Video
Dieser Roboter übernimmt die Schwerstarbeit der Therapeuten am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil

Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil wird künftig ein neuer Roboter eingesetzt, der Patienten mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen trainiert. Auch für die Therapeuten ist das ein Grund zur Freude.

Raissa Bulinsky
Drucken

Eine Vorrichtung hält Jürg Kaderli (64) auf einem Laufband aufrecht. Die Robotik an seinen Füssen übt Schrittbewegungen aus. Seit fünf Monaten ist Jürg Kaderli aus Emmenbrücke Patient im Schweizer Paraplegiker Zentrum (SPZ) in Nottwil. Aufgrund einer Krankheit wurde Kaderlis Rückenmark geschädigt. Er erhielt die Diagnose einer sogenannten inkompletten Paraplegie. Die Chancen, dass er jemals wieder laufen kann, sehen aber nicht schlecht aus. Deshalb trainiert Kaderli regelmässig und übt, sich am Barren aufrecht zu erhalten. «Nur schon das Stehen bedeutet Freiheit für mich», sagt er. Das wöchentliche Bewegungstraining mit dem Gangroboter «Lokomat» ist für ihn ein «Highlight». Kaderli: «Er gibt mir das Gefühl zurück, dass ich wieder laufen kann.» Es brauche zwar viel Geduld, denn der Fortschritt erfolge nur in kleinen Etappen, dennoch sei er zuversichtlich, dass der «Lokomat» ihm helfen werde, seinem Ziel näher zu kommen.

Patient Jürg Kaderli bedient den Roboter «Lokomat», Therapeuten überprüfen die Einstellungen.

Patient Jürg Kaderli bedient den Roboter «Lokomat», Therapeuten überprüfen die Einstellungen.

Bild: Boris Bürgisser (Nottwil, 10. Februar 2020)

Bereits einen Monat nach seiner Aufnahme in das SPZ begann seine Therapie mit einem älteren Modell des «Lokomat», welches seit 2005 Bestandteil der Rehabilitation in der Spezialklinik ist. Seit kurzem ist das Training nun mit einem neuen Modell des «Lokomat» möglich, das von der Hocoma AG entwickelt und vertrieben wird. Anlässlich der Übergabe am vergangenen Montag führte Kaderli ein Training mit dem neuen Hightech Roboter vor. Auf dem Bildschirm vor ihm kann er seine Beinaktivität mitverfolgen. So erhält Kaderli eine Echtzeit-Rückmeldung. Durch einen virtuellen Avatar kann er sich in einer Spielwelt bewegen. So soll das Training effizienter werden. Im Video ist Kaderli auf dem neuen «Lokomat» zu sehen:

Diese Technologie soll den Patienten helfen Bewegungen auszuführen, die sie sonst nicht mehr ausführen können. Beispielsweise bei Personen, die einen Schlaganfall oder eine Rückenmarkverletzung erlitten haben. Durch die Therapie mit robotischen Geräten können verlorene motorische Fähigkeiten wieder erlernt oder Krämpfe und Schmerzen gelindert werden. Restfunktionen von Nerven und Muskeln werden dabei geweckt und trainiert. Grundsätzlich gilt: Je früher die Therapie begonnen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Bewegungen wieder zu erlernen. Die Technologie könne aber keine Wunder bewirken wie beispielsweise das wieder vollständige Laufenlernen bei einer kompletten Querschnittlähmung. Vielmehr sollen individuelle Ziele, die den Alltag erleichtern, erreicht werden, beispielsweise sich selber im Bett zu drehen oder eine bessere Blasen- und Darmkontrolle.

Neustes Modell seit Montag im Einsatz

Der Roboter soll Training nicht nur die Lebensqualität der Patienten verbessern, sondern auch für die Therapeuten eine Entlastung darstellen. Gery Colombo, Mitbegründer der Hocoma AG, sagt: «Ein manuelles Lauftraining, wie dies in den 1990er Jahren noch üblich war, ist körperliche Schwerstarbeit.» Aus diesem Grund hätten sich Therapeuten oder Kliniken teils sogar geweigert, Querschnittgelähmte manuell zu trainieren, erzählt Colombo weiter. Mit ihrer Idee eines Gangroboters wollten er, Peter Hostettler und Matthias Jörg, die den «Lokomat» entwickelt haben, den Therapeuten die harte Arbeit abnehmen, damit diese sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können. Damit sei eine intensive und längerfristige Therapie möglich, die auch sehr schwer Beeinträchtigten wie Tetraplegiker helfen könne. Vor 20 Jahren seien sie mit ihrer innovativen Idee noch angeeckt. Colombo:

«Wir hätten nie gedacht, einmal den 1000. «Lokomat» zu übergeben. Das SPZ als Abnehmer ist uns eine Ehre.»

Gekostet hat der Roboter laut SPZ einen sechsstelligen Betrag. Die SPZ stand, anders als viele andere Kliniken und Forschungzentren, der neuen Technologie schon von Anfang an offen gegenüber. Diana Sigrist-Nix, Leiterin Rehabilitation der Spezialklinik, freut sich über die Zusammenarbeit: «Gemeinsam geben wir Menschen, die einen schweren Rückschlag erlitten haben, mehr Lebensqualität und neue Hoffnung.»

Immer mehr Menschen sind von Bewegungsstörungen betroffen

Laut Sigrist-Nix erleiden weltweit immer mehr Menschen körperliche Beeinträchtigungen, der Bedarf an Technologien in der Rehabilitation steige. Jede sechste Person erleidet einmal im Leben einen Schlaganfall. In der Schweiz gibt es pro Jahr rund 16'000 Schlaganfälle und bis zu 5000 Schädel-Hirn-Traumas. Die Relevanz von Technologien zur Bewegungstherapie nimmt deshalb zu. Die Entwicklung gehe dabei stets weiter, versichert Sigrist-Nix. So würde beispielsweise eine stärkere Vernetzung angestrebt, das heisst, eine Vernetzung zwischen verschiedenen robotischen Geräten oder mit einer App auf dem Smartphone. So könne einerseits der behandelnde Arzt und andererseits auch der Patient profitieren. Die technologische Entwicklung gibt auch Jürg Kaderli Hoffnung:

«Ich gebe den Kampf nicht auf, das SPZ irgendwann ohne Rollstuhl zu verlassen.»