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Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra,) ist überzeugt, dass es in der Stadt Luzern die Spange Nord zur Verkehrsentlastung braucht. Wer mit Argumenten wie Lärm und Schadstoffe dagegen kämpfe, unterschätze den technologischen Fortschritt.
Jürg Röthlisberger, die Stadt Luzern wehrt sich gegen die Spange Nord. Man fürchtet eine Verschandelung der Wohnquartiere. Können Sie den Widerstand nachvollziehen?
Ja, ich kann ihn durchaus nachvollziehen. Aber das letzte Wort ist ohnehin noch nicht gesprochen. Die Luzerner Regierung muss das Projekt weiter verbessern – diesen Auftrag hat sie vom Kantonsrat richtigerweise erhalten. Ich bin überzeugt, dass es dem Kanton gelingt, die städtebaulichen Chancen der Spange Nord aufzuzeigen. Sie ist mehr als einfach ein Betonschlauch, wie das von den Kritikern dargestellt wird.
Der Luzerner Stadtrat wirft dem Kanton vor, er operiere mit veralteten Verkehrszahlen. Die jüngste Entwicklung des Verkehrs in der Innenstadt zeige, dass es die Spange Nord zur Entlastung gar nicht mehr brauche.
Es gehört zum Standard-Argumentarium von Gegnern von Verkehrsprojekten, dass sie die Berechnungsgrundlagen infrage stellen. Doch die Verkehrszahlen für die Spange Nord haben wir 2016/17 letztmals justiert. Sie zeigen, dass es die Spange zur Verkehrsentlastung braucht. Es stimmt also nicht, dass der Kanton falsche Zahlen verwendet. Der Kanton macht alles richtig. Das Astra rechnet im Übrigen mit den gleichen Zahlen wie der Kanton.
«Was nützt es, wenn man auf der Autobahn schnell nach Luzern kommt, dann aber nicht zum Parking gelangt, weil man in der Stadt im Stau steht?»
Insbesondere die Linken sprechen von einem «überholten Projekt aus den 70er-Jahren». Tatsächlich existiert die Idee der Nordtangente schon seit Jahrzehnten. Ist es sinnvoll, mit Rezepten aus der Vergangenheit die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen?
Der Vorwurf, Strassenausbauten seien überholte Rezepte aus der Vergangenheit, ist ungerecht. Man darf nicht vergessen: Wir bauen heute Strassen für eine Zukunft, in der sich der motorisierte Individualverkehr radikal verändert. Dank Elektromobilität und autonomen Fahrzeugen werden Lärm, Schadstoffe und Unfallrisiken eine deutlich kleinere Rolle spielen als heute. Damit verlieren die Gegner von neuen Strassen ihre Hauptargumente. Aber es wird immer Verkehrsflächen brauchen.
Dann ist die Kritik aus der Stadt Luzern eher politisch als sachlich motiviert?
Das könnte man durchaus so sehen.
Viel weniger umstritten ist die Autobahnumfahrung Bypass, die der Bund ab 2025 realisieren will. Der Bypass allein würde die Stauprobleme auf der A2 und der A14 doch auch schon entschärfen – wozu braucht es noch die Spange Nord?
Der Bypass allein löst die Stauprobleme eben nicht. Was nützt es, wenn man auf der Autobahn schnell nach Luzern kommt, dann aber nicht zum Parking gelangt, weil man in der Stadt im Stau steht? Es reicht nicht, wenn die Autobahnen das einzige leistungsfähige Strassennetz sind. Wir brauchen eine funktionierende zweite Hierarchie-Ebene, damit der Verkehr effizient von den Autobahnen ab- und zufliessen kann. Das Problem ist, dass die Netzhierarchie in den Städten weitgehend verloren gegangen ist. In allen anderen Bereichen, etwa bei der Eisenbahn oder im Stromnetz, funktioniert diese Netzhierarchie sehr gut. So würde es niemandem in den Sinn kommen, ein Einfamilienhaus direkt an eine Hochspannungsleitung anzuschliessen. Genau dies passiert aber beim Verkehr, wenn man nur auf Autobahnen setzt und eine leistungsfähige lokale Strassenebene weglässt.
«Zurzeit sind wir dabei zu klären, wie weit wir das Bypass-Projekt vorantreiben wollen, solange noch ein Nein zur Spange Nord aus Luzern möglich ist.»
Der Bund hat immer betont, dass die Spange Nord Teil des Gesamtprojekts Bypass ist. Was passiert, wenn sich Luzern weigert, die Spange zu bauen? Wird dann auch der Bypass gestrichen?
Diese Frage ist legitim. Ich habe aber noch keine klare Antwort darauf. Fest steht: Der Bypass kann seinen Nutzen nur mit der Spange Nord voll entfalten. Wir werden weiterhin für das Gesamtsystem Bypass kämpfen, es hat enorme Potenziale, gerade auch für die Stadt. Würde die Spange nicht gebaut, müssten am Ende Bundesrat und Parlament eine Güterabwägung vornehmen. Sie müssten sich fragen, ob es sich lohnt, den Bypass alleine zu bauen – im Wissen darum, dass die Konkurrenz durch Projekte in anderen Regionen sehr gross ist. Zurzeit sind wir dabei zu klären, wie weit wir das Bypass-Projekt vorantreiben wollen, solange noch ein Nein aus Luzern möglich ist.
Wird der Bund Druck auf Luzern ausüben?
Nein, das wäre einer direkten Demokratie unwürdig. Unsere Projekte müssen mehrheitsfähig sein, weil sie inhaltlich überzeugen. Daran müssen wir uns messen lassen. Ich möchte dabei auch noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der stark unterschätzt wird.
Welchen?
Der Bypass ist nicht nur eine Engpassbeseitigung. Man muss ihn auch unter der Sanierungs-Thematik anschauen. Vor einigen Jahren wurde in Luzern der City-Ring saniert. Mit Nacht- und Wochenendarbeit bei laufendem Betrieb gingen wir damals an die Grenze des Machbaren. Doch diese Sanierung war nichts im Vergleich zu dem, was uns in 20 oder 25 Jahren erwartet. Dann muss die Autobahn rund um Luzern komplett erneuert werden. Wenn man nicht jahrelange Sperrungen in Kauf nehmen will, braucht es ein zweites, unabhängiges Strassensystem. Das sehen wir ja jetzt am Gotthard oder am Belchen: Es braucht eine zusätzliche Röhre, um die bestehende Infrastruktur sanieren zu können. In Luzern wird die gleiche Frage auf uns zukommen. Diese können wir mit dem Bypass beantworten.
Beim Bypass kämpft die Gemeinde Kriens um eine vollständige Überdachung der Autobahn. Der Bund erfüllt die Wünsche der Krienser aber nur teilweise. Weshalb liegt da nicht mehr drin?
Die Kosten pro Autobahnkilometer haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv erhöht. Das liegt nur zu einem kleinen Teil an den technischen Anforderungen, sondern vielmehr an den gesellschaftlichen Wünschen. Deshalb hat der Bund klare Standards definiert, zu denen es auch Bundesgerichtsentscheide gibt. Die Rechnung ist einfach: Wer mehr fordert als den Standard, muss dies selber bezahlen. Exemplarisch dafür waren die Autobahn durchs Knonaueramt oder der zusätzliche Lärmschutz in Hergiswil. Der jüngste Entscheid zur Überdachung Weiningen hat diese Praxis allerdings wieder etwas relativiert, insbesondere mit Fokus auf die städtebauliche Integration. Der Fall Weiningen ist eins zu eins in die Planungen für Kriens eingeflossen. So konnten wir die Überdachung des Bypass-Südportals verlängern, was uns zusätzliche 90 Millionen Franken kostet. Was darüber hinausgeht, müssen hingegen Gemeinde, Kanton oder Liegenschaftseigentümer bezahlen.
Bedenken kommen auch aus Nidwalden. Durch den Kapazitätsausbau im Norden befürchtet man eine Verlagerung des Staus. Was plant der Bund dagegen zu tun?
Nach Inbetriebnahme des Bypass wollen wir im Bereich Hergiswil die Mitbenutzung des Pannenstreifens in Spitzenzeiten in Fahrtrichtung Nord ermöglichen. Im Zuge der 2019 vorgesehenen Sanierung des A2-Abschnitts bei Hergiswil werden bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen.
«Die grosse Kunst ist es, die Tempolimits so zu gestalten, dass sie nicht nur den Verkehr flüssiger machen, sondern auch von den Autofahrern in der konkreten Situation als sinnvoll angesehen werden.»
Der Bund setzt nicht nur auf Strassenausbauten, um Staus zu reduzieren. Vor kurzem wurden auf der A14 flexible Tempolimits eingeführt. Wie haben sie sich bewährt?
Die Massnahme hat sich sehr bewährt. Wir erhalten praktisch nur positive Rückmeldungen. Ein wichtiger Grund für den Erfolg ist der neu entwickelte Algorithmus, der die Tempolimits in Abhängigkeit der Verkehrslage steuert. Dieser konnte im Vergleich zu früher stark verbessert werden – die Technologie hat sogar in Deutschland einen Preis gewonnen. Die grosse Kunst ist es, die Tempolimits so zu gestalten, dass sie nicht nur den Verkehr flüssiger machen, sondern auch von den Autofahrern in der konkreten Situation als sinnvoll angesehen werden.
Elektronisches Verkehrsmanagement hat wohl noch viel Potenzial. Was plant der Bund sonst noch?
Ein wichtiges Ziel ist es, die Belegung der Fahrzeuge zu verbessern. Beim UVEK führen wir bis 2019 einen Pilotversuch zum Carpooling durch, damit die Mitarbeiter vermehrt gemeinsam an ihren Arbeitsplatz fahren. Über eine App kann man Fahrgemeinschaften bilden. Grössere Umwälzungen werden die autonomen Fahrzeuge mit sich bringen. Der Bund ist zurzeit dabei, die Rechtsgrundlage für solche Fahrzeuge zu erarbeiten. Es geht beispielsweise um die Frage, inwieweit Fahrer oder Hersteller bei Unfällen haften. Auch technische Aspekte sowie die Kommunikation unter den Systemen müssen geklärt werden. Bei den aktuellen Versuchen mit den selbstfahrenden Postautos in Sitten kommuniziert das Fahrzeug beispielsweise direkt mit den Ampeln. Die Geschwindigkeit wird automatisch so gewählt, dass das Postauto möglichst immer Grün hat. Die Devise bei den grossen Verkehrsmengen lautet «etwas langsam letztlich schneller ins Ziel zu kommen».
Hinweis: Am 20. Juni organisieren der Wirtschaftsverband Stadt Luzern und die City Vereinigung ein Podium zu den grossen Verkehrsprojekten (19 Uhr im Luzerner Kantonsrats-Saal). Teilnehmer u.a. Ständerat Damian Müller und Regierungsrat Robert Küng.Moderation Jérôme Martinu, LZ-Chefredaktor.
Jürg Röthlisberger (*1964) ist seit 2015 Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra). Der Bauingenieur arbeitet seit 1997 fürs Astra. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Als Direktor steht Röthlisberger rund 550 Mitarbeitern vor. Das Astra ist eines von sieben Bundesämtern des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Seine Hauptaufgaben sind Betrieb, Sicherheit und Ausbauten des National- und Hauptstrassen-Netzes. Das Astra hat seinen Sitz in Bern, betreibt aber mehrere Regional-Filialen. Für die Zentralschweiz zuständig ist die Filiale Zofingen.
Ausführliche Informationen zu Bypass und Spange Nord auf www.bypasslu.ch und www.gesamtsystem-bypass.lu.ch
Die Stadtluzerner CVP-Nationalrätin Andrea Gmür hat eine Interpellation zum Gesamtprojekt Bypass Luzern mit Spange Nord eingereicht. Sie hält fest, dass die Spange Nord «momentan noch nicht wirklich stadt- und quartierverträglich» sei. Sie will vom Bundesrat unter anderem wissen, wie dieser eine Etappierung des Gesamtprojekts beurteilt. Auch fragt sie in der Interpellation, was der Bund von der Spange Nord hält. (red)