ASYLWESEN: Guido Graf sorgt für heftige Emotionen

Eritreer sollen nicht mehr den Flüchtlingsstatus erhalten: Das fordert Guido Graf in einem Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Zum zweiten Mal.

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Eritreische Flüchtlinge erhalten Deutschunterricht im Asylzentrum im ehemaligen Hotel Löwen in Ebikon. (Bild Pius Amrein)

Eritreische Flüchtlinge erhalten Deutschunterricht im Asylzentrum im ehemaligen Hotel Löwen in Ebikon. (Bild Pius Amrein)

Lukas Nussbaumer und Cyril Aregger

Es sind harte Worte, mit denen der Luzerner Gesundheits- und Sozialdirektor Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga konfrontiert. Die Praxis der Vorsteherin des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in Bezug auf Flüchtlinge aus Eritrea sei «in jedem Fall falsch», schreibt Graf in einem gestern auf der Website des Kantons aufgeschalteten Brief. Der CVP-Regierungsrat fordert, dass Eritreer keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten sollen. Die schwierige wirtschaftliche Situation und der drohende Militärdienst würden für junge Leute in Eritrea zwar schlechte Perspektiven bieten, dies seien jedoch keine Asylgründe. Graf: «Durch eine zu grosszügige Asylpraxis wird der Massenexodus aus diesem Land gefördert.» Die Eritreer sind das Land mit den meisten Asylbewerbern im Kanton Luzern: 448 der seit August 2014 aufgenommenen 1110 Asylbewerber stammen aus dem nordostafrikanischen Land.

Schweiz weniger attraktiv machen

Graf hat den Brief mit seinen Regierungskollegen vor den Sommerferien besprochen und am Dienstag bereinigt. Er glaubt, dass die Schweiz durch den Wegfall des Asylstatus für Eritreer weniger attraktiv würde. «Wenn wir diesen Menschen nur noch die vorläufige Aufnahme gewähren, würde uns das vom enormen Druck entlasten», sagt Graf auf Anfrage. Flüchtlinge mit einem Asylstatus können rasch vom Familiennachzug profitieren, bei vorläufig Aufgenommenen dauert dies in der Regel einige Jahre. Es ist nicht das erste Mal, dass Graf mit dieser Forderung an Sommaruga gelangt. Einen ähnlich lautenden Brief schickte er schon im November 2014 ab. In der Antwort aus Bern hiess es damals, der Flüchtlingsstatus sei gerechtfertigt, weil Eritreer an Leib und Leben bedroht seien. Die UNO habe festgestellt, dass es in Eritrea zu massiven Menschenrechtsverletzungen komme, teilte Sommaruga dem Luzerner Gesundheits- und Sozialdirektor mit.

Die gleiche Antwort dürfte Graf auch jetzt erhalten: Es gibt jedenfalls keine Anzeichen, dass Sommarugas Departement die Praxis ­ändert. Philipp Schwander vom Informationsdienst Sommarugas sagt aber nur: «Wir haben Grafs Brief erhalten.»

«Sonderbares Schreiben»

Stefan Frey, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, lässt kein gutes Haar an Grafs Schreiben. Es sei klar, dass eritreische Flüchtlinge nicht in ihr Heimatland zurückgeschickt werden könnten: «In diesem Willkürstaat droht ihnen Haft, Folter oder Verschleppung. Das ist unter internationalen Organisationen unbestritten.» Frey bezeichnet das Schreiben von Graf als «sonderbar», denn die Verantwortung im Asylwesen sei klar geregelt. Frey spricht im Hinblick auf die nationalen Wahlen vom Oktober von einem Wahlmanöver, «denn in den letzten Tagen haben sich bereits mehrere CVP-Exponenten ähnlich geäussert».

Die Zuger Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard äussert sich zu Grafs Brief nicht konkret. Die Regierung habe sich mit dem Schreiben aus Luzern «noch nicht auseinandergesetzt». Der Kanton Zug gehe aber davon aus, dass der Bund mit seinen Fachpersonen laufend die Gefahrensituation in den Asylregionen überprüfe und anpasse. In Uri, Ob- und Nidwalden waren die zuständigen Regierungsrätinnen gestern nicht erreichbar.

Graf: «Teile Bund nur Probleme mit»

Guido Graf weist den Vorwurf des Sprechers der Flüchtlingshilfe, es handle sich um ein populistisches Wahlmanöver, zurück. «Wenn man ein Problem beim Namen nennt, handelt man nicht populistisch.» Er teile dem Bund schliesslich nur mit, welche Probleme den Kantonen mit der geltenden Praxis entstehen würden. Warum er seinen Brief nicht mit anderen Kantonsregierungen abgesprochen hat, begründet Graf so: «Der Druck bei uns im Kanton Luzern ist sehr gross. Und ich bin der für das Asylwesen zuständige Regierungsrat im Kanton Luzern.»

Auch der Schwyzer Landammann Andreas Barraud (SVP) plädiert im Interview mit unserer Zeitung für ein starkes Signal nach Bern: «Marschhalt wir können aus bestimmten Regionen keine weiteren Asylbewerber mehr aufnehmen.» (Ausgabe von gestern).

SP: «Billiger Populismus»

Grafs Brief kommt bei Parteikollegen sehr gut an. So sagt die Knutwiler Gemeindepräsidentin und Kantonsrätin Priska Galliker, Graf sei «mutig, und er spricht vielen Menschen aus dem Herzen. Er zeigt damit, dass die Regierung nicht nur reagiert, sondern auch agiert.» Ganz anders sieht dies SP-Präsident David Roth. Er sagt: «Guido Graf sollte nicht von Dingen sprechen, von denen er keine Ahnung hat, sondern endlich seinen Job machen.» Graf stecke «unnötige Energie in billigen Populismus».

Willkür und systematische Folter

ca. Eritrea ist ein nordostafrikanischer Staat mit rund 6 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von über 120 000 km2 (Schweiz: 8,2 Millionen auf gut 41 000 km2).

Der UNO-Menschenrechtsrat wirft dem Regime in Eritrea willkürliche Hinrichtungen und systematische Folter vor. Zwangsarbeit, unbefristeter Militärdienst und ungesetzliche Inhaftierungen gehörten im Land zum Alltag, heisst es im Bericht der Eritrea-Untersuchungskommission, der im Juni veröffentlicht wurde.

Die eritreische Regierung von Staatschef Isayas Afewerki hat den Ermittlern jegliche Zusammenarbeit verweigert und sie nicht einreisen lassen. Grundlage des Berichts bildeten 550 vertrauliche Interviews mit Zeugen ausserhalb Eritreas und 160 Berichte von Betroffenen. Viele Zeugen hätten auch in sicheren Drittländern noch Angst gehabt, sich zu äussern aus Angst um ihre Sicherheit und diejenige ihrer Familienmitglieder in Eritrea.

Nach UNO-Angaben sind derzeit rund 360 000 Eritreer als Flüchtlinge in Europa registriert. Die meisten von ihnen in Schweden, Deutschland und der Schweiz. Die UNO-Ermittler appellieren an die Staaten, eritreische Flüchtlinge nicht zur Rückkehr zu zwingen. Jeder, der das Land ohne Genehmigung verlasse, werde vom Regime bestraft, das sich auf einen grossen Sicherheits- und Geheimdienstapparat stütze, so der Bericht.

Pressefreiheit: Letzter Rang

Auf der jährlich erscheinenden Rangliste der Pressefreiheit, die von «Reporter ohne Grenzen» veröffentlicht wird, nimmt das Land 2015 den 180. und letzten Platz ein.