Das Hilfswerk verliert einen weiteren Auftrag. Die Freiwilligenarbeit im Asylwesen soll «verstaatlicht» werden. SP-Kantonsrätin Marlene Odermatt ist «entsetzt».
Lena Berger
Die Caritas Luzern hatte im letzten Jahr einige Hiobsbotschaften zu verkraften. Erst entzog ihr der Kanton nach 30 Jahren den Auftrag, Asylsuchende unterzubringen. Dann wurde bekannt, dass sie auch anerkannte Flüchtlinge nicht mehr betreuen darf. Jetzt folgt der nächste Schlag: Der Kanton hat beschlossen, ab nächstem Jahr auch noch die Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich selber zu koordinieren.
Für das Hilfswerk Caritas sind die Folgen dieser Entscheide verheerend. Fast die Hälfte der Mitarbeiter verliert ihre Stelle. Auch noch den Leistungsauftrag für die Koordination der Freiwilligenarbeit zu verlieren, tut weh. «Die Caritas vermittelt seit Jahrzehnten Freiwillige für Flüchtlinge, und dies sehr erfolgreich», schreibt Caritas-Geschäftsführer Thomas Thali in einem Brief an die Kantonsräte, der unserer Zeitung exklusiv vorliegt. Als Hilfswerk setze sich die Caritas für die Integration der Menschen am Rande der Gesellschaft ein und werde von vielen Freiwilligen genau deshalb unterstützt. Man wolle dieses Engagement weiterführen. «Im grossen Wandel macht es Sinn, auf eine bewährte Kraft zu setzen.»
Ende letzten Jahres standen im Asyl- und Flüchtlingsbereich rund 250 Menschen freiwillig im Einsatz. Es ist kein Geheimnis, dass die steigenden Flüchtlingszahlen und der damit verbundene Freiwilligenboom die Caritas und den Kanton vor grosse Herausforderungen gestellt haben (wir berichteten). Das entging auch SP-Kantonsrätin Marlene Odermatt nicht. Sie forderte im März mittels Postulat, dass der Kanton eine Strategie für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen entwickeln soll. Der Vorstoss wird nächste Woche im Parlament behandelt.
Dass die Regierung jetzt vorprescht und die ganze Freiwilligenarbeit an sich reisst, damit hat Odermatt allerdings nicht gerechnet. «Als ich es erfahren habe, war ich entsetzt.» Ihre Anfrage habe sicher nicht bewirken sollen, dass der Kanton diese Aufgabe selber in die Hand nimmt. «Die Caritas ist weitherum bekannt dafür, dass sie in diesem Bereich hervorragende Arbeit leistet. Dass eine Sache, die gut funktioniert, über den Haufen geworfen werden soll, kann ich nicht nachvollziehen.» Statt das Bewährte zu ergänzen, werde dieses nun kurzerhand gekippt. Odermatt wehrt sich mit einem Dringlichen Vorstoss gegen das Vorhaben der Regierung. «Schneller und flexibler als die Caritas wird die kantonale Verwaltung kaum sein – denn im Gegensatz zur Caritas kann sie nicht auf ein breites Netzwerk von Kirchen, Vereinen und sozial Engagierten zurückgreifen», ist Odermatt überzeugt. Kommt hinzu: Die Bereitschaft, gratis für den Kanton zu arbeiten, dürfte viel geringer sein. «Schliesslich kommt es auch niemandem in den Sinn, dem Staat Geld zu spenden – dafür zahlt man schliesslich Steuern.»
Damit spricht Marlene Odermatt aus Sicht des Freiwilligenexperten Georg von Schnurbein einen entscheidenden Punkt an. Der Professor für Stiftungsmanagement an der Universität Basel warnt vor einer Abwertung der Freiwilligenarbeit und negativen Auswirkungen auf deren Selbstverständnis. «Soziales Engagement wird zum Frondienst degradiert», befürchtet er.
Schnurbein weiss von keinem anderen Kanton, der systematisch und in diesem Ausmass Freiwillige einplant. Freiwilligenarbeit sei ja gerade ein Merkmal von Nichtregierungsorganisationen – und dürfe nicht als Mittel missbraucht werden, um den Staatshaushalt zu entlasten. «Es handelt sich um Menschen, die sich wegen der Werte einer Organisation engagieren.» Der Kanton aber vertrete keine ideellen Ziele, sondern einen staatlichen Auftrag. Schnurbein rechnet mit Zusatzkosten für den Kanton. «Dem Staat dürfte es schwer fallen, Freiwillige zu rekrutieren, weil er nicht auf das Netzwerk zurückgreifen kann, über das eine Organisation wie die Caritas dank ihrer vielen weiteren Aktivitäten verfügt.»
Beim Kanton sieht man das anders. «Wir haben festgestellt, dass viele Menschen keine institutionalisierte Freiwilligenarbeit leisten wollen. Sie wollen sich nicht von der Caritas einspannen lassen, sondern direkt vor Ort mit den Gemeinden zusammenarbeiten», sagte Silvia Bolliger, die stellvertretende Departementssekretärin beim Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern, diese Woche gegenüber dem «Regionaljournal Zentralschweiz».