Entlebuch
«Körperlich an die Grenzen gekommen» – so erlebte ein Freiwilliger eine Woche bei einer Bergbauernfamilie

Die Caritas vermittelt Freiwillige an Bergbauernfamilien in Notsituationen, um sie zu entlasten. Wir haben einen Helfer am letzten Tag seiner Freiwilligenwoche besucht.

Fabienne Mühlemann
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Die Anfahrt gleicht einer Abenteuerfahrt: rauf und runter, links und rechts – bis man schliesslich nach Bramboden den Hof Hinder Ärbsegg erreicht. Hier, auf rund 950 Meter über Meer, ist es mucksmäuschenstill. Kein Verkehr, keine Menschen, nur ein paar Hühner gackern zwischendurch. Von Bauer Martin Reber und seinem Freiwilligenhelfer, Dominique Agosti, fehlt aber jede Spur. Und auch das Handynetz lässt erst nach einigen Anläufen zu, dass der Bauer erreicht werden kann. Sie seien gerade auf seinem anderen Hof in Escholzmatt, rund 17 Kilometer entfernt. In einer halben Stunde seien sie da, versichert er.

Der Hof Hinder Ärbsegg liegt in der Nähe von Bramboden.

Der Hof Hinder Ärbsegg liegt in der Nähe von Bramboden.

Bild: Dominik Wunderli (Romoos, 13. August 2021)

Zum Hintergrund: Der 36-jährige Martin Reber betreibt im Entlebuch zwei Höfe. Jenen bei Bramboden, das zur Gemeinde Romoos gehört, hat er dazu gepachtet – aus ökonomischen Gründen, denn kleinere landwirtschaftliche Betriebe rentieren heute kaum noch. Für die Bewirtschaftung muss Reber immer die lange Strecke hinter sich bringen. Eine stressige Angelegenheit. Da sein Vater krankheitsbedingt weniger mithelfen kann, brauchen er und seine Frau Unterstützung. Sie haben sich bei der Caritas gemeldet, welche ihnen seit fünf Jahren von Frühling bis Herbst wochenweise freiwillige Helfer vorbeischicken (siehe Box). So kam auch schon ein Polizist, ein Arzt oder eine junge Kauffrau vorbei. In der Woche unseres Besuchs ist es der 52-jährige Dominique Agosti aus Sempach Station, welcher ihm mit helfender Hand zur Seite steht.

Als die beiden nach einer halben Stunde auf dem Hof Hinder Ärbsegg eintreffen, haben sie ein breites Grinsen im Gesicht. Man spürt: Die beiden verstehen sich. Martin Reber lädt den Mäher vom Anhänger und zeigt, wie er im steilen Gelände mäht. Das sorgt für Staunen. Für den Bergbauern ist es aber ein Leichtes, das Gerät den Hang hinab zu steuern.

Bergbauer Martin Reber (rechts) zeigt dem Freiwilligenhelfer Dominique Agosti, wie man im steilen Gelände mäht.

Bergbauer Martin Reber (rechts) zeigt dem Freiwilligenhelfer Dominique Agosti, wie man im steilen Gelände mäht.

Bild: Dominik Wunderli (Romoos, 13. August 2021)

Für Dominique Agosti ist es bereits der zweite Einsatz als Freiwilligenhelfer bei der Caritas, weswegen er mit vielen Arbeiten schon vertraut ist. Vor einigen Jahren hat er auf einem Hof in Escholzmatt Hilfe geleistet. Das sei schon etwas anders gewesen, weil dort noch viele Kinder auf dem Hof waren. Hier kann er sich hingegen voll auf die Arbeit konzentrieren: Pfähle einschlagen, heuen, Vieh austreiben, Stall reinigen und mähen. «Ich arbeite gerne in der Natur, es macht mir Spass hier. Ich betätige mich auch gerne körperlich, so kann ich etwas Gutes tun. Und das Entlebuch gefällt mir sowieso», sagt Agosti, der in Luzern als Hauswart verschiedene Liegenschaften betreut. Und in die Ferien könne er schliesslich auch ein anderes Mal wieder gehen.

Noch 300 Freiwillige gesucht

Seit über 40 Jahren vermittelt Caritas Freiwillige an Bergbauernfamilien in Notsituationen. Freiwillige können sich auf der Caritas-Website bei einer selbst gewählten Familie anmelden, wo auch die Tätigkeiten auf dem Hof aufgelistet sind. Der Zeitraum kann selber bestimmt werden, muss aber mindestens fünf Tage betragen. Kost und Logis sind inbegriffen, zusätzlich entlöhnt wird man nicht. Für einen Bergeinsatz muss man zwischen 18 und 70 Jahre alt sein und sich psychisch und körperlich fit fühlen.

Um als Bergbauernfamilie Unterstützung zu erhalten, muss der Hof in den Bergzonen 1 bis 4 liegen und es muss eine Notsituation vorliegen. Das Hilfswerk entscheidet dann über die Aufnahme ins Programm. «In diesem Jahr haben sich rund 120 Familien angemeldet», sagt Desirée Germann vom Marketing der Caritas Schweiz. Das sei etwas mehr als in vergangenen Jahren. Meist benötigen die Familien Hilfe zur Überbrückung, zum Beispiel bei Krankheitsfällen oder Schwangerschaften und insbesondere in den arbeitsintensiven Sommermonaten. Die meisten Höfe liegen in der Zentralschweiz oder im Bernbiet, 90 Prozent der Bauernfamilien würden rund ein bis fünf Jahre bei Caritas bleiben.

In diesem Jahr läuft die Suche nach Freiwilligen etwas harziger als 2020. «Letztes Jahr war ein Rekordjahr. Es haben sich 1200 Freiwillige gemeldet, die Auslastung lag bei 86 Prozent – das heisst 86 Prozent aller verfügbaren Einsatzwochen wurden von Freiwilligen gebucht», sagt Germann. Die Coronapandemie habe eine Solidaritätswelle losgetreten. «In diesem Jahr liegt die Auslastung bis jetzt bei 66 Prozent – und der Sommer ist ja bald schon vorbei.» Interessierte können sich unter www.bergeinsatz.ch melden.

Die beiden haben sichtlich Spass zusammen.

Die beiden haben sichtlich Spass zusammen.

Bild: Dominik Wunderli (Romoos, 13. August 2021)

Er müsse aber zugeben, dass er körperlich schon an seine Grenzen gekommen sei. «Ich musste immer wieder Pausen einlegen. Am Abend war ich so müde, dass ich bereits um neun Uhr ins Bett ging. Um sieben Uhr morgens stand ich wieder auf», sagt Agosti, der sich eher als ruhigen Typ beschreibt. Doch der Einsatz auf dem Hof zeigte auch die traurige Seite der Arbeit: Eine Kuh war vier Meter in die Tiefe gestürzt und musste aufgrund der gravierenden Verletzungen eingeschläfert werden. «Das hat mich schon sehr getroffen», sagt er.

Trotzdem blicke er positiv auf die Woche zurück, mit Martin habe er eine gute Zeit gehabt. Und dieser habe auch immer leckeres Essen gekocht: Älplermagronen, Schnitzel mit Pommes oder Spaghetti bolognese. Solche Menus sorgen doch gleich wieder für gute Laune.

Dominique Agosti.

Dominique Agosti.

Bild: Dominik Wunderli (Romoos, 13. August 2021)