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Während in anderen Regionen die Auswirkungen der Coronakrise bei der Sozialhilfe noch nicht spürbar sind, leidet der Tourismus-Hotspot Luzern bereits jetzt – und die Lage wird sich noch weiter zuspitzen.
Der 54-jährige A. arbeitet als selbstständiger Taxifahrer. Er hat einen Standplatz am Bahnhof Luzern. A. hat wegen der Pandemie kaum mehr Einnahmen. Er wurde aufgefordert, sich bei der Arbeitslosenkasse (ALV) zu melden und den Bezug der Corona-Erwerbsersatzbeiträge geltend zu machen. Ein Kredit über 6000 Franken wurde ihm von der Bank gewährt; diesen benutzte er für den Lebensunterhalt und für die wichtigsten Rechnungen. Ein Problem von A.: Selbstständigerwerbende mit niedrigem Einkommen haben oftmals keinen Anspruch auf ALV-Taggelder. Darum landen sie direkt bei der Sozialhilfe.
Das Beispiel des Taxifahrers ist real – A. ist eines der vielen neuen Dossiers, das die Sozialen Dienste der Stadt Luzern im vergangenen Jahr eröffnen mussten. Denn die Sozialhilfequote ist hier per November 2020 um acht Prozent angestiegen im Vergleich zum Durchschnittsmonat 2019. Zählte man im Januar 2020 noch 1579 Dossiers, so waren es im Dezember 1682. Damit bildet die Stadt Luzern zusammen mit dem Kanton Genf (plus 8,5 Prozent) schweizweit eine Ausnahme, wie die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) am Donnerstag mitteilte. Trotz Coronakrise sind die Fallzahlen bislang sonst nicht angestiegen und bewegen sich sogar unter den im vergangenen Mai von der Skos gestellten Prognosen.
Dass es die Stadt Luzern so hart trifft, kommt nicht von ungefähr – sie ist überdurchschnittlich stark vom Tourismus abhängig. So ist beispielsweise die Anzahl Logiernächte zwischen Mai und Oktober um 53,5 Prozent zurückgegangen. Der Einbruch bei den ausländischen Touristen beträgt in dieser Zeit gar 85,7 Prozent.
Betroffen sind längst nicht nur Hotels, sondern auch die Gastronomie, Event- und Kulturanbieter, Schmuck- und Uhrenindustrie, Schifffahrtsgesellschaft, Detailhandel, Zulieferer für Gastronomie und Bäckereien sowie all jene, die (auch) von den Touristen leben – Taxifahrer A. zum Beispiel. «Neben qualifizierten Fachpersonen ist in diesen Branchen auch ein hoher Anteil mit geringerem Einkommen betroffen», sagt der Stadtluzerner Sozialdirektor Martin Merki (FDP).
Nicht nur die Sozialhilfequote ist in der Stadt Luzern angestiegen, sondern auch die Arbeitslosenquote. Dies zeigen neue Zahlen der Sozialen Dienste. Demnach lag sie im Januar vor einem Jahr noch bei 2,2 Prozent, im letzten November waren es 3 Prozent. Damit liegt die Stadt zwar immer noch unter dem schweizerischen Durchschnitt von 3,3 Prozent, jedoch über dem Durchschnitt des Kantons Luzern mit 2,3 Prozent. (hor)
Die Situation wird sich in der Stadt Luzern wohl erst 2023 entspannen. Für 2021 rechnen die Sozialen Dienste nochmals mit einem Anstieg der Dossiers um elf Prozent. Sie haben das Budget für wirtschaftliche Sozialhilfe deshalb vorsorglich um 7,5 Prozent erhöht. «Es handelt sich um eine mittlere Prognose, die sich auch günstiger entwickeln kann», sagt Merki und fügt an:
«Als sich im vergangenen Sommer die Coronasituation entspannt hatte, reagierte der Arbeitsmarkt mit mehr Jobs.»
Um die Arbeit in den Sozialen Diensten bewältigen zu können, hat man bereits während des Lockdowns etwa das Abklärungsteam im Sozialinfo Rex aufgestockt. Zudem hat die Stadt zig weitere Massnahmen getroffen: beispielsweise den Nachtragskredit für die wirtschaftliche Sozialhilfe 2020 oder auch die Weiterfinanzierung des Arbeitsintegrationsprogramms von Drittanbietern. «Auch wenn die Arbeitsintegration momentan schwierig ist, unterstützen wir die Betroffenen so gut es geht», sagt Merki. «Trotz der hohen Belastung setzen sich die Mitarbeitenden dafür ein, die Dienstleistungen in der gewohnten Qualität anzubieten.»
Die gestiegenen Quoten in Luzern und Genf dürften nur ein Vorgeschmack sein. Skos geht davon aus, dass wegen der Coronakrise in der ganzen Schweiz ein Teil der Bevölkerung mittel- und langfristig Einbussen erleiden und auf Unterstützung angewiesen sein wird. «Im Moment greifen die vorgelagerten Sozialwerke wie etwa die Taggelder der Arbeitslosenversicherung noch – aber das wird sich ändern», sagt Skos-Geschäftsführer Markus Kaufmann.
Im aktuellen Referenz-Szenario rechnet die Skos bis im Jahr 2022 mit 21 Prozent mehr Sozialhilfeempfänger. In effektiven Zahlen hiesse dies: ein Anstieg von 273'100 Personen (2020) auf 329'200 Personen. Damit stiege die Sozialhilfequote von 3,2 Prozent der Bevölkerung auf 3,8 Prozent und dies hätte Mehrkosten im Bereich der Sozialhilfe von 821 Millionen Franken zur Folge. Gefährdete Gruppen seien Langzeitarbeitslose, die nun noch mehr Schwierigkeiten bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt hätten, sowie Selbstständigerwerbende mit tiefem Einkommen.
Die Skos als Fachverband für Sozialhilfe appelliert deshalb in der Mitteilung an den Bundesrat, die beschlossenen Massnahmen zur Unterstützung bis zum Ende der Coronapandemie weiterzuführen:
«Dies ist dringend nötig, um die Existenz der Betroffenen zu sichern. Ein zu frühes Ende würde zwangsläufig zu einer Überlastung der Sozialhilfe als letztes Netz der sozialen Sicherheit führen.»
Für den erwarteten Zuwachs in der Sozialhilfe brauche es zudem Massnahmen zur Abfederung.