Die Luzerner Stadtgärtnerei und die katholische Kirche wollen den Friedhof vermehrt als Erholungsraum nutzen. Jogging oder Picknick auf Friedhöfen? Was heisst das für die Totenruhe?
Remo Wiegand
Der Luzerner Friedhof im Friedental ist samstags stets gut besucht: Nahe Angehörige pflegen seelenruhig die Gräber der Toten, weiter entfernte Verwandte und Bekannte finden Zeit für den alljährlichen Friedhofsbesuch, Trauernde geben bisweilen einem Verstorbenen das letzte Geleit. Am heutigen Samstag taucht ein überraschender Gast zwischen den Gräbern auf: eine Marktfrau aus dem Mittelalter. Die Stadtführerin und Schauspielerin Irene Weber führt so verkleidet zusammen mit Schauspieler Peter Schmid Besucher über die Ruhestätte und inszeniert «Besinnliches und Kurioses im und über das Friedental». Anlass ist der zweite Tag des Friedhofs (siehe Kasten). Das Friedental, der grösste Friedhof im Kanton Luzern, ist letzte Ruhestätte für Angehörige aller Konfessionen.
Über ihre Funktion als Totengedenkstätten hinaus werden Friedhöfe – rund 100 gibt es im Kanton Luzern – immer mehr zu einem Ort der Lebenden. «Der Ort hat einen hohen Freizeitwert», sagt Burghard Förster, katholischer Diakon und Mitglied der Stadtluzerner Friedhofskommission. Für Bildungs- und Kulturveranstaltungen biete sich der Friedhof sehr an: «Der Friedhof ist emotional hoch aufgeladen und zudem ein wunderschönes Biotop», schwärmt Förster. Der Erwachsenenbildner führt selber regelmässig Besucher über den Friedhof. Nächste Woche lädt er zu einer Lesung an Gräbern verstorbener Literaten ein.
Hauptverantwortlich für den Friedhof ist die Luzerner Stadtgärtnerei. Auch dort zeigt man sich offen für neue Nutzungen: «Die Ressource dieses Ortes kann noch mehr genutzt werden», ist deren Leiter Cornel Suter überzeugt. Natürlicherweise eigne sich der Friedhof besonders als Hintergrund für Veranstaltungen rund um die Tabuthemen Sterben und Tod. Für die Zukunft sieht Suter noch weiteres Potenzial: «Ich könnte mir vorstellen, dass hier auch ein klassisches Konzert oder ein passendes Theaterstück aufgeführt wird.»
In Luzerns Nachbarstädten ist dies bereits Realität: Beim Zürcher Friedhof Sihlfeld finden schon länger Liederabende oder Ausstellungen statt. Das Gelände des Berner Bremgartenfriedhofs ist just in diesen Tagen auch eine Theaterbühne. Zwei Regisseurinnen haben dort den stillgelegten Aufbahrungstrakt des Krematoriums zu Räumen umgestaltet, in denen sie des Lebens gedenken: «Die Idee war, einen existenziellen Rückblick auf ganz unspektakuläre, noch lebende Personen zu halten, wie er normalerweise Verstorbenen vorbehalten ist», erzählt Sibylle Heiniger. Als sie die Betreiber-Genossenschaft anfragte, ob sie die Idee umsetzen könne, bot diese sofort Hand.
Der Einzug der Kultur ins Reich der Toten kommt bei den Bernern gut an: «Wir hatten nur positive Reaktionen», freut sich Heiniger. «Besucher berichteten davon, dass sie Berührungsängste abbauen konnten.»
Auch in Luzern stossen die behutsameren Kultur-Veranstaltungen bisher auf Resonanz: Zu Försters Friedhofs-Führungen kommen im Schnitt 30 Interessierte, rund 100 besuchten Ende August einen Workshop mit zwei Trauerbegleiterinnen. Gar 500 Personen bevölkerten den Friedhof anlässlich der Museumsnacht 2013.
Und doch stellt sich die Frage: Wo ist die Grenze? Ab wann drohen der Friedhof zu einem Eventort und die Totenruhe zu einer leeren Floskel zu verkommen? Für Burghard Förster ist klar: «Man kann den Friedhof nicht überfüllen mit Veranstaltungen.» Es gelte, die Seele des Ortes zu erhalten; was die Sinne überreize, sei tendenziell von einem Friedhof fernzuhalten. «Wenn der Friedhof zum hundefreien Jogging-Paradies, zum Wanderweg oder zur Picknick-Wiese würde, wäre für mich eine Grenze erreicht», verdeutlicht Förster. Auch für die Berner Künstlerin Sibylle Heiniger ist der Friedhof als Ort der Stille wichtig,die Grenzen des Zulässigen sind für sie indes weiter weg. In Kopenhagen beobachtete sie kürzlich, wie ein Friedhof auch als Freizeitpark diente. «Das funktionierte. Es gab genug freie Flächen für Picknicker und Liebespaare. Und gleichzeitig zeigte man deutlichen Respekt vor Menschen, die trauerten.»
Ob es in Luzern so weit kommt, ist fraglich. Für Stadtgärtnerei-Leiter Cornel Suter gilt es, die «katholische Tradition» Luzerns zu respektieren. Die eher konservative, ältere Bevölkerung ehrt ihre Toten gerne ungestört. Gleichwohl soll den Luzernern ein bisschen mehr Leben auf dem Friedhof zugemutet werden. Selbst Komik, glauben die Verantwortlichen mit Blick auf den Auftritt der Marktfrau, ertrage es in der todernsten Umgebung. Auch wenn es laut Burghard Förster vielleicht Leute geben wird, «die eine lustige Schauspielerin auf dem Friedhof irritiert». Die Diskussion, wie das Reich der Toten belebt werden soll, dürfte sie so oder so anregen.
Neben Luzern beteiligen sich die Städte Basel, Bern, Chur und Winterthur am Tag des Friedhofs, der heuer zum zweiten Mal stattfindet. Auf dem Luzerner Friedhof Friedental finden unter dem Titel «Wie man sich bettet ... Besinnliches und Kurioses im und über das Friedental» um 16 und 18 Uhr szenische Führungen statt. Mitarbeitende der Friedhofverwaltung sind zudem vor Ort, um Fragen rund um Sterben und Tod zu beantworten.