AUSBLICK: Welche Zukunft hat die Zentralschweiz?

Zukunftsforscher Georges T. Roos schätzt die Perspektiven der Zentralschweiz ein, national auch künftig noch eine Rolle zu spielen. Und er erklärt, weshalb Zukunftsängste Gift sind.

Drucken
Blickt nach vorne: Zukunftsforscher Georges T. Roos. (Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 22. Dezember 2017))

Blickt nach vorne: Zukunftsforscher Georges T. Roos. (Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 22. Dezember 2017))

Interview Ismail Osman

ismail.osman@luzernerzeitung.ch

Er gilt als der führende Zukunftsforscher der Schweiz: Georges T. Roos (54) analysiert seit zwanzig Jahren die treibenden Kräfte des gesellschaftlichen Wandels. Sein in der Stadt Luzern angesiedeltes Zukunftsinstitut «Roos Trends & Fu­tures» beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und den Gefahren der Zukunft. Er setzt sich mit Digitalisierung, künstlicher Intelligenz oder steigender Lebenserwartung auseinander, um ein paar Beispiele zu nennen. Im Gespräch mit unserer Zeitung analysiert er die derzeit herrschende Skepsis gegenüber der Zukunft und schätzt ein, wie die Zentralschweiz für die Zukunft gerüstet ist.

Georges T. Roos, was will ein Zukunftsforscher eigentlich erreichen?

Der Gegenwart die Entwicklungen aufzeigen, welche die Zukunft prägen werden. Das Ziel ist, dass anhand dieser Prospektiven im Hier und Jetzt bessere, informiertere Entscheidungen gefällt werden können.

Wie erforscht man etwas, das noch nicht geschehen ist? Empirische Daten, auf die sich die Wissenschaft stützt, existieren ja nicht.

Das stimmt zwar, man kann aber durchaus Methoden und Systematiken entwickeln. Man kann beispielsweise bestehende Datensätze studieren und die darin erkennbaren Entwicklungen weiterdenken. Ich spreche dann jeweils von Megatrends. Man kann sich diese als tektonische Verschiebungen vorstellen.

Wie das?

Meist wird die Wirkung dieser Verschiebungen nur über einen grossen Zeithorizont ersichtlich. Die Kräfte, die dahinter wirken, sind aber schon heute messbar.

Bedeutende Veränderungen können aber sehr auch kurzfristig, also «erdbebenartig» eintreten.

Es gibt solche schockartigen Ereignisse. Sie sind nicht vorhersehbar. Sehr viel häufiger künden sich Veränderungen jedoch an, sie haben bereits eine Entwicklung. Hier kann man sich fragen: Wieso soll ausgerechnet heute eine Trendwende stattfinden? Was müsste passieren? Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Situation eintritt?

Skepsis gegenüber der Zukunft liegt derzeit stark im Trend. Abschottungspolitik mit vermeintlicher «Rückbesinnung auf alte Werte» beispielsweise ist derzeit weltweit sehr erfolgreich. Weshalb?

Es ist Ausdruck einer Überforderung gegenüber dem Tempo, mit dem sich die Welt verändert. Die Reaktion ist eine Sehnsucht nach einer verklärten Vergangenheit. Eine «ideale Gegenwart» hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit indes natürlich nie gegeben.

Weshalb wird aber die ja noch ungeschriebene Zukunft momentan so negativ ausgelegt?

Negative Nachrichten werden heute auf vielen Kanälen mit sehr hoher Geschwindigkeit wiederholt. So wird über kurz oder lang der Eindruck gewonnen, dass tatsächlich alles in stetig steigendem Tempo schlechter wird. Dabei handelt es sich aber um eine Täuschung.

Inwiefern täuscht man sich?

In wichtigen Dimensionen geht es uns heute besser denn je. Ein paar Beispiele: Kindersterblichkeit ist heute auf einem rekordtiefen Wert, die Lebenserwartung steigt weiter an, und die Zahl bewaffneter Konflikte ist deutlich tiefer als vor 40 Jahren. Tatsache ist, dass wir insgesamt enorme Fortschritte gemacht haben.

Die Zukunftsängste gehen indes so weit, dass sich manche auf einen nahen Weltuntergang vorbereiten.

Dahinter steckt die archaisch-religiöse Vorstellung, dass erst aus der Asche des Überkommenen das Neue, Wahre und Gute entstehen kann. Eine desaströse Vorstellung.

In der sogenannten «Preppers»-Szene rüstet man sich für ein Überleben nach der Apokalypse und dem totalen Zerfall unseres Systems aus. Wie verfolgen Sie dieses Phänomen?

Es ist auf Deutsch gesagt absoluter «Chabis». Ich sehe dahinter einen fatalen Zynismus: Im Kern signalisiert es ja ein Desengagement. Man trägt selbst nichts mehr zur besseren Zukunft unserer Gesellschaft bei. Was bleibt, sind giftige, weil lähmende, Ängste.

Auch die Zentralschweiz als Region kennt Zukunftsängste. In verschiedensten Feldern (Verkehr, Wirtschaft, Steuerpolitik etc.) befürchtet man, «abgehängt» zu werden.

Die Zentralschweiz ist in meiner Wahrnehmung grundsätzlich auf gutem Weg. Allerdings ist sie in der Wertschöpfung doch recht schwach.

Inwiefern?

Nehmen wir Luzern. Der Tourismus ist zwar ein gewaltiger wirtschaftlicher Faktor. Die Wertschöpfung daraus ist aber äusserst bescheiden. Es ist nicht so, dass durch den Tourismus hoch qualifizierte Jobs geschaffen werden und so mehr Steuern eingenommen werden können.

Was muss getan werden, um auch in Zukunft noch «dabei» zu sein?

Die Bildungsoffensive der letzten zwanzig Jahre hat die Zentralschweiz enorm weitergebracht. Bildung und Weiterbildung müssen unbedingt weiter gefördert werden – auch die digitale Bildung.

Letzte Frage: Machen Zukunftsforscher eigentlich Neujahrsvorsätze?

Es ist klug, sich Ziele zu setzen. Nicht sehr klug ist es, sie sich angesäuselt in der Neujahrsnacht zu setzen.

Hinweis

Mehr Infos unter www.kultinno.ch