Blindenhund verletzt alten Mann schwer

Lena Berger
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Blindenhunde gelten als sehr friedlich. (Symbolbild) (Bild: Neue LZ / Archiv)

Blindenhunde gelten als sehr friedlich. (Symbolbild) (Bild: Neue LZ / Archiv)

Es ist ein schwüler Sommertag im August. Gerade hat sich Sabine K.* nach einem Spaziergang mit ihrem Hund Schneeball* eine Flasche Mineralwasser gekauft. Als sie den Laden um die Ecke verlässt, springt ihr der Schäferhund aufgeregt entgegen. Sabine K. ist erstaunt. Hatte sie das Tier nicht am Fahnenmast vor dem Laden festgebunden? Da fällt ihr Blick auf einen alten Mann, der halb zu Boden gesunken ist. Er wird wohl hingefallen sein, denkt sie sich – und eilt ihm sogleich zur Hilfe.

Als sie näherkommt, sieht sie das Blut. Der Mann hält eine Hand auf den Arm gedrückt. Der Hund habe ihn gebissen, ruft er Sabine K. zu. Wie aus dem Nichts sei er aufgetaucht. Er habe ihn nicht mal kommen sehen.

Sabine K. ist schockiert. «Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war, wie der Hund das Halsband zerreissen konnte. Der Mann tat mir so leid», sagt sie in der Verhandlung vor dem Bezirksgericht, die diese Woche stattfand. Der Schaden, den ihr Liebling angerichtet hat, ist beträchtlich. Er biss ein 5 bis 10 Zentimeter grosses Stück Haut bis auf die Sehne weg. und zertrennte diese. «Sie hätten ihren grossen und kräftigen Hund nicht unbeaufsichtigt im Eingangsbereich des Ladens lassen dürfen», wirft die Staatsanwaltschaft Sabine K. vor. Der weisse Schäferhund sei, genetisch bedingt, ein nervöses und unsicheres Tier, das schnell überfordert sei.

Dem widerspricht Sabine K.s Anwalt vehement. Diese Rasse zeichne sich gerade durch ihre Freundlichkeit und Sozialkompetenz aus, weshalb die Tiere auch als Blindenhunde eingesetzt werden. Auch Schneeball hat eine solche Ausbildung hinter sich. Das Tier sei also «speziell gut sozialisiert» und vorher nie negativ aufgefallen. Sabine K. habe nicht ahnen können, dass ihr Hund einen Passanten angreifen würde. Es sei zudem nicht auszuschliessen, dass der 86-Jährige das Tier provoziert habe. Sabine K. habe alle nötigen Vorsichtsmassnahmen getroffen, indem sie in einem Fachgeschäft ein Halsband gekauft habe, das auf einen Hund dieser Grösse ausgelegt sei. Das habe auch ein Gutachten bestätigt. Einen Hund vor einem Laden anzubinden, sei kein unerlaubtes Risiko, sagt der Anwalt. Und fordert einen Freispruch.

Trotzdem muss sich Sabine K. vom Richter einige unangenehme Fragen gefallen lassen. Wieso, zum Beispiel, hat sie sich nicht nach der Vorgeschichte des Tiers erkundigt? Warum wusste sie nicht, dass es innerhalb von vier Jahren fünf Besitzerwechsel gab? Und warum hat sie keinen der obligatorischen Hundekurse besucht, als sie Schneeball bei sich aufgenommen hatte?

Die Hundedatenbank Amicus gebe gar keine Auskunft zu Vorbesitzern, macht Sabine K. geltend. Und die Hundekurse? Sie kommt ins Stocken. Mehrfach habe sich im letzten Jahr schon angemeldet, dann aber doch nicht teilgenommen. «Diese Kurse sind anstrengend. Ich hatte einfach nicht die Kraft dazu», sagt sie kleinlaut. Sabine K. kämpft mit schweren Depressionen. Sie bezieht IV und lebt am Existenzminimum. Die geforderte Geldstrafe und die drohende Busse von 950 Franken kann sie sich nicht leisten. Ihre Erscheinung lässt erahnen: Schneeball ist ihr eine wichtige Stütze, ein Freund. Seine aggressive Seite ist ihr völlig fremd. Wie die Richter den Fall einschätzen, bleibt abzuwarten. Das Urteil steht noch aus.

*Namen von der Redaktion geändert

Hinweis

Wir berichten in loser Folge von Verhandlungen an erstinstanzlichen Gerichten. Vergangene Beiträge finden Sie unter www.luzernerzeitung.ch/gericht