Kehrtwende im «Eichwäldli»-Fall: Nun dürfen die Besetzer doch bleiben

Wie gefährlich ist das Wohnen im «Eichwäldli» tatsächlich? Erst hätten die Aktivisten aus Sicherheitsgründen ganz ausziehen müssen, jetzt dürfen sie zumindest im Wohnteil des «Eichwäldli» auf der Luzerner Allmend bleiben. Überraschend will die Stadt Luzern jetzt mit den Besetzern einen sechsmonatigen Nutzungsvertrag aushandeln.

Simon Mathis
Drucken
Das Eichwäldli wird notfallmässig stabilisiert. Die Besetzer haben sich in die Wohnräume hinter der Holzwand zurückgezogen. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)
10 Bilder
Das Eichwäldli wird von Zimmerleuten notfallmässig stabilisiert. Die Besetzer haben sich aus diesem Raum zurückgezogen. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)
Der Vorplatz des Eichwäldli. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)
Dieser Raum ist gemäss der Stadt Luzern einsturzgefährdet. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)
Die restlichen Räume des Eichwäldli bleiben vorerst besetzt. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)
Aussenansicht des besetzten Eichwäldli auf der Luzerner Allmend. (Bild: Corinne Glanzmann, 02. Januar 2019)
Aussenansicht des besetzten Eichwäldli auf der Luzerner Allmend. (Bild: Boris Bürgisser, 13. Dezember 2018)
Offener Mittagstisch im Eichwäldli. (Bild: Boris Bürgisser, 13. Dezember 2018)
Offener Mittagstisch im Eichwäldli. (Bild: Boris Bürgisser, 13. Dezember 2018)
Offener Mittagstisch im Eichwäldli. (Bild: Boris Bürgisser, 13. Dezember 2018)

Das Eichwäldli wird notfallmässig stabilisiert. Die Besetzer haben sich in die Wohnräume hinter der Holzwand zurückgezogen. (Bild: Manuela Jans-Koch, 9. Januar 2019)

Wo letzte Woche noch rund 50 Menschen «Zmittag» assen, ist es diese Woche wie ausgestorben. Die Besetzer haben sich aus der ehemaligen Soldatenstube auf der Allmend zurückgezogen. Schon am Dienstag gaben sie die Schlüssel für den Gemeinschaftsraum ab, wie der Luzerner Stadtrat heute in einer Medienmitteilung schrieb.

Nun halten sich die Besetzer im angrenzenden Wohnteil des Gebäudes auf, das auf zwei Stockwerken acht kleine Zimmer beherbergt. Sie haben zwischen der Soldatenstube und dem Wohnteil eine Holzwand hochgezogen. Zudem stabilisierten Zimmerleute im Auftrag der Stadt die Stube notfallmässig mit Holzverstrebungen. Die Stabilisierung war bereits geplant, bevor die Bewohner das Haus besetzten. Die Statik des Gemeinschaftsraumes sei zwar Besorgnis erregend; der Wohnteil lasse sich allerdings noch nutzen, schreibt der Stadtrat. Die Stadt sei bereit, mit den Besetzern einen befristeten Nutzungsvertrag über sechs Monate auszuhandeln – allerdings nur für den Wohnteil.

Das klingt nach einem pragmatischen Kompromiss. Das Entgegenkommen des Stadtrats verwundert trotzdem ein bisschen. Denn noch am 17. Dezember forderte die Baudirektion die Bewohner auf, das Haus am Murmattweg 2 von heute auf morgen zu verlassen. Und zwar deswegen, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden könne. Ist es nun doch nicht so gefährlich? Doch, sei es, sagt Baudirektorin Manuela Jost (GLP). Allerdings: «Erst seit diesem Dienstag zeigt die Gruppe die Bereitschaft, sich mit nur wenigen Personen auf den Wohnteil zu beschränken. Das ist natürlich eine neue Ausgangslage.» Sie entspreche eher wieder der ursprünglichen Situation.

«Ich glaube, die Besetzer haben den Ernst der Lage, was die Sicherheit anbelangt, erkannt.»
Manuela Jost, Baudirektorin

Aufgrund von Nachprüfungen und Expertengesprächen sei die Baudirektion zum Schluss gekommen, dass eine befristete Nutzung des Wohnteils verantwortbar sei. Durch die Abtrennung des Wohnraums erhöhe sich auch die Sicherheit im Wohnteil, sagt Jost. Zu dieser Lösung habe man nicht früher finden können, weil die Besetzer erst jetzt die Bereitschaft zeigen, die Expertisen ernst zu nehmen.

«Ich glaube, die Besetzer haben den Ernst der Lage, was die Sicherheit anbelangt, erkannt», sagt Jost. Dass die Stadt mit ihrem Vorgehen Tür und Tor für weitere Hausbesetzungen und Forderungen öffnet, bestreitet Manuela Jost entschieden. «Für solche Situationen gibt es kein einheitliches Rezept, an das man sich blind halten kann», so Jost. «Es ist mir ein Anliegen, wo immer möglich lösungsorientiert und mit Augenmass vorzugehen.»

Stadtrat will Eskalation vermeiden

Die Stadt habe ein umfangreiches Gebäude-Portfolio. «Es ist meine Aufgabe, mit Mietern und Interessierten Gespräche zu führen und Probleme zu lösen.» Und zwar unabhängig davon, aus welcher gesellschaftlichen oder politischen Ecke sie kämen, betont die Baudirektorin. «Solche Aktionen sind illegal, das ist völlig klar», sagt Jost. Aber mit eskalierenden Massnahmen sei niemandem geholfen. Die Frage einer polizeilichen Räumung stellte sich zu dem Zeitpunkt nicht mehr, als die Besetzer den problematischen Gebäudeteil räumten und die Schlüssel zur Soldatenstube zurückgaben.

«Der Entscheid des Stadtrats stimmt uns zuversichtlich, dass zukunftsorientierte Gespräche über den Erhalt des Eichwäldlis möglich sind.»
Die «Familie Eichwäldli»

«Es liegt zwar eine kurzfristige Lösung fürs Eichwäldli in Sicht», schreiben die Hausbesetzer auf Anfrage. «Die Umstände aber, die gemeinschaftliches und selbstbestimmtes Wohnen immer wieder verunmöglichen, bleiben weiterhin bestehen.» Mit der Räumung der Stube gehen dem Quartier die offenen Mittagstische, Nachtessen und Veranstaltungen verloren, die die «Familie Eichwäldli» organisierte.

«Wir unterstützen das Engagement der Gruppe», sagt Manuela Jost. «Aber im problematischen Anbau ist es nicht mehr zulässig.» Andere Möglichkeiten müssten geprüft werden. Auch die Quartierarbeit steht im Kontakt mit den Besetzern. «Der Entscheid des Stadtrats stimmt uns zuversichtlich, dass zukunftsorientierte Gespräche über den Erhalt des Eichwäldlis möglich sind», schreiben diese.

Am Samstag gibt es eine Demo

Wie dem Blog der «Familie Eichwäldli» zu entnehmen ist, plant sie am Samstag um 14 Uhr eine bewilligte Demo durch die Stadt. «Es eine Kundgebung für lebendige und solidarische Quartiere, fürs Eichwäldli und ein Leben ausserhalb von Gentrifizierungsprozessen, damit in dieser Stadt diverse Lebensformen nebeneinander Platz haben können», erläutern die Besetzer schriftlich.

Wann der Nutzungsvertrag zwischen der «Eichwäldli-Familie» und der Stadt steht, lässt sich noch nicht sagen. «Ich denke, alle Beteiligten haben ein Interesse daran, dass die Sache so schnell wie möglich geregelt ist», sagt Manuela Jost. Was mit dem Gesamtgebäude geschieht, wird sich nicht vor Frühjahr entscheiden. Es ist davon auszugehen, dass die «Familie Eichwäldli» mindestens so lange dort wohnen bleibt – allerdings ohne Stube.