FLÜHLI: «Die Erde knackte und toste»

Ein Bergsturz richtete 1980 grosse Schäden an. Danach wurde auf unkon­ventionelle Art Geld für die Gemeinde Flühli gesammelt.

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Derselbe Ort, fotografiert vergangene Woche. (Bild: Manuela Jans / Neue LZ)

Derselbe Ort, fotografiert vergangene Woche. (Bild: Manuela Jans / Neue LZ)

Es hört sich an wie aus dem Drehbuch eines apokalyptischen Katastrophenfilms: Als sich am Sonntag, 22. Juni 1980, die Besucher des Älpler-Gottesdienstes auf dem Unter Schwarzenberg in Flühli versammelten, bemerkten einige von ihnen merkwürdige Bodenbewegungen.

Noch am gleichen Nachmittag rief ein Älpler in heller Aufregung den damaligen Gemeindepräsidenten Heinrich Schnider an. «Hörst du, wie es knackt und tost», rief er in die Sprechmuschel und streckte den Hörer umgehend zum Fenster hinaus.

Rutsche nach dem Dauerregen

Was der Alpbauer Fridolin Furrer da über die Telefonlinie den Gemeindepräsidenten mithören liess, war der Beginn einer der gewaltigsten Erdrutsche, die in der Geschichte der Entlebucher Gemeinde eine Schneise der Verwüstung nach sich zogen. Der Flühler Lokalhistoriker Walter Küng hat die Geschichte des Bergsturzes an der Beich­len minutiös aufgearbeitet und vor ein paar Jahren in der Entlebucher Brattig veröffentlicht.

«Der Frühsommer war nass, es regnete mehrere Wochen lang», erinnert sich Küng. Die Geologen sollten später zum Schluss kommen, die starke Wassereinsickerung in die Mergel-Gesteinsschicht habe auf dem Beichlen-Berg zwischen Flühli und Escholzmatt den Abrutsch verursacht. Je nach Quelle waren es 1 bis 2,6 Millionen Kubikmeter Erd- und Gesteinsmassen, die sich talwärts in Bewegung setzten. Am Montag gelangte der Schuttstrom bereits in den Hellschwandbach und erreichte in immer grösserem Volumen das tiefer gelegene Rohrigmoos. Am Dienstag erreichte der Erdrutsch seinen Höhepunkt: Schutt, Geröll, Steinblöcke und Baumstämme im Flussbett der Waldemme führten dazu, dass die Strasse überschwemmt wurde. Personen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.

Der Katastrophenschutz schaltete schnell. Ein kantonaler Notstandstab unter Polizeihauptmann Sigisbert Schnyder machte sich an die Arbeit, die Luzerner Regierung organisierte Hilfe von der Armee. Die Feuerwehren der Region standen ohnehin von Anfang an im Einsatz. 30 Männer einer Luftschutzkompanie errichteten eine Notbrücke über die Emme, schwere Baumaschinen wurden zur Schutträumung herangekarrt, Helikopter versorgten Alpbetriebe mit Nahrungsmitteln und Viehfutter.

Küng: «In der Nacht von Donnerstag auf Freitag mussten aber die Bauarbeiten für die Notbrücke wegen des Hochwassers eingestellt werden. Selbst die schweren Baumaschinen waren gefährdet und einigen Maschinisten wurde von den reissenden Fluten schwindlig.»

Knapp eine Woche nach Beginn des Erdrutsches verschlimmerte sich die Lage wegen der heftigen Regenfälle noch einmal. Damit war das Gröbste dann ausgestanden, die Aufräumarbeiten konnten zu Ende geführt werden. Doch Fachleute und Feuerwehrmänner überwachten die Erdbewegungen noch mehrere Wochen lang.

«Ein Herz für Flühli»

Mitverfolgt wurde der Bergsturz in der ganzen Schweiz. Als es darum ging, wer für den finanziellen Schaden von rund 3 Millionen Franken aufkommt, erlebte Flühli sehr viel Solidarität. Die Tageszeitung «Vaterland» legte einen Einzahlungsschein mit dem Aufdruck «Ein Herz für Flühli» ihren Ausgaben bei, der Detaillistenverband stellte Flühli-Kässeli in 600 Läden auf, und der NLB-Club SC Kriens setzte ein Benefizspiel gegen Wettingen an. So kamen 750 000 Franken zusammen. Fast 20 Jahre später fand das Naturereignis seinen musikalischen Niederschlag: Evi Tanner komponierte ein Werk dazu. Sie hatte den Bergsturz als Kind aus nächster Nähe miterlebt.

Ein Bild der Gemeinde Flühli kurz nach dem Murgang von der Beichlen ins Rohrigmoos im Sommer 1980. (Bild: PD)

Ein Bild der Gemeinde Flühli kurz nach dem Murgang von der Beichlen ins Rohrigmoos im Sommer 1980. (Bild: PD)