Egal, ob bei Regen, Sonne oder Schnee: In den Wald- und Naturkindergärten findet der Unterricht grösstenteils draussen statt. Wir haben zwei Klassen in Rothenburg und Meggen besucht.
Sie schwingen den Hammer, zerkleinern Holz mit einer Säge und machen ein Feuer. Nein, die Geschichte spielt nicht etwa im Pfadi-Lager, sondern in einem «Kombi-Kindergarten» in Rothenburg. In diesem unterrichtet der Kindergärtner Thomas Herzig die Knaben und Mädchen während dreier Halbtage pro Woche im nahe gelegenen Wald. In den Wintermonaten wird dies noch an zwei Halbtagen der Woche der Fall sein. Kombikindergarten bedeutet, dass die Kindergärtler einen Teil ihrer Unterrichtszeit im Wald verbringen. Die restliche Zeit findet der Unterricht in einem konventionellen Kindergarten statt. Dennoch muss der Lehrplan 21 wie in einem normalen Kindergarten ebenfalls eingehalten werden. An der Volksschule Rothenburg ist dieser Kindergarten ein Novum: Erst vor gut einem Monat ist das Projekt gestartet.
«Alle Kinder laufen los», mit diesem Gesang startet der Morgen der 21 Kinderggärtler beim Kindergarten Gerbematt. Dann geht’s los: Die Kinder schnappen ihren Rucksack und machen sich mit Thomas Herzig, der Assistentin Nicole Budmiger und IF-Lehrerin Marion Berg auf den Weg in den Wald. Zuerst an der Strassenlampe vorbei, dann über Stock und Stein. Die Strecken dürfen sich die Kinder an einer Stelle selber aussuchen: Entweder sie nehmen den «Eichhörnchen-Weg» oder den gewöhnlichen. «Dort muss man klettern», erzählt ein Knabe aufgeregt und rennt los. Seine Kameraden tun es ihm gleich, kraxeln durchs Gebüsch an Baumwurzeln hoch und zurück auf den gewöhnlichen Wanderweg. «Es ist gut, wenn die Kinder selbst entscheiden können, welchen Weg sie gehen möchten», erklärt Kindergärtner Herzig.
«Es ist gut, wenn die Kinder selbst entscheiden können, welchen Weg sie gehen möchten»
Thomas Herzig (35), Kindergärtner
Fünfjährige Kinder, die mit Werkzeug und Feuer hantieren – dass die Sicherheit der Kinder hier oberste Priorität darstellt, ist klar. «Selbstverständlich unterrichten wir die Kinder über die Gefahren des Waldes. Aber wenn sich ein Kind mal am Finger schneidet, wird dieses im Umgang mit den Werkzeugen aufmerksamer», so Herzig. Er erzählt weiter, dass sich ein Kind in seiner Obhut kürzlich das Handgelenk gebrochen hat. «Das ist aber auf dem Spielplatz des regulären Kindergartens geschehen, nicht hier im Wald.» Auch über Pilze scheinen die Kinder bestens Bescheid zu wissen – mehr als einmal ermahnen die Kinder, ja keine Pilze zu essen. «Die sind giftig, wäisch!» Doch wo sind die Kinder bei Gewitter? «Bei ganz schlechter Witterung steht uns ein Planwagen und ein Tipi zur Verfügung», sagt Thomas Herzig. Der Planwagen bietet den Kindern und Lehrern nicht nur einen trockenen Raum, sondern auch eine Toilette sowie «Forschungsmaterial». Will heissen: Bücher über Pilze oder Anschauungsmaterialien in Form von Schnecken oder ähnlichem.
An gewissen Tagen ist es den Kindern erlaubt, unter Thomas Herzigs Aufsicht ein Lagerfeuer zu machen. So auch heute. Die geübten Kinderhände benötigen hierzu knappe fünf Minuten. Rasch ist eine Cervelat aus dem Rucksack gepackt und mit einem Stecken zum Feuer hingehalten. Die Kindergärtler sind experimentierfreudig. So möchte einer der Knaben von Herzig erfahren, ob er denn auch sein «Blevita» ans Feuer halten dürfe. Er darf. Beim Begriff Waldkindergarten dürfte wohl manch einer ein klischiertes Bild mit «Öko-Eltern» verinnerlicht haben. Darauf angesprochen, widerspricht Thomas Herzig: «Die Berufe und Einstellungen der Eltern sind durchmischt. Von der alleinerziehenden Business-Mutter zum Landwirts-Vater ist alles dabei.»
Die Ausgangslage in Meggen ist eine andere. Nicht nur, weil die kalte Bise am Tag unseres Besuches im Spätsommer den Herbst ankündigt. Sondern auch, da der Unterricht im Waldkindergarten Meggen die gesamte Zeit über im Freien stattfindet. Die Ausnahme bildet lediglich der 14-tägliche Schwimmunterricht. «Die Kinder schätzen sehr, dass sie einen fixen Kindergarten haben und nicht an mehreren Orten unterrichtet werden», erklärt Remo Ehrenbolger, Schulleiter und Kindergärtner in Meggen. Nur bei Sturmwarnungen stehen dem Naturkindergarten Räumlichkeiten der Schulanlage Hofmatt zur Verfügung.
Der Weg zum Waldkindergarten führt die Klasse vom Kinderspielplatz Tschädigen über einen längeren Weg zum Waldrand. «Sammelt drei Gegenstände ein, die gerade vom Wind verweht werden», gibt die Kindergartenlehrperson Claudia Schluth zur Aufgabe. Sogleich rennen die 20 Kinder los – trotz anfänglicher Müdigkeit. Die Suche nach geeigneten Gegenständen führt sie an Bäumen und Pfützen vorbei. Dabei staunen die Kinder über die Regenwürmer auf dem Weg und die Kastanien, die sich noch in ihrem stacheligen Kleid befinden. Den Kindern scheint kaum aufzufallen, dass sie soeben einen anstrengenden Weg hinter sich legen. Zu gross scheint die Freude über den Tag im Waldkindergarten.
«Ob die Lernziele drinnen oder im Wald erarbeitet werden, ist unwichtig.»
Remo Ehrenbolger, Schulleiter und Kindergärtner
Solche Erfahrungen sind für den Lernprozess der Kleinen wichtig. Denn der Lehrplan 21 schreibt beispielsweise vor dass die Kinder einen unebenen Weg bestreiten können sollten. «So balancieren Kinder im Naturkindergarten über umgefallene Bäume, anstelle über umgedrehte Langbänke in der Turnhalle», sagt Remo Ehrenbolger. «Der Lehrplan 21 passt perfekt zu unserem Konzept des Waldkindergartens.» Wie in einem Innenkindergarten nehme das freie Spiel einen wichtigen Teil des Kindergartenalltags ein. Die Wolken verziehen sich, der Wind ruht, die Kinder geniessen ihr Znüni. «Sie, Frau Schluth, die Sonne kommt», freut sich ein Knabe. Der Kindergärtler freut sich, die Tiere im Wald begrüssen zu dürfen. Er muss sich aber noch gedulden – noch ist die Pause nicht vorüber.
Der Waldkindergarten Meggen unterhält einen Instagram-Account mit aktuellen Bildern. Dieser kann unter naturchendsgi_meggen abgerufen werden.