BERUFSLEHRE: Junge Berufsleute schnuppern im Tessin

Lehrabsolventen sollen vermehrt von der Sprachenvielfalt der Schweiz profitieren. Ein erster Pilotaustausch mit dem Kanton Tessin ist vorüber. Das Programm soll nun auch auf den französischen Sprachraum ausgedehnt werden.

Raphael Zemp
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Blick vom Wachturm des Castello di Montebello in Bellinzona. (Bild: KEYSTONE/Ti-Press/Carlo Reguzzi)

Blick vom Wachturm des Castello di Montebello in Bellinzona. (Bild: KEYSTONE/Ti-Press/Carlo Reguzzi)

Raphael Zemp

raphael.zemp@luzernerzeitung.ch

Ein Austauschsemester an einer oftmals ausländischen Uni – das ist unter Studenten keine Seltenheit mehr. Weniger verbreitet sind Austauschprogramme in ­der Berufsbildung. Dies will der Kanton Luzern ändern. Erste Programme existieren bereits seit 2014 mit den Partnerstädten Potsdam in Deutschland und Bournemouth in England. Da­neben hat der Kanton auch die Vorzüge der mehrsprachigen Schweiz wiederentdeckt. Genau hier knüpft das Programm Swiss Mobility an.

Eine erste Testphase zwischen den Kantonen Luzern und Tessin ist nun zu Ende. Fünf Tessiner trafen im letzten August in der Zentralschweiz ein. Drei Luzerner zogen ihrerseits Anfang Oktober in den Süden. Sechs bis neun Monate arbeiteten sie alle im fremden Sprachraum als Praktikanten. Eine erste Bilanz der Teilnehmer fällt positiv aus.

Job und WG-Zimmer wurden vermittelt

«Es war ein Erlebnis, das ich allen nur wärmstens empfehlen kann», meint etwa Sina Bucher (19) aus Rain. Nach einem Monat Intensivsprachkurs – «ich konnte ja kein Italienisch» – arbeitete sie während acht Monaten im Sekretariat eines kantonalen Weiterbildungsinstituts in Camorino bei Bellinzona. Dieser Job wurde ihr ebenso vermittelt wie die Unterkunft in einer WG mit zwei Italienern. «Man hat uns den Einstieg extrem einfach gemacht», zeigt sich Bucher dankbar. Ange­meldet hat sie sich für dieses ­Programm spontan. Darauf aufmerksam habe sie ihr Wirtschaftslehrer gemacht. «Noch am selben Abend habe ich meinen Eltern dann eröffnet, dass ich die nächsten paar Monate wohl im Tessin arbeiten werde.» Bucher lacht. Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

Zum Interview treffen wir sie an diesem freien Dienstagnachmittag am Vierwaldstättersee, am nächsten Tag wird sie wieder im Tessin arbeiten. Seit Anfang August ist Bucher nämlich im selben Betrieb fest angestellt. In der Nähe von Lugano mietet sie sich eine eigene Wohnung. «Ich arbeite in einem super Team, habe viel mit Leuten zu tun.» Bis im Winter werde sie noch ganz ­sicher im Tessin bleiben – gut möglich aber auch für immer. «Jetzt muss ich nur noch meinen Freund überzeugen.»

Sehr zufrieden mit dem Programm ist auch Alois Kneubühler, Gründer und Geschäftsinhaber der Tonbild Spinnerei Luzern. Wie kam es genau dazu, dass er den Tessiner Praktikanten Simone Paradiso aus Lugano bei sich einstellte? Denn bis letzten September hatte Kneubühler noch gar nie einen Praktikanten eingestellt. Lehrlinge, ja. An seinen drei Standorten in Luzern, Zug und Schwyz bildet er immer rund drei bis vier Lehrlinge aus. Die Anstellung war letztlich einem glücklichen Umstand geschuldet: «Ein Mitarbeiter musste ins Militär, für uns kam die Anfrage vom Kanton zum richtigen Zeitpunkt. Auf jeden Fall war es eine super Erfahrung für uns.» Die Zufriedenheit war gegenseitig. Aus dem anfänglich befristeten Praktikum ist bereits mehr geworden: Paradiso wird in einem 60-Prozent-Pensum in der Tonbild Spinnerei weiterarbeiten. Berufsbegleitend beginnt er ein Studium an der Fachhochschule in Horw.

Luzerner haben kaum Italienischkenntnisse

Es habe sich gezeigt, dass die Tessiner Austauschpraktikanten über sehr gute Deutschkenntnisse verfügten, sagt Daniel Preckel, Leiter Schulische Bildung des Kantons Luzern. Die Italienischkennt­nisse der Luzerner Teilnehmer indes seien eher rudimentär gewesen. Deshalb haben alle drei Austauschteilnehmer zuerst einen einmonatigen Sprachkurs besucht. Die Tessiner hingegen hätten tendenziell weniger Sprachlektionen besucht und wenn, dann eher berufsbegleitend.

Auch wenn es in erster Linie um die (Sprach-)Erfahrung geht, ein Abstecher in eine fremde Sprachregion sollte für niemanden zum finanziellen Problem werden. «Rund 1200 Franken Lohn bezahlen die Betriebe ihren Austauschmitarbeitern pro Monat», erklärt Preckel. Kosten für Unterkunft (maximal 600 Franken pro Monat) sowie die Sprachkurse übernimmt Swiss Mobility.

Beeindruckt war Chef Kneubühler von der Motivation und der Eigeninitiative seines Tessiner Praktikanten. «Davon könnte sich manch Deutschschweizer Lehrling eine Scheibe abschneiden.» Dabei verlief nicht immer alles ohne Komplikationen. Sprachlich galt es vor allem zu Beginn immer wieder Hürden zu nehmen. Glücklicherweise habe man auf Englisch ausweichen können. Wenn er nur Italienisch gesprochen hätte? Kneubühler schluckt leer, zuckt mit den Schultern. «Das hingegen wäre wohl eher schwieriger gewesen.» Momentan kann ETH-Ingenieur Kneubühler keinen weiteren Austauschpraktikanten aufnehmen – auch weil der Versuch mit Simone Paradiso so erfolgreich war. Denn sämtliche zehn Vollzeitstellen sind besetzt.

Mit Händen und Füssen verständigt

Im Tessin hatte auch Sina Bucher mit gewissen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen. Zwar war sie erstaunt über die anfänglichen Fortschritte. Sie, die sich in der Schule eher schlecht als recht mit Französisch rumgeplagt hatte, war nach einem Monat Italienisch-Intensivkurs sehr zuversichtlich. Umso grösser war dann die Überraschung am Arbeitsplatz: «Ich habe zuerst fast nichts verstanden.» Sie verständigte sich erst einmal mit Händen und Füssen. Inzwischen hat sie zwar im Italienisch Fortschritte gemacht. «Aber ich will die Sprache noch besser beherrschen», meint Bucher, nun so richtig vom Ehrgeiz gepackt.

Swiss Mobility im Pilotversuch

Mit acht Teilnehmern und gleich vielen Betrieben war die Pilotphase des Austauschprogramms Swiss Mobility noch überschaubar. Die Initiative ging dabei von den Kantonen Luzern und Tessin aus. Finanziert wird das Projekt vom Bund.

In Zukunft soll das Austauschprogramm kräftig ausgebaut und auf den französischen Sprachraum ausgedehnt werden. «Weitere Kantone wie die Waadt haben ebenfalls Interesse bekundet», bestätigt Daniel Preckel, Leiter Schulische Bildung beim Kanton Luzern. Gegenwärtig sei man nun in Planung für die zweite Austauschrunde, die voraussichtlich im kommenden Januar beginnen wird. «Das Angebot richtet sich an alle motivierten Lehrabsolventen, die Freude am Erlernen einer Fremdsprache haben und gerne ihren Horizont erweitern möchten», so Preckel. Ob und wie stark das Austauschprogramm ausgebaut wird, hängt von der Nachfrage ab.

Diese scheint zumindest bei den Firmen vorhanden zu sein. Im Vorfeld des Projektstarts wurde eine Befragung unter 936 Luzerner Betrieben durchgeführt. Diese hat ergeben, dass fast ein Drittel sich vorstellen könnte, Praktikumsplätze zu schaffen. Die ideale Länge eines solchen Praktikums, ergab die Umfrage weiter, liegt aus Sicht der Unternehmen bei drei Monaten oder länger. (zar)