Für einige Branchen ist der Lockdown vorbei, die Geschäfte öffnen wieder. Ein Augenschein vor Ort zeigt: Die Leute stehen schon früh an – aber nicht überall bilden sich Schlangen.
Coiffeurgeschäfte, Massagepraxen, Tattoo-Studios, Gärtnereien, Blumenläden, Baumärkte – eine Auswahl an Geschäften, die ab heute Montag, 27. April wieder ihre Tore öffnen dürfen. Wir waren in Luzern unterwegs für einen Augenschein:
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So sah es am Montag frühmorgens vor 7 Uhr vor dem Eingang der Hornbach Filiale in Littau aus:
Viele Leute stehen gemäss unserem Reporter vor dem Eingang an. Zum Beispiel auch Martin Blum aus Obernau:
«Seit 05.50 stehe ich an, ausgerüstet mit Kaffee in der Thermoskanne.»
Das Geschäft hat seit 7 Uhr geöffnet. Auf seinem Einkaufszettel stehen unter anderem ein Gartenschlauch und Blumen. Er habe zwar vor dem Lockdown auch noch viel eingekauft, wollte nun aber so schnell wie möglich noch mehr besorgen. Anschliessend müsse er arbeiten gehen.
Ebenfalls vor Ort am Anstehen ist Tanja Müller vom Schweizerischen Familiengärtnerverein Emmenbrücke. Sie sagt: «Es fühle sich an wie im Europa Park.» Bei Müller auf der Einkaufsliste steht Beton.
Die Stimmung ist unaufgeregt und alle seien geduldig am warten. Maximal 300 Leute dürfen sich gleichzeitig in der Filiale aufhalten. Die lange Schlange schreckt aber auch Leute ab. Nach 7 Uhr dreht eine Person wieder um und sagt: «Nein, dafür habe ich keine Zeit.»
Bereits geschafft hat es der 71-jährige Franz Stählin aus Kriens. Er brauchte Fischfutter und ein Filter fürs Aquarium.
Stählin war der dritte Kunde beim Hornbach Littau nach dem Lockdown.
Beim Coiffeur Gidor an der Habsburgerstrasse in der Stadt Luzern herrscht reger Betrieb. Eine Mitarbeiterin hat vor dem Lokal zu tun: Sie nimmt Personalien auf und erklärt den Kundinnen und Kunden die Hygienevorschriften.
Filialleiterin Sabrina Ermert ist erleichtert, wieder arbeiten zu können und sagt: «Die Wiederöffnung war wirklich nötig - auch wegen den Mieten.» Der Bund lässt derzeit offen, ob Mieten erlassen werden sollen oder nicht. Es obliege den Vertragspartner, sich entsprechend zu einigen.
An diesem Montagmorgen ist das Lachen er Filialleiterin sogar hinter der Gesichtsmaske erkennbar. «Als wir um 8 Uhr öffneten, warteten bereits sechs Personen vor dem Geschäft», erzählt die 34-Jährige. Das passte so gut, darf sie doch nur sechs Personen in ihr Coiffeursalon reinlassen. Jeder zweite Sitz muss wegen des Corona-Virus leer bleiben. «Das sind die Vorschriften», betont Ermert.
Zwei ältere Damen haben in der Zwischenzeit vor dem Geschäft Platz genommen. Wahrscheinlich gehören sie zur Risikogruppe. Umso wichtiger, schauen die Mitarbeitenden, dass die BAG-Massnahmen eingehalten werden.
«Ich bin froh und glücklich, dass ich heute öffnen durfte», sagt Jörg Moll, Geschäftsführer von Moos Sport+Hobby.
Am Donnerstag erhielt er Bescheid, dass auch sein Laden am Kasernenplatz ab heute wieder Teile seines Sortiments verkaufen darf. Denn: Der Vertrieb von Sportartikel ist nach wie vor verboten. Daher sind die jeweiligen Regale mit rot-weissem Plastikband abgesperrt.
Die vergangenen sechs Wochen waren für Moll und sein Team hart. Denn trotz der Möglichkeit des Online-Shops oder der telefonischen Beratung brachen die Einnahmen brutal ein. «Stand heute haben wir einen Umsatzeinbuss von 60 bis 70 Prozent», bestätigt Moll. Entsprechend habe er Kurzarbeit angemeldet. Die Behörden hätten diese sehr schnell bewilligt. «Für die Märzperiode haben wir das Geld bereits erhalten. Das ging sehr schnell - ein Kompliment an den Staat», sagt Moll.
Die Personalkosten sind für von Moos die grösste Kostenstelle, gefolgt vom Marketing. Am drittmeisten gibt das KMU für die Miete aus. Moll sagt: «Die Liegenschaftsmiete beträgt 4 bis 5 Prozent auf den Umsatz.» Das sei nicht wenig, fährt er fort. Weil der Bundesrat aber zu Mietverhältnissen nichts verordnet hatte, ist Moll mit seinem Vermieter in Kontakt – per eingeschriebene Briefe.
Für Moll ist klar: «Weder der Mieter noch der Vermieter trägt die Schuld an der derzeitigen Situation. Eine allgemein gültige Verordnung zu verabschieden, finde ich jedoch schwierig.» Begrüssen würde er daher eine Empfehlung.
«Coiffeur-, Massage- und Kosmetikstudios dürfen ihren Betrieb wieder aufnehmen. Auch Baumärkte, Gartencenter, Blumenläden und Gärtnereien dürfen wieder öffnen.» Dies hat das Bundesamt für Gesundheit am 16. April zu den heute eintretenden Lockerungen kommuniziert.
Diese Liste scheint allerdings nicht abschliessend zu sein. So haben in der Stadt Luzern vereinzelt auch Papeterien geöffnet - an den Eingängen wird auf eine entsprechende Bundesverordnung verwiesen.
Bereits seit Samstag hat zudem an der Pilatusstrasse der Juwelier, Uhrenmacher und Goldhändler Kaufengold geöffnet - wie auch die 25 weiteren Niederlassungen in der Schweiz.
Man werde ähnlich behandelt, wie die Banken, heisst es. Der Luzerner Filialleiter bestätigt: «Wir haben beim BAG abgeklärt, ob wir wieder öffnen dürfen.» Er deutet auf das ausgedruckte Schreiben und erklärt: «Wir dürfen allerdings nur den Goldhandel betreiben.» Weitere Tätigkeiten, wie der Verkauf von Uhren - sei untersagt, die Glasvitrinen entsprechend ausgeräumt. Rund 75 Prozent der Kundinnen und Kunden würden bei Kaufengold Edelmetalle ein- oder verkaufen.
Normalerweise betreut der 24-Jährige bis zu 15 Kunden täglich an der Pilatusstrasse. Seit Samstag seien es aber erst zwei gewesen. David sagt daher hoffnungsvoll: «Hoffentlich geht ab dem 11. Mai wieder alles normal los.»
Bei der Gärtnerei Schwitter in Inwil wird die Kundschaft vom Parkdienst eingewiesen. Von den 120 Parkfeldern sind gegen 8.30 Uhr nur einige wenige unbesetzt. Das von Annelies Eichenberger wird aber bald frei. Die Luzernerin hat ihren Einkaufswagen mit Kräutern wie Rucola oder Basilikum und Gartenerde beladen. «Top wie das hier organisiert ist. Innerhalb einer Viertelstunde habe ich alles, was ich benötige, gefunden, die 240 Franken bezahlt und gehe jetzt nach Hause, wo ich bis am Mittag das Meiste eingepflanzt haben werde.» Von Onlineshopping hält sie genauso wenig, wie die vorgängig befragten Leute. «Ich muss sehen, was ich kaufe. Man kann sich an Ort und stelle inspirieren lassen», sagt sie.
Inhaber Roman Schwitter fährt auf einem Fahrrad durch seinen Betrieb, ist mal hier und bald dort anzutreffen. «Wir haben damit gerechnet, dass heute viel Betrieb sein wird. Es ist Saison und das Wetter geradezu optimal. Wir können mit der Anzahl an Leuten gut umgehen. Auf einer Fläche von 10 000 Quadratmetern verteilen sich die Kunden gut. Zumal zeigt sich, dass die Leute in den letzten sechs Wochen Erfahrungen gesammelt haben, was das Einkaufsverhalten in Coronazeiten mit den vorgegebenen Abständen und den Hygienevorschriften des Bundesamtes für Gesundheit betrifft.»
An der Himmelrichstrasse 1 herrscht emsiger Betrieb. Hier hat Stephan Furrer sein Friseursalon. Eine junge Frau mit Gesichtsmaske sitzt am Empfang am Computer. Ihre blonden Haare sind zurückgebunden, sie begrüsst freundlich die Kundschaft. Sie achtet darauf, dass die Hygienevorschriften eingehalten werden.
Es ist laut, als Inhaber Stephan Furrer kurz seine Arbeit unterbricht. Ein grosser Teil seines Gesichts ist mit einer Maske bedeckt. Er sagt: «Wir achten gut darauf, dass die Hygienevorschriften eingehalten werden. Dazu desinfizieren wir unter anderem auch das Werkzeug und haben eigens für die Kundinnen und Kunden ein Hygieneplatz eingerichtet.»
Im Friseursalon von Furrer gilt: Nur jeder zweite Platz darf besetzt sein. «Daher habe wir derzeit nur fünf Personen im Laden», erklärt er. Furrer hat Kurzarbeit angemeldet, wartet aber noch immer auf Zahlungen der ALV. Er zeigt jedoch Verständnis: «Die Behörden haben viel zu tun.»
Furrer will sein Personal so gut wie möglich beschäftigen. Daher hat er sich spontan entschlossen, in Adligenswil in seinem Atelier - Furrer geniesst es, in seiner Freizeit zu malen - ein Pop-Up-Store zu eröffnen. «Jeden Dienstag und Donnerstag haben wir in Adligenswil somit zwei weitere Plätze zur Verfügung», erklärt er. So kommen er und sein Team möglichst nahe an den Normalbetrieb.
Es sei zu spüren, dass die Akzeptanz für seinen Beruf durch die Coronakrise gestiegen ist, meint Furrer. Das merkt er vor allem anhand der Reservationsanfragen. «Wir werden überflutet», sagt er. Die Akzeptanz der Kunden mit der aussergewöhnlichen Situation sei insgesamt «sensationell».
«Sag's mit Blumen», steht am Blumengeschäft Floradiso an der Hirschmattstrasse 56. Maximal zwei Personen dürfen in den Laden, doch wer einmal drinnen ist, wird mit wohltuendem Blumengeruch empfangen.
Die Ladeninhaberin Alexia Plomb lächelt. Sie sagt: «Endlich riecht es nicht mehr nach Desinfektionsmittel!» Es sei für sie sowohl finanziell, als auch emotional wichtig, dass sie ihren Laden nun öffnen konnte. «Wir haben die Kundschaft und die Blumen vermisst», sagt die 44-Jährige mit strahlend blauen Augen.
Sie sei froh, dass der Laden nicht den ganzen Frühling zu sein muss - immerhin ist die derzeitige Jahreszeit für ihre Branche elementar. «Im Frühling machen wir unser Hauptgeschäft», erklärt Plomb und fährt fort: «Jetzt freuen wir uns auf den Muttertag.»
Es läuft einiges und am Eingang gibt es Kontrollen: Maximal 150 Kunden dürfen gleichzeitig im Laden sein. Jedem Kunden wird eine nummerierte Karte in die Hand gedrückt.
Ein Landi-Mitarbeiter sagt: «Montags hat es sonst nie so viele Leute. Die Kundenfrequenz ist wie an einem guten Samstag.» Ein älterer Mann wartet bei seinem Auto und sagt unserem Reporter: «Mir ist es zu hektisch, meine Frau ist alleine in die Landi.» Man hätte nicht unbedingt heute die Einkäufe erledigen müssen, so der Mann weiter.
Erstmals seit der Bundesrat am 16. März die ausserordentliche Lage ausgerufen hatte, werden die Massnahmen gelockert. Entscheidend ist dabei auch, dass mit der Auflockerung keine Wertbewerbsverzerrung einergeht. Daher dürfen auch Grossdetaillisten wie Migros oder Coop erst ab heute bestimmte Produkte verkaufen - wie beispielsweise Blumen.
In Ebikon ist die Lage ruhig – drei Autos auf dem Parkplatz. Es ist also nicht überall ein riesiger Ansturm auszumachen.
Vor dem McDonalds in Dierikon bildeten sich am Montagabend lange Autokolonnen. Die Autos stauten sich zeitweise bis auf die Kantonsstrasse, wie Leserreporter gegenüber «PilatusToday» sagen, dies trotz speziellen Vorkehrungen und mehreren Mitarbeitern, die um das Gebäude im Einsatz standen.
Wer darf öffnen? Welche Geschäfte müssen noch geschlossen bleiben? Und welche Produkte dürfen überhaupt verkauft werden? Der erste Schritt zur etappenweisen Lockerung der Massnahmen ist komplex. Dies ist nicht verwunderlich, umfassen die bundesrätlichen Erläuterungen der zweiten Covid-19-Verordnung doch etwas mehr als 35 Seiten.
Entsprechend wichtig ist die Kontrolle, inwiefern Luzerner Geschäfte sich an die neue Verordnung halten. Gemäss René Baumann, Leiter Kommunikation der Dienststelle Wirtschaft, Arbeit und Soziales (WAS), führen die Behörden aber erst am Dienstag Kontrollen durch. «Wir lassen den Betrieben einen Tag Vorlaufzeit», schreibt er auf Anfrage.
Stellt das WAS dabei fest, dass die Regeln nicht befolgt werden, spricht es jedoch keine Bussen aus. «Das Ziel der Kontrollen ist die Unterstützung und die Beratung», hält Baumann fest. Werden aber Mängel festgestellt, müssen diese umgehend behoben werden. Sonst droht die vorübergehende Schliessung des Betriebs. (stp)
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