulant durchführen zu lassen.» Denn der Eingriff sei sehr schmerzhaft und das Schlucken sei während Tagen nur mit starken Schmerzmitteln möglich, die zum Teil intravenös verabreicht werden müssten. Zudem müsse verhindert werden, dass die Patienten dehydrierten – ansonsten besteht die Gefahr eines Nierenversagens. «Ich sehe jetzt schon Scharen von Eltern, die mitten in der Nacht mit ihrem vor Schmerzen schreienden Kind auf der Notfallstation auftauchen», führt Gärtner, selber seit 15 Jahren HNO-Arzt, aus. Mit der Folge, dass diese Re-Hospitalisationen die «Einsparungen» durch die ambulante Behandlung gleich wegfrässen.

«Wir müssen geradestehen, nicht Guido Graf»

Für Marcel Gärtner stimmt die Stossrichtung von Gesundheitsdirektor Graf zwar, ambulante Behandlungen zu fördern, da es noch viel Luft nach oben gebe. Trotzdem: Bei der Mandeloperation sind für Gärtner die Kriterien, auch jene der Studie von Pricewaterhouse Coopers, die dem Kanton als Vorlage diente, nicht erfüllt. Für den erfahrenen Hals- und Gesichtschirurgen steht deshalb fest: «Ich und einige meiner Kollegen werden unter diesen Bedingungen mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Mandeloperationen mehr durchführen – die Verantwortung als Ärzte und Operateure können wir so nicht wahrnehmen.» Denn: «Wir und nicht der Gesundheitsdirektor müssen geradestehen, wenn es zu Komplikationen kommt.»