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Im Kanton Luzern und der Zentralschweiz gibt es immer mehr Kastanienhaine. Einst waren sie hierzulande fast verschwunden.
Zwischen Rotsee und Rathausen, am Hang oberhalb der Bahnlinie, ist in den letzten Monaten ein neuer Kastanienhain entstanden. Am 23. September wird der 0,45 Hektaren umfassende Hain Chräjebüelwald auf Ebikoner Gemeindeboden im kleinen Rahmen eingeweiht und gefeiert.
«Entstanden ist die Idee in Zusammenhang mit der Umleitung des bestehenden Reitweges», sagt Erwin Meier, Forstbetriebsleiter bei der kantonalen Dienststelle Landwirtschaft und Wald (Lawa). So sind entlang der neuen Führung des Reitweges 18 Edelkastanien gepflanzt worden, die künftig als Halb-Allee Spaziergängern und Reitern Schatten und natürlich feine Marroni spenden.
Der exponierte Sonnenhang am Rotsee eignet sich für die Kastanie besonders, denn die Bäume kommen sehr gut mit Wärme und Trockenheit klar. «Durch die Klimaerwärmung verbreitet sich die Kastanie aus dem Tessin wieder im Norden», so Meier.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten realisierte das Lawa zusammen mit der IG pro Kastanie Zentralschweiz (siehe Kasten) an mehreren Standorten neue Kastanienhaine, die meisten liegen an den Ufern des Vierwaldstättersees. «Mit jenem am Rotsee sind es mittlerweile zwölf Haine», sagt Rico Hergert, Fachbearbeiter Waldbiodiversität beim Lawa. Die elf restlichen Kastanienhaine befinden sich in den Gemeinden Weggis, Horw, Vitznau, Meierskappel, Adligenswil und der Stadt Luzern. In der ganzen Zentralschweiz gibt es insgesamt 24 Kastanienhaine auf über 20 Hektaren.
Laut Hergert handelt es sich in der Regel um Standorte, an denen schon in früheren Zeiten Kastanien wuchsen. «Davon zeugen einzelne alte Bäume oder Relikte alter Bäume wie Baumreste, alte Stämme und Wurzeln, die mehrere Jahrzehnte alt sind», so Hergert.
Auch der Standort Rotsee ist kein beliebiger. Bereits früher sind hier Edelkastanien gewachsen. In der Nähe des neuen Hains wächst eine alte Kastanie, der sogenannte Schlangenbaum, der jährlich Marroni von guter Qualität hervorbringt. Sobald die neuen Kastanienbäume gross genug sind und Früchte abwerfen – dies ist jeweils im Oktober der Fall – dürfen Spaziergänger etwas davon mitnehmen. «Das ist ähnlich wie beim Pilzesammeln», sagt er.
Die Edelkastanie besass bereits im Mittelalter auch auf der Alpennordseite – insbesondere in Regionen am Vierwaldstätter- und Zugersee – einen hohen Stellenwert. Sie wurden zum Beispiel zu Mehl gemahlen und zum Brot backen verwendet. Das Vorkommen der Kastanie im Kanton Luzern zeigen auch Orts- und Flurnamen wie Kastanienbaum in Horw oder Chesteneweid in Weggis.
Aufgrund der Klimaabkühlung in der sogenannten «kleinen Eiszeit» im 17. und 18. Jahrhundert und durch die Einführung neuer Nutzpflanzen wie Kartoffeln und Mais verlor die Kastanie an Bedeutung. Sie wurde mehr und mehr von neuen Nahrungsmittel wie Kartoffeln und Mais verdrängt. «Dazu kommt, dass die Pflege von Kastanienbäumen relativ aufwendig ist», sagt Hergert.
Weil die Bäume viel Licht brauchen, sollten die Flächen um die Kastanien herum nicht verbuschen. Lichte Wälder bieten auch eine hohe Biodiversität. «Zum Teil werden Ziegen in die Kastanienhaine gelassen, die rund um die Kastanien das Gras wie auch dorniges Gebüsch wegknabbern», sagt Hergert. So zum Beispiel im Dickiwald in Kastanienbaum, dem zweitjüngsten Aufwertungsprojekt für Kastanien im Kanton Luzern. Der Einsatz von Ziegen oder Kühen im Wald ist laut Hergert aber nur mit einer Ausnahmebewilligung möglich.
Rund um die frisch gepflanzten Edelkastanien in Ebikon grasen nicht Ziegen, sondern Hochlandrinder. Damit die jungen Bäume von den Tieren nicht angefressen werden, müssen sie mit einem Holzzaun gut geschützt werden. Der Chräjebüelwald am Rotsee gehört dem Kanton Luzern und wird verpachtet. Die Pflege der Bäume erfolgt durch die Pächterfamilie Lisibach.
Eine grosse Herausforderung bei der Pflege der Kastanienbäume ist der Kastanienrindenkrebs – eine Pilzkrankheit, die alte und junge Bäume befällt und zum Absterben bringen kann. Daher müssen die Kastanienhaine regelmässig auf Pilzbefall kontrolliert und betroffene Bäume zurückgeschnitten werden. Rico Hergert setzt Hoffnung in einen natürlichen Gegenspieler des Kastanienrindenkrebses. Dabei handelt es sich um einen Virus, der den Pilz befällt. Nur: Bisher konnte er sich in der Zentralschweiz nicht etablieren.
Versuche, den Gegenspieler des Kastanienrindenkrebses in der Zentralschweiz auszubringen, erfolgen in Zusammenarbeit mit der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Bis es so weit ist, werden die Zentralschweizer Kastanienhaine durch Experten der IG pro Kastanie regelmässig kontrolliert.
Hinweis: Die jährliche Chestene-Chilbi in Greppen findet dieses Jahr aufgrund der Coronapandemie nicht statt. In der zweiten Oktoberwoche erscheint aber unter anderem in Haushalten der Luzerner Seegemeinden die 32-seitige Chestene-Zitig. Diese kann per E-Mail (hp.rust@sunrise.ch) bestellt werden. Infos unter www.kastanien.net
Die Interessengemeinschaft (IG) Pro Kastanie Zentralschweiz feiert heuer ihren 20. Geburtstag. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, das alte Kulturgut der Kastanienhaine zu erhalten und zu neuem Leben zu erwecken. Dabei stehen mehrere Ziele im Vordergrund. Neben der Erhaltung dieses Kulturgutes sind die freien Flächen unter den Kastanien sehr wertvoll, da sie vielen Tieren, die auf leichte Wälder angewiesen sind, einen Lebensraum brauchen. Zudem wird auch das Ziel verfolgt, die Edelkastanien aus der Zentralschweiz lokal zu vermarkten.
Im Verbundprojekt Kastanienhaine Zentralschweiz spannen der Fonds Landschaft Schweiz, Stiftungen, Bund, Kantone, Gemeinden und interessierte Grundeigentümer zusammen, um alte Kastanienhaine wiederherzustellen oder neu einzurichten.