Analyse
Wie politisch soll die katholische Kirche sein? Darum geht’s bei der Kirchenrats-Wahl in der Stadt Luzern

Diesen Sonntag wählen die Stadtluzerner Katholikinnen und Katholiken einen neuen Kirchenrat. Die Gruppe «Aufwind» will den bisherigen Status quo aufwirbeln. Aber wie gross ist der Gestaltungsraum wirklich?

Simon Mathis
Simon Mathis
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Der katholischen Kirche laufen die Leute davon. Besonders dramatisch ist diese Entwicklung in der Stadt Luzern: Hier hat sich in den vergangenen Jahren das Tempo des Mitgliederschwundes verdoppelt. Seit 2018 sind in der einstigen katholischen Hochburg Katholikinnen und Katholiken in der Unterzahl. Bisher hat das die Finanzen der Kirchgemeinde Stadt Luzern, welche das alte Stadtgebiet ohne Littau umfasst, nicht merklich belastet; noch immer schreibt sie Jahr um Jahr ein sattes Plus. Geht der Mitgliederschwund aber wie erwartet weiter, droht ein enormes Ressourcenproblem.

Diese prekären Aussichten sind einer der Gründe, weshalb am 3. April gleich acht Personen für den Kirchenrat, die «Regierung» der Kirchgemeinde, kandidieren. Das sind doppelt so viele Kandidierende wie Sitze zu vergeben. Die Ausgangslage ist ungewöhnlich, da drei Bisherige zurücktreten – lediglich Präsidentin Susanna Bertschmann-Schmid tritt wieder an. Gemeinsam mit drei neuen Mitstreitern will sie wieder in den Kirchenrat einziehen: Christian Brantschen, Arun Fabian Pfaff und Stephanie Plersch Jurt. Zusammen bilden sie die Liste «Kraftvoll in die Zukunft», die einen eher vorsichtigen Kurs fährt. Auf ihrem Flyer hält die Gruppe fest: «Es geht uns nicht um Politik, sondern darum, die Zukunft der Kirche mitzugestalten.»

Dazu muss man wissen, dass sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein System der stillen Wahl eingebürgert hat: Bei Vakanzen schlugen die Pfarreien eine Person vor, die dann konkurrenzlos nachrutschte. Die Liste «Kraftvoll» repräsentiert genau diesen Mechanismus: Es sind Personen, die aus den Pfarreien heraus gewachsen sind und sozusagen einen offiziellen «Segen» geniessen.

Genau an diesem Status quo stören sich die Mitglieder der dreiköpfigen Liste «Aufwind in den Kirchenrat»: Sie wollen die Tradition der stillen Wahl nachhaltig aufbrechen. Der Unternehmer André Bachmann, der Grünen-Kantonsrat Urban Frye und die Sozialversicherungsfachfrau Marianne Widmer machen ganz schön Wirbel und sind voller Leidenschaft in den Wahlkampf gestiegen. Sie verkörpern unterschiedliche politische Strömungen: liberal (Bachmann), grün (Frye), feministisch (Widmer). Geeint sind sie im Grundsatz, dass sie den Kirchenrat stärker verpolitisieren wollen. Mit lauterem Engagement und klareren Haltungen wollen sie den Mitgliederschwund der katholischen Kirche stoppen.

Am Wahlpodium der« Luzerner Zeitung» (siehe Video unten) führte das Dreiergespann eine Polemik gegen die amtierende Kirchenratspräsidentin Susanna Bertschmann: Der jetzige Kirchenrat agiere zu langsam, zögerlich und leise, könnte wesentlich mehr machen – zum Beispiel, was den Klimaschutz oder die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge betreffe. Sie schoben zwar nach, dass die Kirche schon jetzt durchaus gute Arbeit leiste, zeichneten dennoch eine düstere Zukunft, die nur mit zusätzlichem Aktivismus abzuwenden sei.

Bekenntnis zum Klimaschutz: Die Uhr der Hofkirche zeigte während einer Klimademo auf fünf vor zwölf.

Bekenntnis zum Klimaschutz: Die Uhr der Hofkirche zeigte während einer Klimademo auf fünf vor zwölf.

Bild: Dominik Wunderli (Luzern, 6. April 2019)

Es fragt sich allerdings: Kann der Kirchenrat tatsächlich mehr machen? Die Gewaltenteilung der Stadtluzerner Kirche verläuft entlang anderer Linien als in der Politik: Der demokratisch gewählte Kirchenrat steht dem Klerus gegenüber, der das letzte Wort hat und streng hierarchisch organisiert ist – bis hinauf zum Papst. Gerade was sozialpolitische Fragen angeht, wird eine Revolution aus dem Kirchenrat sehr schwierig sein. Die Gruppe «Kraftvoll» fürchtet nicht zu unrecht, dass mit einem allzu harten Oppositionskurs Geschirr zerschlagen werden könnte. Zu bedenken ist zudem: Gänzlich unpolitisch war die Stadtluzerner katholische Kirche auch bisher nicht. So solidarisierte sie sich 2019 mit dem Klimastreik, sprach sich 2020 für die Konzernverantwortungsinitiative aus und spendet für die Opfer des Ukraine-Kriegs.

Wie die Wahl am Sonntag ausgeht, ist völlig offen – es gibt weder Umfragen noch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit. André Bachmann und Urban Frye sind zwar stadtbekannte politische Akteure; dennoch ist unklar, wie stark das bei dieser Wahl ins Gewicht fällt. Egal, wie das Resultat letztlich aussieht: Dass Wahlen und eine öffentliche Debatte stattfinden, ist sehr zu begrüssen. Schon das kann ein erster, kleiner Schritt gegen den Mitgliederschwund sein. Gut, wenn solche Wahlkämpfe zur neuen Tradition werden.

Video: Robert Bachmann, René Meier

So lief das Podium

  • 00:00 – Begrüssung
  • 02:25 – Kandidierende stellen sich vor
  • 18:00 – Katholische Kirche der Stadt Luzern und Ukraine-Krieg
  • 29:20 – Kampfwahlen statt Stille Wahlen
  • 44:50 – Strukturen innerhalb der Katholischen Kirche der Stadt Luzern
  • 51:55 – Rolle der Frau in der Kirche
  • 01:08:00 – Wie soll der Mitgliederschwund gestoppt werden?
  • 01:26:20 – Fragerunde aus dem Publikum